Genre: Musik Dokumentation | Produktion: DE 2022 | Laufzeit: ca. 115 Minuten
Regie: Cordula Kablitz-Post | Mit: H.P Baxxter, Sebastian Schilde und Michael Simon
Inhalt: Der Kinodokumentarfilm FCK 2020 von Regisseurin Cordula Kablitz-Post begleitet Deutschlands unangefochtene Techno-Superstars SCOOTER über die letzten zweieinhalb Jahre quer durch Europa – privat, im Studio, auf Reisen, auf Konzerten.
Der Titel ist programmatisch: FCK 2020, zugleich der Titel eines Scooter-Hits aus dem Jahr 2020, begegnet der pandemisch verordneten Vollbremsung aller Aktivitäten mit surrealem Humor, anarchischem Widerstandsgeist und packenden Live- und privaten Archivaufnahmen. Was tun, wenn eine Tournee von Scooter durch die größten Hallen und Festivals Europas kurzfristig auf den Sankt Nimmerleinstag verschoben wird?
Ansage an George, Booker und gute Seele von Scooter: Er soll die geplanten Termine und Auftrittsorte nicht aus den Kalendern in den Smartphones der Bandmitglieder löschen. Aus psychologischen Gründen. Damit die Illusion einer Jahrzehnte langen Routine erhalten bleibt. Er soll nur das Wort „verschoben“ einfügen.
Fette Beats, treibender Bass und Kirmes-Refrains. Alles irgendwie eine Spur dicker, lauter, krasser – wenn Scooter irgendwo läuft, dann merkt man das. Die Kult-Combo pflügt sich seit fast 30 Jahren durch das Nachtleben. Kordula Kablitz-Post hat Scooter jetzt mit einer mehr als sehenswerten Doku über die Zeit des Corona-Lockdowns sogar auf die Kino-Leinwand gebracht.
„Is everybody on the floor?“… Hach, was waren die 90er doch für eine tolle Zeit! Wer nicht dabei gewesen ist, der wird es nie wirklich wissen, egal wie viele Leuchtarmbänder er sich auf der Retro-Party umhängt. Alle mit der Gnade der frühen Geburt hingegen bekommen ein nostalgisch-verträumtes Lächeln, wenn sie daran denken, dass in den 90ern irgendwie alles möglich schien – politisch, zwischenmenschlich aber vor allem auch kulturell. Nur in den 90ern konnte ein blondierter Ostfriese namens Hans Peter sich die Augenbrauen zupfen, „Hyper Hyper“ in ein Mikrofon blöken und zur coolsten Sau Deutschlands werden.
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Scooter gehörten damals ohne Zweifel zur Speerspitze der Techno- und Eurodance-Welle, die über ganz Europa schwappte. Doch wer das „Projekt“ aus Hamburg damals für einen vorübergehenden Trend hielt, für eine Eintagsfliege, der musste dies bald revidieren.
Fast 30 Jahre später machen Scooter nach wie vor ihr Ding. Ihr Ding bedeutet: Sie fahren große Tourneen, füllen Hallen und produzieren neue Hymnen, die die Band zwar nie in die Nähe eines Literatur-Nobelpreises bringen werden, die aber problemlos jede feierwütige Menschenmenge in Bewegung bringt.
Ein Stück deutsches Kulturgut
In der Kombination aus Langlebigkeit und Relikt eines ganz bestimmten Zeitgeistes ist Scooter längst zu einem Stück deutschem Kulturgut geworden. Ein Phänomen, über dessen Architektur dem breiteren Publikum bis dato noch nicht allzu viel bekannt war. Diese Lücke wird nun gefüllt. Zwar gibt der Titel „FCK 2020 – Zweieinhalb Jahre mit Scooter“ die Corona-Pandemie und den Umgang der Band mit den Restriktionen als tehmatischen Schwerpunkt vor. Doch bleibt es nicht aus, dass der Zuschauer den gesamten Scooter-Kosmos einmal besser kennenlernt.
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Dafür wird das Feld von ganz hinten aufgerollt. Die Anfänge in der ostfriesischen Kleinstadt Leer, noch bevor Hans Peter Geerdes zu H.P. Baxxter wurde. „Ich wollte Synthie-Pop machen aber in Leer wusste niemand, was das ist“, berichtet Baxxter in seinem trockenen, leicht bräsigen Duktus, der seit jeher ein wichtiges Element seines Unterhaltungsfaktors ist.
Baxxter ist der klare Mittelpunkt des Films und der Band. Für das Gelingen des Unternehmens muss er bei guter Stimmung gehalten werden und so wird immer wieder deutlich, wie sein kongenialer Partner, der Label-Chef Jens Thele, alles weitere um ihn herum konstruiert – sei es Tour-Planung, musikalische Ausrichtung oder auch Mitmusiker.
Wenn H.P. „Barzwang“ ruft, müssen alle hören
Und so lernt der Zuschauer eine beeindruckende Persönlichkeit kennen, die auf der Bühne für hemmungslosen Hedonismus steht, deren Leben dahinter aber auch von beeindruckender Disziplin geprägt ist. Baxxter braucht in seinem Alltag offenbar klare Regeln und feste Abläufe. Dazu gehört der wöchentliche Friseurbesuch ebenso wie die unumstößliche Tatsache, dass nach Scooter-Auftritten (und auch zu diversen anderen Anlässen) hemmungslos gefeiert wird.
Das Kommando „Barzwang“ ist auf Tour Teil seines handelsüblichen Sprachgebrauchs und der gesamte Tross hat dem Folge zu leisten. Der deutlich jüngere Produzent und Synthie-Künstler Sebastian Schilde – der jüngst die Band verlassen hat – erzählt in einer Szene, wie kompliziert es für ihn gewesen sei, sich jenem Barzwang zu widersetzen und den Absprung ins Hotelbett zu schaffen.
Baxxter zeigt sich wie in diversen Interviews als grundsolide und ursympathisch. Ein Kerl, mit dem fast jeder auch gern mal ein von ihm mit chirurgischer Präzision handgemixtes Vodka-Mischgetränk vernichten würde und dabei über Gott und die Welt plaudern würde. Seine fast schon typenhafte Originalität macht es allerdings schwer einzuschätzen, wo die Kunstfigur aufhört und wo der Mensch dahinter beginnt.
Das hebt „FCK 2020“ von anderen Musiker-Dokumentationen ab, wie etwa von Kablitz-Posts Porträt der Toten Hosen. Emotionalere Statements oder Einschätzungen zu einem sozialen Gefüge kommen eher von Baxxters Mutter oder seinen früheren Mitstreitern Rick J. Jordan und Ferris Bueller, die während des Durchbruchs in den 90ern dabei waren, als die Berichterstattung von „Bravo“ und Co Scooter sogar zu Teenie-Stars gemacht hat.
Einblicke in den Kreativprozess von Scooter
Damals hatte Baxxter schon jahrelange und vergebliche Anstrengungen hinter sich, mit der Band „Celebrate the Nun“ zur deutschen Version von Depeche Mode zu werden. Sein Alter habe er dann von 30 auf 28 korrigiert, um für das neue Zielpublikum noch nahbarer zu sein. Der andere große Mehrwert dieser Musik-Doku besteht in der Möglichkeit, Einblicke in den Kreativprozess von Scooter zu gewinnen.
Wer mit den Songs mehr anfangen wollte, als zu hüpfen und ekstatisch die Gliedmaßen zu verbiegen, hat sich schon früh über die fast schon dadaistisch daherkommenden Texte gewundert. Baxxter macht kein Geheimnis daraus: „Wir tun so, als hätten wir irgendwas total wichtiges zu sagen.
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Dabei ist es einfach nur Nonsense“. Eine „Songwriting“- Session hat die Kamera eingefangen, als der Frontmann noch eine Strophe fertigstellen will und den, mittlerweile ebenfalls ausgestiegenen, Michael Simon fragt: „Michi, sag mal ein englisches Wort. Irgendeins.“ Simons Antwort: „Sophisticated“.
Fazit: Aus einer Doku über zweieinhalb Jahre Corona wurde ein Porträt über Scooter. Ein Musik-Act,
der in all seiner komplexen Beschaffenheit eine Singularität im deutschen und wohl auch internationalen Markt darstellt. Ein Porträt von Scooter ist automatisch ein Porträt von H.P. Baxxter.
Sowohl Fans als auch „neutrale“ Zuschauer lernen eine faszinierende Persönlichkeit kennen, die irgendwo zwischen stringentem Arbeits-Ethos, ungebremsten Freiheitsdrang und unvorstellbar sympathischer Selbstironie ihren ganz eigenen Weg gefunden hat – oder ihn vielleicht immer noch sucht.
Film Bewertung: 8 / 10
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