Menschliche Dinge Poster

Genre: Drama / Thriller | Produktion: Frankreich 2021 | Laufzeit: ca. 139 Minuten | Regie: Yvan Attal | Mit: Charlotte Gainsbourg, Ben Attal, Mathieu Kassovitz, Pierre Arditi u.a.


Inhalt: Man könnte meinen, die Farels wären eine Familie wie aus dem Bilderbuch: Jean Farel ist ein prominenter Fernsehjournalist, seine Frau Claire eine Intellektuelle, bekannt für ihr feministisches Engagement, ihr gemeinsamer Sohn Alexandre ist gutaussehend, sportlich und studiert in Kalifornien an einer Eliteuni.

Bis eines Tages die Polizei vor der Tür steht: Ausgerechnet die 16-jährige Tochter von Claires neuem Lebensgefährten hat Anzeige wegen Vergewaltigung gegen Alexandre erstattet.

© MFA Film Distribution

Alexandre Farels Eltern sind zum einen bekannt in der Öffentlichkeit, sein Vater als Journalist, seine
Mutter als Essayistin. Zum anderen sind sie geschieden. Während seine Mutter zu ihrem neuen Freund
gezogen ist, lebt der Vater weiterhin allein, trifft aber gelegentlich seine sehr viel jüngere Praktikantin.

Alexandre, der zum Studium in die USA gezogen ist, fühlt sich zu Hause schon lange nicht mehr wohl.
Bei einem Besuch lernt er Mila, die Tochter des neuen Freundes seiner Mutter kennen. Damit die beiden
warm miteinander werden, bittet Alexandres Mutter ihn, Mila mit auf eine Party mitzunehmen. Am
nächsten Tag wird Alexandre verhaftet. Er soll Mila auf der Party vergewaltigt haben.

Crème de la Crème ist unverwechselbar, ehrlich und lustig

Alexandre streitet ab, dennoch gesteht er, einvernehmlichen Geschlechtsverkehr mit Mila gehabt zu haben. Als das Verfahren vor Gericht landet, stehen auch Alexandres Eltern im Fokus der Öffentlichkeit. Insbesondere Alexandres Mutter, welche sich für eine härtere Strafen für verurteilte Vergewaltiger einsetzt, wird mit ihren eigenen Prinzipien konfrontiert.

Yvan Attal, aus dessen Feder auch das Drehbuch zu „Contra“ stammt, setzt hier ein durchaus starkes
Thema anders als erwartet um. Mit Filmen wie „Promising Young Woman“ oder dem erst kürzlich
erschienenen Netflix-Film „Lukiest Girl Alive“ hat die Filmbranche in den letzten Jahren das Thema
„Vergewaltigung“ und die Aufarbeitung dieser stärker in den Fokus gerückt.

Alexandre Farel (Ben Attal)
Alexandre Farel (Ben Attal) – Copyright Jérôme Prébois © 2021 CURIOSA FILMS

Der Film basiert auf dem gleichnamigen Bestsellerroman und ist inspiriert von dem „Fall Stanford“

Seit der #MeToo Bewegung sollte deutlich sein, dass ein Opfer einer Vergewaltigung meistens nicht laut aussprechen kann, was ihr/ihm widerfahren ist. Deshalb ist es wichtig, das Thema laut in der Öffentlichkeit anzusprechen, damit in Zukunft Täter nicht einfach in der Stille verschwinden können.

Doch „Menschliche Dinge“ stellt hier vielleicht eine der wichtigsten und aufreibendsten Fragen: Woher wissen wir, dass der Täter schuld ist? Können wir darüber urteilen, ohne dabei gewesen zu sein? Dem Zuschauer wird, wie bei dem deutschen Fernsehfilm „Terror“, die Aufgabe überlassen, Partei zu ergreifen. Yvan Attal zeigt, wie schwer es ist, ein Urteil zu fällen über eine Situation in der zwei Menschen eine jeweils andere Sichtweise der Ereignisse erzählen und niemand anderes dabei gewesen
ist.

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Ähnlich wie „Last Duell“ geht der Film auf beide Sichtweisen ein, aber erzählt keine zu Ende, sodass
„was wirklich geschah“ im Raum offen zurückbleibt. Der Zuschauer findet sich gegen Ende zwischen
zwei Fronten wieder: Glaubt man dem Mädchen nicht, zeigt dies auch, warum Missbrauchsfälle so selten
angezeigt werden.

Mila (Suzanne Jouannet) und Alexandre (Ben Attal)
Mila (Suzanne Jouannet) und Alexandre (Ben Attal) – Copyright Jérôme Prébois © 2021 CURIOSA FILMS

Menschliche Dinge bietet eine neue Sichtweise und andere Gedanken zum Thema

Filme wie „Die Jagd“ beweisen aber eben auch, dass durch Gerüchte und Falschaussagen, die entstehen können, einer unschuldigen Person Schaden zugefügt werden kann. So schafft es der Film, durch diese Gedanken, die einem augenblicklich durch den Kopf gehen, einen bitteren Beigeschmack zu hinterlassen. Charlotte Gainsbourg, welche die Mutter verkörpert und inzwischen eine wichtige Rolle im französischen Film innehat, wirkt recht zäh und einfallslos in ihrer Rolle.

Der Vater des angeklagten tanzt ebenso aus der Reihe und sein Auftritt vor Gericht wirkt etwas deplatziert und unglaubwürdig. Zumindest die beiden jungen Darsteller spielen ihre Rollen mit einer derart überzeugenden Kraft, dass ab den Gerichtsszenen die Spannung kaum auszuhalten ist.

„SMILE – SIEHST DU ES AUCH“ wird von einer beeindruckend engagierten Leistung von Sosie Bacon und einer sicheren Regie getragen

Da das Thema schon häufig aufgegriffen und immer jeweils anders umgesetzt wurde, bietet „Menschliche Dinge“ dahingegen eine neue Sichtweise und andere Gedanken zu dem Thema, gleichzeitig lenken Verhaltensmuster und Geschichten der Eltern, welche ebenfalls ausführlich erzählt werden, vom Hauptthema etwas ab. Man wünscht sich, dass die Vorgeschichte anderer Personen, welche nur einen kurzen Auftritt vor Gericht haben, als sie für den Angeklagten sprechen, mehr Spielraum gehabt hätten.

Fazit: Das immer enger werdende Bild der Rückblenden, hat eine beeindruckende Wirkung auf den Zuschauer und lässt ihn wieder zweifeln an den Aussagen vor Gericht. Letztendlich versucht Yvan Attals „Menschliche Dinge“, durch brillante Ideen anders auf das Thema aufmerksam zu machen, schafft es aber nicht gänzlich, diese Ideen auch vollständig auszubauen.

Film Bewertung: 6 / 10