Anzeige

TÀR Filmposter mit Cate Blanchett

Inhalt: Die renommierte Dirigentin Lydia Tár (Blanchett) hat alles: eine fantastische Wohnung, eine liebevolle Partnerin, eine bezaubernde Tochter und ihren Traumjob als Dirigentin der Berliner Philharmoniker. Sie steht vor der größten Herausforderung ihrer glanzvollen Karriere – der Einspielung von Gustav Mahlers monumentaler Fünfter Sinfonie. Aber als sich ihr Fokus auf alte und neue Begehrlichkeiten verlagert, beginnt ihr perfektes Leben zu bröckeln.

(L - R) Sophie Kauer als Olga Metkina und Cate Blanchett als Lydia Tár
(L – R) Sophie Kauer als Olga Metkina und Cate Blanchett als Lydia Tár in director Todd Field’s TÁR, Credit: Florian Hoffmeister / Focus Features

Film Kritik

Nichts in der Kurzbeschreibung von TÁR – eine berühmte Klassik Dirigentin arbeitet an einer Aufführung von Mahlers fünfter Symphonie – lässt auch nur im Entferntesten darauf schließen, dass es sich um einen der sehenswertesten Filme des Jahres handelt.

Doch Todd Fields Werk, das nach „In The Bedroom“ und „Little Children“ erst sein dritter Film in 20 Jahren ist, hat es in sich: eine komplexe, widersprüchliche Charakterstudie eines wahren Energiebündels. Die Auseinandersetzung mit der Frage, was es bedeutet, in der heutigen Zeit ein Künstler zu sein – Begriffe wie Machtverhältnisse im Beruf, Missbrauch und Cancel Culture werden klar und deutlich thematisiert – hat anscheinend das Beste aus Field und der Hauptdarstellerin Cate Blanchett herausgeholt, die zweifelsohne die Performance ihres Lebens abliefert.

Von Anfang an führt uns Field in die Irre. Nach einem kurzen Blick über die Schulter auf eine bissige Textnachricht von einer nicht identifizierten Quelle, beginnt TÁR mit einer schwarz-weiß ablaufenden Abspannsequenz, die der Regisseur wie ein Avantgarde-Komponist gegen unsere Gewohnheiten anwendet um uns einen vertrauten Rythmus vorzuenthalten.

Man neigt dazu, bei Wikipedia nachzulesen, ob die Dirigentin tatsächlich existiert

Der Film beginnt mit der gefeierten Dirigentin Lydia Tár (Blanchett) in einem langen Gespräch mit Adam Gopnik (The New Yorker), einem faszinierenden, eleganten Informationshäppchen. Wir erfahren, dass die EGOT-Gewinnerin Lydia Tár die erste weibliche Chefdirigentin der Berliner Philharmoniker ist (ihr Geschlecht ist weder für sie noch für den Film ein Thema), ein Protegé von Leonard Bernstein und im Begriff ist, die Leistung ihres Mentors zu übertreffen, indem sie eine Aufnahme von Mahlers Symphonie-Zyklus vollendet (sie erklärt auch auf hilfreiche Weise, was ein Dirigent eigentlich genau macht).

Menschliche Dinge schafft es leider nicht seine Ideen vollständig auszubauen

Es ist bekanntermaßen schwierig, einen Superstar im Film glaubhaft darzustellen, aber Field und Blanchett machen Lydia so authentisch – vom Bildband „Tár On Tár“ bis zu den sorgfältig durchdachten CD-Covern -, dass man fast dazu neigt, bei Wikipedia nachzulesen, ob die Dirigentin tatsächlich existiert. Um Tár herum gibt es eine Reihe von wunderbar ausgearbeiteten Nebenfiguren. Noémie Merlant ist exzellent als Francesca, Lydias pflichtbewusste, aber zunehmend unzufriedene Assistentin; Nina Hoss ist großartig als Sharon, Lydias Partnerin und Konzertmeisterin des Orchesters, die das Rückgrat in Társ Leben bildet. Sie ziehen gemeinsam eine Tochter auf, aber sie versteht, dass sie die zweite Geige hinter der „Musik“ spielt.

Sophie Kauer, eine echte Musikerin, ist perfekt in der Rolle der neuen Cellistin Olga, von der Tár fasziniert ist (es scheint nicht das erste Mal zu sein, dass sie auf eine jüngere Künstlerin fixiert ist). All diese Figuren wetteifern um Position und Aufmerksamkeit in Társ Leben, aber die Kontrolle bleibt bei der Meisterin. Jedenfalls so lange, bis sie es nicht mehr ist. Fields Inszenierung ist kalt, distanziert und von Angst durchzogen, und es scheint, als würde sich der Regisseur an seinem Protagonisten orientieren: Die Bilder sind so kontrolliert und kalkuliert wie die Figur Tár und deuten auf den verborgenen Konflikt unter der sorgfältig arrangierten Fassade hin.

Cate Blanchett als Lydia Tár
Cate Blanchett als Lydia Tár – Credit: © Courtesy of Focus Features

Der Film lebt von der Kraft der Musik

Das Drehbuch folgt weder einem ausgefeilten Plot noch vorhersehbaren Charakterbögen. Stattdessen ist Fields Erzählung ellipsenartig und fügt nie ganz die notwendigen Elemente ein (während des gesamten Films hat man das unheimliche Gefühl, dass Tár beobachtet wird). Das Ergebnis dieses unkonventionellen Ansatzes ist, dass man eine großartige Szene nach der anderen zu sehen bekommt, praktisch ohne Schnickschnack.

Berlinale 2023: Roter Himmel – Film Kritik

Noch beeindruckender ist, wie Field die seltene, unerforschte Welt der klassischen Musik in so fesselnden, akribischen Details präsentiert: die Arbeit an der Sinfonie (Blanchett spricht die Dialoge oft auf Deutsch), die Treffen mit der Plattenfirma, das Vorspielen neuer Orchestermitglieder, die kleinlichen Eifersüchteleien der Musiker. Das macht den Film zu einem umfassenden filmischen Universum, selbst für diejenigen, die beim Namen Beethoven an einen sabbernden Bernhardinerhund denken.

Der Film lebt auch von der Kraft der Musik, die im Mittelpunkt steht (hauptsächlich Mahler und Elgar, aber auch die verstörende Musik der Komponistin Hildur Guðnadóttir, die als eine von Tár unterstützte Komponistin eine Meta-Erwähnung erhält). Auf diese Weise spielt der Film mit Lydias Einflüssen – sie bastelt ständig an einer Melodie herum – aber auch eine eigene Stimme findet.

Cate Blanchett als Lydia Tár bei einer Orchester Probe
Cate Blanchett als Lydia Tár – Credit: © Courtesy of Focus Features

Ein Oscar für ihre Darstellung, sollte keine Überraschung sein

Im Herzen von allem leistet Blanchett großartiges, egal ob sie ein Schülerin bedroht, die ihre Tochter schikaniert („Ich bin Petras Vater… Ich werde dich kriegen“, warnt sie), laut auf einem Akkordeon spielt, um potenzielle Nachbarn abzuschrecken. Vor allem aber lobt sie die Schönheit von Bachs C-Dur-Präludium, um dann einen Studenten (Zethphan Smith-Gneist) fertigzumachen, der den „cis“ Mann als belanglos ablehnt.

„Die Architekten deiner Seele scheinen die sozialen Medien zu sein“, spottet Tár in einer bravourösen Auseinandersetzung, die ihr später zum Verhängnis wird. Aber das Beeindruckendste an Blanchett sind nicht die Fortissimo-Momente einer völlig kompromisslosen, selbstherrlichen Künstlerin.

Die Aussprache zeigt, dass die Schwere eines Traumas auch ohne Gewaltdarstellung sichtbar und spürbar ist

Es liegt vielmehr in der perfekt dosierten Performance, die uns nie vorverurteilt oder dazu drängt, mit Lydia zu sympathisieren, aber dennoch unseren Respekt abverlangt. Sie verkörpert eine Frau, die in kleinen Schritten an der Belastung zerbricht. Um ehrlich zu sein, es ist ein Privileg und eine Freude, ihr dabei zuzusehen.

Fazit: TÁR ist ein kleines Meisterwerk. Ein fesselnder, ausgereifter Film, großartig inszeniert von Todd Field und perfekt gespielt von einer virtuosen Cate Blanchett, die ihre Karriere mit Bravour die Krone Aufsetzt. Selten vergehen 158 Minuten so schnell.

Film Bewertung: 9 / 10

Anzeige