Auf ein Wort, liebe Academy Mitglieder! Ja, es lässt sich nicht vermeiden. Bei der Flut von Oscar-Nominierungen werden immer wieder herausragende Werke nicht berücksichtigt, die es – ob zu Recht oder zu Unrecht – nicht in die engere Auswahl geschafft haben.
Das gilt auch für dieses Jahr. Auch wenn es in allen Kategorien viele tolle Beiträge gibt, darunter die Favoriten Oppenheimer und Poor Things, ist es unmöglich, die nicht aufgenommenen Namen und Titel einfach links liegen zu lassen.
Von Regisseurinnen und Regisseuren über Schauspielerinnen und Schauspieler bis hin zu bestimmten Liedern und sogar ganze Filme, die nicht in die Auswahl kamen, gibt es bei den Oscar-Nominierungen für 2024 einige Dinge, die schmerzen – und über die man einfach schreiben muss.
The Iron Claw – Zac Efron (Bester Hauptdarsteller)
Über Jahre hinweg wurde er als Schönling abgestempelt – oder als der Typ aus den High School Musical-Filmen. Aber in The Iron Claw zeigt Zac Efron eine authentische, schmerzhafte Tiefe. Sean Durkins kraftvoller Film – der die gelegentlichen Höhen und scheinbar endlosen Tiefen der Von Erich Wrestling-Dynastie erzählt – hätte mehrere Nominierungen verdient, aber Efrons Nichtberücksichtigung ist am schwersten zu akzeptieren.
In der Rolle von Kevin Von Erich (einem der wenigen noch lebenden Brüder, der von seinem herrschsüchtigen, seinen Träumen nachjagenden Vater, gespielt von Holt McCallany, in den Ring getrieben wurde) zeigt er Eigenschaften, von denen die meisten nicht mal ahnten, dass sie in ihm stecken.
Kevin hat viele Facetten: Er ist ein liebevoller Bruder (mit hervorragender Unterstützung von Harris Dickinson, Jeremy Allen White und Stanley Simons), ein hingebungsvoller Familienvater (Lily James glänzt in einer Nebenrolle als Ehefrau Pam) und ein ehrgeiziger Sportler, der von seinen Triumphen beflügelt und durch seine Tragödien erschüttert wird. Efron ist mit Herzblut bei der Sache, lässt sich von der Rolle mitreißen, ohne sich von seinen Muskeln zu sehr dominieren zu lassen.
Falls der Gedanke „Zac Efron, potenzieller Oscar-Kandidat“ in der Vergangenheit weit außerhalb eurer Vorstellungskraft lag, dann ist er mit „“The Iron Claw“ endgültig zurück im (Oscar-)Ring. Es ist eine Schande, dass er diese Chance nicht erhalten hat.
May December – Charles Melton (Bester Nebendarsteller)
Es könnte daran liegen, dass er zu jung ist, oder dass er unter seinen Hollywood-Kollegen noch nicht bekannt genug ist, oder dass die meisten Academy Mitglieder den Film einfach noch nicht gesehen haben. Was auch immer die Ursache sein mag, die fehlende Anerkennung für Charles Melton in May December ist fast so überraschend wie die aufrüttelnden Erkenntnisse im Film selbst.
In seiner Rolle trat Melton gegen zwei Schauspielgrößen an – die Oscar-Preisträgerinnen Julianne Moore und Natalie Portman. Dabei konnte er sich nicht nur gegen sie behaupten, sondern lieferte die wohl vielschichtige und interessanteste Leistung des gesamten Films ab.
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Er verkörpert Joe, das Familienoberhaupt einer Familie, die ihren Anfang nahm, als er gerade einmal 13 und seine jetzige Frau (Moore) 36 Jahre alt war. Melton verleiht Joe einen bemerkenswerten Zustand des Entwicklungsstillstands. Ein Kind im Körper eines Mannes, das nie die Chance hatte, richtig erwachsen zu werden.
Während sich um ihn herum Drama und Spaß abwechseln – Moore und Portman experimentieren mit verschiedenen Arten von „Schauspiel“ -, ist Melton so verletzlich und zurückhaltend, dass er mit der schockierenden Realität seiner Situation auf erschütternde Art und Weise klarzukommen versucht. Es ist schlicht und einfach eine preisverdächtige Leistung: König Charles, sozusagen!
All Of Us Strangers (Als Gesamtwerk)
Ich glaube in diesem Zusammenhang nicht an Absicht oder Ignoranz, so funktioniert das Academy Konstrukt nicht. Aber ich glaube an „Was zum Geier stimmt nicht mit euch?“ Null, also KEINE einzige Nominierung für Andrew Haighs großartigen Film All Of Us Strangers? Mein Unverständnis über die bereits jetzt größte Enttäuschung der diesjährigen Oscar-Verleihung erklärt sich durch einige filmische Aspekte.
Sein Drehbuch ist ein Parade-Beispiel. Inspiriert von Taichi Yamadas Roman Strangers aus dem Jahr 1987, nimmt Haigh dessen Buchvorlage und lässt seine eigenen Lebenserfahrungen, sein eigenes Trauma und seine eigenen Sehnsüchte einfließen (Im Haus der Film-Eltern verbrachte der Regisseur seine Kindheit) und zeigt eindrucksvoll, wie persönlich ein adaptiertes Drehbuch wirklich sein kann.
Seine goldene (Film-) Regel lautet: zeigen, nicht erklären (show don’t tell) – und Haigh zeigt. Mit ruhigen Bildern in minimalistischen, unbehaglichen Kulissen, die so viel mehr verraten, als ein Dialog jemals erklären könnte.
Seine einfühlsame, fast schon sinnlich anmutende Regie leitet die Dinge auf eine metaphysische Ebene. Und die beiden einsamen Männer (Andrew Scott und Paul Mescal) die einander finden – im selben Wohnblock, aber gefühlt in verschiedenen Welten – sind die menschliche Verkörperung von Liebe, Verlust und Sehnsucht.
Dies alles zu übersehen, ist wirklich ein herber Schlag. Aber eins steht fest: Die Oscars kommen und gehen. Der Film bleibt. Schaut ihn euch an. Startet am 08. Februar 2024 in den deutschen Kinos.
Past Lives – Celine Song (Beste Regie)
Die Liste aller Filmemacher, die für ihren Debütfilm eine Oscar-Nominierung erhalten haben, ist sehr übersichtlich. Zu ihnen gehören Orson Welles für Citizen Kane, Sidney Lumet für Die Zwölf Geschworenen und Emerald Fennell für Promising Young Woman – um hier nur einige zu nennen.
Allerdings verdient es Celine Song mit ihrer fein ausgearbeiteten Geschichte über Ortswechsel, Identitätsfindung und nicht eingeschlagene (Lebens-)Pfade, auf dieser Liste zu stehen.
Film Kritik: „Past Lives – In einem anderen Leben“ ist ein Meisterwerk der sanften Erzählkunst
Past Lives hat mich persönlich wie kaum ein anderer Film (neben Filmen wie z.B. Wie Wilde Tiere , May December und All Of Us Strangers) im Jahr 2023 angesprochen. Obwohl sie ursprünglich aus der Theaterbranche kommt, darf man Song’s Regiedebüt bei Past Lives als mutig bezeichnen.
Die Zeitsprung-Struktur des Films und die vielen tollen Szenen sind sorgfältig gestaltet, indem Song ihre Hauptdarsteller zunächst von einander getrennt hat, um ihnen dabei zu helfen, sich in die richtige Stimmung zu versetzen.
Film Kritik „Die Schneegesellschaft“
Sie hat sogar während der Videotelefonie-Szenen in die Kommunikation der beiden eingegriffen. Es ist ein Film, der eigentlich zu keinem Zeitpunkt einen unpassenden Ton anschlägt. Obwohl hier keine Bombe das Haupt Geschehen dominiert, besitzt Past Lives die emotionale Durchschlagskraft von TNT.
Es ist lediglich eine Frage der Zeit. Auch wenn sie 2024 nicht nominiert wurde, bin ich mir sicher, dass Celine Songs Name früher oder später in dieser Kategorie aufgerufen wird.
Barbie – Greta Gerwig (Beste Regie) and Margot Robbie (Beste Hauptdarstellerin)
Ich freue mich zwar über die Nominierungen von America Ferrera und Ryan Gosling, aber die Tatsache, dass Greta Gerwig als Regisseurin und Margot Robbie als Hauptdarstellerin nicht nominiert wurden, ist für mich nicht nachvollziehbar.
Besonders viel Aufmerksamkeit wurde (verständlicherweise) Gosling gewidmet, aber Robbies Performance ist das Aushängeschild des Films. Mit emotionaler Präzision und einwandfreiem komödiantischen Timing vermittelt sie die Reise von der Plastikpuppe zum frisch modellierten Menschen und wechselt in Sekundenschnelle von flotten Gags zu Gänsehautmomenten.
Film Kritik: Barbie ist ein ambitionierter und spielfreudiger Blockbuster
Und nichts davon wäre möglich ohne Gerwigs Vision von „Barbie“ als Filmfigur. Die besonderen Zwischentöne der geschaffenen Filmrealität – eine komplett frei erfundene Welt, die ihre eigene innere Logik voraussetzt, aber dennoch eindeutig ein riesiges Bühnenbild darstellt – werden auf der Leinwand mit unglaublicher Genauigkeit umgesetzt.
Es ist ein echtes Kunststück, wie Gerwig es geschafft hat, jede Barbie- und Ken-Darstellung in dieser hyperspezifischen Welt zu verpacken. Womöglich war es zu gelungen. Die Academy hat vor lauter Leichtigkeit die ganze Arbeit vergessen, die hinter dem Projekt steckt.
Wonka – ‘You’ve Never Had Chocolate Like This’ (Bester Filmsong)
Nun, es gibt Oscar-Schmähungen, und es gibt Oscar-Schmähungen. Aber allein die Missachtung von Wonka lässt einen aufschreien: „WAS ZUR HÖLLE?“ Fairerweise muss ich sagen, dass ich ein paar Tage gebraucht habe, um mich mit der Tatsache abzufinden, dass Neil Hannons herrlich witzige Wonka-Songs – eine Mischung aus tollen Melodien, gefühlvollen Passagen und großartiger Komik – es nicht einmal auf die Auswahlliste geschafft hatten.
Doch wie ein gekränkter Oompa-Loompa sitzt das brennende Gefühl der Ungerechtigkeit immer noch tief in mir. Zugegeben, es war von Anfang an klar, dass Wonka nicht gegen „I’m Just Ken“, „What Was I Made For?“ und, auch wenn schwer zu glauben, den Song aus dem Cheetos Film Flamin` Hot (auf Disney+ abrufbar) ankommen würde.
Doch den Charme der fantastischen Ballade „For A Moment„, oder des fröhlich-bösen „Sweet Tooth“ bzw. des triumphalen „You’ve Never Had Chocolate Like This“ völlig zu übergehen, ist eine regelrechte Frechheit. Ich vermute, da hatten Slugworth, Prodnose und Fickelgruber ihre Finger im Spiel.
Angesichts der Tatsache, dass die Oscar-Verleihung um Einschaltquoten kämpft, scheint es ziemlich kurzsichtig, den Zuschauern Timothée Chalamet im Rahmen einer kompletten Song- und Tanznummer vorzuenthalten.
Man denke zum Beispiel nur an die Eröffnung der 81. Oscar-Verleihung im Jahr 2009 durch Hugh Jackman.
Die Tippzettel sind vorbereitet: Lasst die Spiele beginnen
Die 96. Verleihung der Oscars soll am 10. März 2024 (11. März MEZ) im Dolby Theatre in Los Angeles stattfinden. Ich wünsche allen Nominierten maximalen Erfolg und euch allen tolle Unterhaltung und weiterhin ein spannendes Kinojahr 2024.