Erstausstrahlung: 23. Oktober 2020 bei Netflix
Regisseur: Scott Frank
Story: Die 10-jährige Elizabeth Harmon (Anya Taylor-Joy) verliert ihre Mutter bei einem tragischen Unfall. Da sie keine Familie an ihrer Seite hat, wird sie in ein katholisches Waisenhauses gebracht. Bis sie dort von jemandem adoptiert wird, darf Beth in der dortigen Schule lernen.
Dort gibt man den Mädchen zwei Kapseln vor dem Schlafengehen. Eine davon ist ein Beruhigungsmittel, durch das sie sich konzentriert und beruhigt fühlt. Im Keller lernt sie das Schachspiel mit einem Hausmeister. Als Beth 13 Jahre alt wird, wird sie von Alma Wheatley (Marielle Heller) adoptiert. Das ist der Zeitpunkt, an dem sich ihr Leben völlig verändert.
Serien Kritik:
von Ilija Glavas
„Das Schachbrett ist die Welt in 64 Feldern“ – Beth Harmon
Wusstet ihr, dass ein Schachspiel so lange dauern kann, dass es vertagt wird? Der Spieler, der am Zug ist, hält seinen nächsten Zug in einem versiegelten Umschlag fest, so dass beide Gegner, wenn sie sich das nächste Mal in alter Frische hinsetzen, so fortfahren können, als sei das Spiel nie unterbrochen gewesen. Das nennt man Hängepartie.
Das ist nur eine der Feinheiten des Schachspiels, die dem Laien in Netflix‘ Das Damengambit mit Anya Taylor-Joy in der Hauptrolle als fiktives Schachwunderkind Beth Harmon enthüllt werden. Ihr Charakter ist an den legendären US Schachweltmeister Bobby Fisher angelehnt, der seinen WM Titel gegen den russischen Schachprofi Spassky gewann und bereits in jungen Jahren für Furore sorgte.
Nach Walter Tevis‘ Roman von 1983 adaptiert, ähnelt die Miniserie – deren sieben Episoden nach Phasen oder Zügen eines Schachspiels benannt sind – selbst dieser Form des Spiels: In Teilen langwierig, aber die notwendigen Pausen wert, um am Ende zu einer vollständigen und kraftvollen Erfahrung zu gelangen.
Anya Taylor-Joy ist süchtig und Sehnsüchtig zugleich
Die Serie von Scott Frank erstreckt sich über ein Jahrzehnt – sie spielt in den 1950er und 60er Jahren – und reicht von Kentucky bis Moskau. Sie besteht zu gleichen Teilen aus Wettkampf-erzählungen, historischen Figuren und Charakterstudien der Grauzone zwischen Genie und Wahnsinn. Anya Taylor-Joy ist magisch in ihrer Darstellung, wie die brillante und distanzierte Beth.
Eine Suchende, die sich nach der Kontrolle eines Schachbretts sehnt, während sie sich mit der Sucht auseinandersetzt, die es ihr erlaubt, jenen übernatürlichen Freiraum zu nutzen, der sie zu einer Meisterin und potentiellen Großmeisterin macht. Beth lernt Selbstvertrauen durch ihre Fähigkeit, die algorithmischen Möglichkeiten eines Schachbretts zu durchforsten.
Der verzweifelte Wunsch zu Siegen
Aber weil ihr ganzes Selbstbewusstsein von der Identität eines Schachwunderkindes umhüllt ist und weil sie sich auf Beruhigungspillen verlässt – die zuerst im Waisenhaus ausgeteilt werden – um dieses Spielniveau freizusetzen, ist ihr Bedürfnis zu gewinnen mehr von Verzweiflung geprägt als das ihrer Gegner.
Trotz Beths stoisches Beharren auf Einsamkeit schmückt sich die Serie, mit einer herausragenden Besetzung von Nebenfiguren. Herausragend ist Bill Camp als der schroffe Hausmeister des Waisenhauses, Mr. Shaibel, der als erster das junge Talent der jungen Beth fördert.
Zu Beths professionellen Gegnern gehören die ehemaligen Kinderstars Thomas Brodie-Sangster (Game of Thrones) als Cowboy – Benny und Harry Melling (Harry Potter) als der sensiblere Harry Beltik.
Top besetzte Serie mit Marielle Heller
Wie ein exquisit geschnitztes Set von Schachfiguren erweitert jede Figur Beths persönlichen und beruflichen Weg. Als Waisenkameradin Jolene füllt Moses Ingram jede Szene, obwohl man sich wünschen könnte, dass ihre Auftritte nicht so als der Kit der Bruchstellen in Beths Leben angesiedelt wären.
Dann ist da noch Marielle Heller, vielleicht am besten bekannt als Regisseurin jüngster Filme wie Der wunderbare Mr. Rogers : A Beautiful Day in the Neighborhood, die den gleichen ergreifenden Schmerz in ihre Darstellung von Beths Adoptivmutter Alma Wheatley bringt.
Eine Hausfrau aus den 60er Jahren, deren eigene kreative Impulse durch ihre Pflichten als Hausfrau erstickt werden, repräsentiert die Art von Zukunft, die Beth unbedingt vermeiden möchte.
Innovative Rückblenden und Parallel Montagen
Die Serie verwendet Rückblenden, um die Geschichte der Hauptfigur zu erzählen. Es war clever von Scott Frank, diesen Stil zu verwenden, da es neugierig macht, Beths Kindheit und ihre Reise kennenzulernen.
Die Geschichte spielt in den 1960er Jahren, so dass der Lebensstil, die Eigenheiten und die Meinung der Menschen gegenüber Frauen rückständig sind. Schach wird nicht als Frauenspiel betrachtet, aber hier schlägt Beth von klein auf alle Champions in kürzester Zeit. Eine Schachpartie ist jedoch ziemlich kompliziert, und genau das erleben wir in dieser intensiven und komplexen Netflix-Mini-Serie.
Obwohl Beth selbst so etwas wie ein Vorbild für ihre weiblichen Altersgenossinnen wird, ist sie von der Dimension ihrer Darstellung auf eine Art und Weise frustriert, die sich völlig authentisch anfühlt. Für ihre Zeit gilt sie als außergewöhnlich, weil sie ein Mädchen ist, das alle Männer beim Schach schlägt und dennoch wäre sie lieber einfach „nur“ außergewöhnlich, Punkt.
Leidenschaft. Sucht. Einsamkeit
Hinzu kommt ihre wachsende Abhängigkeit von den Pillen, während Alkoholismus nur ihr Betrüger Syndrom nährt – ein Begriff, der zum Zeitpunkt dieser Geschichte noch nicht einmal erfunden worden war – und ihre Schuldgefühle, diese unglaubliche, lebensverändernde Gelegenheit verpassen zu können.
Einer der faszinierendsten Aspekte von Beths Werdegang ist es, mitzuerleben, wie sie ihre männlichen Gegner immer wieder vom Brett fegt. Wenn Beth in der Rangliste aufsteigt, fangen einige der zuvor spöttischen oder abweisenden Männer an, aus dem Turnierkreislauf zu fallen, entscheiden sich dann dafür, das Spiel entweder aus einer anderen Perspektive zu betrachten oder es ganz hinter sich zu lassen.
Diese Begegnungen bestärken Beth in ihrer Überzeugung von ihrem Talent und fordern sie gleichzeitig dazu heraus, neu zu überdenken, wie (Un)gesund ihre zielstrebige Besessenheit ist. Einige dieser ehemaligen Gegner kehren auch als Love Interest zurück. Ein weiterer bemerkenswerter Aspekt ist, dass Beth das einzige Mädchen im Jungenclub ist.
Die visuelle Darstellung des Spiels ist großartig
Die Miniserie geht mit dieser Art von Berufsrisiko sensibel und respektvoll um und schafft es, Beths unbeholfene Erkundungen ihrer Sexualität darzustellen, ohne ihren Charakter jemals zu erniedrigen. Es hilft, dass ein Schachspiel manchmal ein Vorspiel ist, das spielerisch-intim ist und nur zwischen den beiden Teilnehmern existiert.
Ein anderes Mal ist es eine Angstattacke, bei der Figuren mental hin- und herbewegt werden, während man sich bemüht, vorherzusagen, was die andere Person tun wird. So wie es die Struktur eines Schachspiels entmystifiziert, legt „Das Damengambit“ auch großen Wert darauf, das Spiel selbst auf unglaublich fesselnde Weise visuell – dramatisch wiederzugeben.
Der zufällig auf die Serie gestoßene Zuschauer, wird nicht unbedingt in der Lage sein, jeden blitzschnellen Zug zu verfolgen, aber der Fluss und die Erzählung jeder Partie ist deutlich.
Kamera und Inszenierung auf hohem Niveau
Die Kameraarbeit und Inszenierung ist hervorragend, besonders das immer wiederkehrende visuelle Motiv von Beth, die ein Schachbrett aus Schatten an ihrer Schlafzimmerdecke manifestiert, wobei die geisterhaften Figuren in die Realität hinein und aus der Realität heraus blinken, während sie sich darin übt, Züge zu antizipieren.
Es ist eine der seltenen Serie, die eine bestimmte Form von Genie genau wiedergeben kann, ohne den Betrachter, der immer Zuschauer sein wird, von sich zu schieben. Beths Kampf mit der Sucht und mit den Schach – Systemen, in die sie als eine Art machtlose Schachfigur versetzt wurde, erdet ihre Brillanz, ohne sie dafür zu bestrafen.
Ihre Geschichte ist eine chaotische, ergreifende Underdog-Geschichte mit dem wichtigen Hinweis, dass es, selbst wenn man zur Königin wird, keinen Sinn hat, allein auf einem leeren ( Lebens ) – Brett zu stehen. Man ist nichts ohne den Rest des Sets. Denn wie sagt Beth: „Das Schachbrett ist die Welt in 64 Feldern.“
Fazit: Matt in Sieben Folgen! Nicht allen wird die Serie gefallen. Diejenigen, die sich mit dem Schachspiel nicht auskennen, wird es nach einiger Zeit uninteressant erscheinen. Das Damengambit lässt aber das Hirn, trotz seiner Schwächen, nicht los. Die Inszenierung und das Kostümdesign sind großartig, die Schnitttechniken innovativ.
Der simple Nervenkitzel besteht darin, jemandem zuzuschauen, der unglaublich gut in einem Geschicklichkeitssport ist und bleibt meistens erfreulich. Auf diese Art und Weise kombiniert man einen Sportlerfilm mit Coming-of-Age-Drama und bietet dazu eine tolle Optik. Vor allem ist es aber Anya Taylor-Joys Darstellung einer ehrgeizigen jungen Frau, die ihre seelischen Leiden überwinden muss, die Das Damengambit so sehenswert machen.
Wertung: 8 / 10
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