Inhalt: Ein Jahrzehnt nach dem Abriss des letzten Wohnturms hat die Gentrifizierung auch das Viertel Cabrini Green erreicht. Die einstige Sozialwohnungssiedlung ist längst zu einem Hotspot für Besserverdiener und aufstrebende Millennials geworden – so beziehen dort auch der Künstler Anthony (Yahya Abdul-Mateen II; Watchmen, Wir) und seine Freundin, die Galeristin Brianna (Teyonah Parris; Beale Street, The Photograph), eine luxuriöse Eigentumswohnung.
Als Anthonys Künstler-Karriere ins Stocken gerät, erfährt er durch einen alteingesessenen Bewohner (Colman Domingo; Euphoria, Assassination Nation) von den ebenso tragischen wie grausamen Hintergründen der Candyman-Legende. Bemüht, seinen Status in der Chicagoer Kunstwelt zu erhalten, beginnt Anthony, makabre Details als Inspiration für neue Werke zu nutzen.
Film Kritik
von Ilija Glavas
Der Künstler Anthony (Yahya Abdul-Mateen II) und seine Lebensgefährtin Brianna (Teyonah Parris) ziehen in eine neue Wohnung im inzwischen aufgewerteten Cabrini Green. Nachdem er die wahre Geschichte hinter der lokalen urbanen Legende von Candyman erfahren und sie als neues Kunstwerk ausgestellt hat, öffnet Anthony unwissentlich eine Tür, durch die die Schrecken der Vergangenheit zurückkehren.
Candyman ist der neueste Film in einer Reihe von Horror-Franchises, die als „Legenden-Sequel“ behandelt werden. Eine Art Reboot, der das beiseite fegt, was als unordentlicher und entbehrlicher Inhalt angesehen wird – wie etwa David Gordon Green’s Halloween. Der neue Candyman-Film von Nia DaCosta knüpft direkt an die Geschichte des ursprünglichen und populärsten Teils der Reihe an. Die Neuauflage des Kult-Horrors von Bernard Rose aus dem Jahr 1992 setzt die Mythologisierung eines verborgenen, kollektiven historischen Traumas in Form des gleichnamigen Rachegeistes fort, versucht aber auch, sich selbstkritisch mit den Fehltritten des Vorgängers auseinanderzusetzen.
Und wo das Original die Gentrifizierung und den akademischen Bereich als Ausgangspunkt für Diskussionen über staatlich erzwungene soziale Barrieren nutzte, baut DaCosta darauf auf, wie sich dies bis in die Gegenwart fortgesetzt hat. So kehrt der Film in das inzwischen gentrifizierte Cabrini Green zurück, das Schauplatz des ersten Films war. Mit einem neuen Kunstprojekt entfesselt Anthony (Yahya Abdul-Mateen II) unwissentlich den Candyman, der jeden tötet, der ihn herbeiruft, indem er fünfmal seinen Namen in einen Spiegel sagt.
Interessante Erweiterung des Candyman-Mythos
DaCosta hat mit ihrem Spielfilmdebüt Little Woods von 2018 Erfahrung darin, soziale und wirtschaftliche Grenzen und kaputte Systeme mit Fingerspitzengefühl zu überwinden. Mit Candyman scheint sie ihre Interessen perfekt fortzusetzen.
Es handelt sich dabei um eine interessante Erweiterung des Mythos der Figur, die die stärksten Elemente aus den verpönten Fortsetzungen übernimmt. Wer sich allerdings darauf freut, Tony Todd wieder in der Rolle des Candyman zu sehen, könnte enttäuscht werden. Wo der erste Film den Geist als Kommentar zur Verteufelung von Bauprojekten und Sozialwohnungen nutzte, ist DaCostas Film eine Reaktion auf die Folgen solcher Verwahrlosung, eine Mahnung daran, wer hier lebte, bevor die schicken Glaswohnungen entstanden.
Das Drehbuch von DaCosta, „Get Out“-Regisseur Jordan Peele und Win Rosenfeld ist auch insofern interessant, da es als Gegenentwurf zu den chaotischeren Abschnitten des „Candyman“-Films von 1992 fungiert, die dessen Gesamtthese verwässerten, indem man die Rache des Geistes auf seine ursprünglichen Peiniger zurückführte.
Botschaft wird zu aufdringlich vermittelt
Die ursprüngliche Rolle der Candyman-Protagonistin Helen in der Geschichte wird absichtlich durch die Darstellung eines Erzählers vermittelt, was im Zusammenhang mit dem neuen Film selbst eine urbane Legende darstellt. Dieser Ansatz, die Bedeutung des Vorgängers für ein neues Publikum zurechtzurücken, ist solide, wird aber zu stark korrigiert, da jede nachfolgende Szene wie ein Gespräch wirkt, in dem der Überarbeitungsprozess erläutert wird.
Derartige Kritiken scheint DaCostas Film abzuwehren- indem, dass ein unausstehlicher weißer Kunstkritiker Anthonys Arbeit als didaktisch abwertet. Aber das verhindert nicht, dass man uns den Subtext in großen, fettgedruckten Buchstaben, ständig vor Augen führen muss. Damit wird der Eindruck erweckt, dass es durch ein Filmstudio als „den Zuschauer an die Hand zu nehmen“ eingefordert wurde.
Er wirkt wie ein Schutzschild gegen Fehlinterpretationen und wird zu einer lähmenden Angelegenheit, da er seinen tollen Darstellern nicht die Arbeit überlässt. Besonders faszinierend sind Abdul-Mateen II und Colman Domingo als Bewohner von Cabrini Green, der immer noch die Candyman-Legende verbreitet.
Sie vermitteln tiefe Traurigkeit und Wut wie eine spirituelle Besessenheit, die Anthony im wahrsten Sinne des Wortes auffrisst, während seine Kunst und seine Auseinandersetzung mit historischen Traumata zur Obsession werden.
Zwischen Schattenspielen und urbaner Legende
Die Rolle der Brianna (Teyonah Parris) gibt der kollektiven Trauer und ihrer Verwandlung in Wut eine intime und persönliche Note. Genau so oft, wie es dem Drehbuch an Raffinesse mangelt, ist es häufig auch witzig. Einer der Höhepunkte zeigt eine Schülerin, die sich fragt, wer dumm genug wäre, die Beschwörung von Candyman zu vollziehen, gefolgt von der Mutprobe einer Mädchen-Gruppe in einer Schultoilette. Außerdem ist der Film visuell überzeugend, wenn er sich weniger um Erklärungen bemüht.
Kameramann John Guleserian zaubert aus dem Anblick der glänzenden Luxuswohnungen, die den Verfall des ersten Films überdeckt haben, Unbehagen. Die Eröffnungssequenz ist ein beunruhigendes Spiegelbild des Original Films. Guleserian nimmt die Aufnahmen von unten, dreht diese zu bedrohlichen Überkopfaufnahmen von Hochhäusern um, die durch die Umkehrung des Bildes zu unheimlichen Erscheinungen werden.
Zu den schönsten Aspekten von DaCostas Film gehören die zwischenzeitlichen Schattenspiele, in denen verschiedene urbane Mythen erzählt werden. Es ist eine Anspielung auf die Tradition des mündlich überlieferten Geschichten Erzählens, welche die wiederholt bedrohte Geschichte der Afroamerikaner bewahrt.
Gleichzeitig erreicht der Film den existenziell erschreckenden Schicksalscharakter seines Vorgängers, indem er die unausweichlichen, andauernden Zyklen weißer Vorherrschaft und den anhaltenden Schmerz zwischen den Generationen hervorhebt.
Visueller Glanz und eine faszinierende Kameraoptik kontra Schwerfälligkeit und plumpe Belehrung
Visuell platziert DaCosta das Grauen inmitten der modernen Architektur des Gentrifizierungsprozesses, wobei die aufragenden Glastürme ebenso bedrohlich wirken wie alles andere im Film. Bei einem der denkwürdigeren Morde wird das Opfer in einer langen Kamerafahrt aus dem Fenster seiner teuren Wohnung in einem gemischten Wohnkomplex, durch den Cabrini Green ersetzt wurde, herausgezoomt und somit in den anonymen Hintergrund gedrängt.
Auch wenn die Anfangsphase des Films zu sehr damit beschäftigt ist, die Bedeutung des Candyman selbst zu erklären, sind zumindest die Folgen seiner Beschwörung angemessen chaotisch, sowohl was das Blutvergießen angeht als auch die Personen, auf die es abzielt: eine kollektive Rache, die auf jeden losgelassen wird, der es wagt, seinen Namen im Scherz zu erwähnen.
Es ist lustig zu sehen, wie sich der Geist in den wirklich pointierten und zugleich provokativen Momenten, die den Film abschließen, von etwas, über das man gestolpert ist, in etwas verwandelt, das man mit Absicht herbeiruft. Schade nur, dass der Film gerade in dem Moment, in dem er sich eine eigene Identität verpasst, zu Ende ist und durch seine verschiedenen plumpen Belehrungen seine Wirkung einbüßt.
Fazit: Auch wenn der Film visuell punktet und einige unterhaltsame Szenen inklusive Blutvergießen bietet, ist Candyman in seiner metaphorischen Absicht schwerfällig und zu belehrend.
Er tötet den Subtext ebenso oft wie jeden, der dumm genug ist, den gleichnamigen Geist zu beschwören. Dazu sollte man sich vor dem Kinobesuch Candyman`s Fluch aus dem Jahr 1992 ansehen. Wertung: 6.5 / 10
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