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Filmplakat zu Everything Everywhere All At Once

Genre: Fantasy / Sci-Fi | Produktion: USA 2022 | Laufzeit: ca. 139 Minuten | Regie: Dan Kwan, Daniel Scheinert

Mit: Michelle Yeoh, Stephanie Hsu, Jonathan Qe Kuan, Jamie Lee Curtis, James Hong, Jenny Slate, Harry Shum Jr., Andy Lee, Anthony Molinari u.a


Haben wir noch Multiversen? Das Konzept von Multiversen ist seit einigen Jahren der Aufreißer vieler Film- und Serienformate. Insbesondere das MCU bedient sich ausgiebig an der seit der Antike aufgefassten Idee, dass es Parallelwelten mit unendlichen Gegenstücken der eigenen Realität geben könnte, die ihren Ursprung in kleinsten Abweichungen des linearen Handlungsverlaufs finden.

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„Everything Everywhere All at Once“, der sich mit dem gleichen Sujet befasst und aktuell noch im Kino läuft, scheint unter dem Ballast der ganzen diesjährigen Reboots, Sequels, Prequels, MCU Filmen und semiguten Netflix- und Amazonproduktionen einigermaßen verschollen gegangen zu sein (zumindest in Deutschland). Schade, denn hier wurde ein Kultfilm herangezüchtet.


© Lionsgate

Inhalt: Die chinesische Einwanderin Evelyn (Michelle Yeho) führt mit ihrem Mann Waymond (Jonathan Ke Quan) eine halbwegs profitable, aber für sie nicht erfüllende Wäscherei.

Nebst Problemen mit der gemeinsamen Tochter Joy (Stephanie Hsu), deren Homosexualität Evelyn verleugnet, und ihrem konservativen Vater Gong Gong (James Hong), der sie in ihrer Jugend vernachlässigt hat, bäumen sich finanzielle Schwierigkeiten auf, die sie vor dem Finanzamt verantworten muss.

Evelyn trägt die existenzielle Sicherheit der Familie, umso schlimmer, dass ihr Ehemann bereits die Scheidungspapiere in der Hand hält und Evelyn zusätzlich ihre unerfüllten Träume und das nötige Equipment (Karaoke Maschine, Kleider usw.) fälschlicherweise von der Steuer absetzen wollte. Die Sachbearbeiterin (Jamie Lee Curtis) hat dafür kein Verständnis, Evelyns sowieso unglückliche Welt steht kurz vor dem Zusammenbruch – denkt sie, denn so richtig chaotisch wird es, als auf einmal eine alternative Version ihres Mannes in seinem Körper auftaucht und sie davor warnt, dass das gesamte Multiversum auf dem Spiel steht.

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Bedroht wird es von einer ominösen Person namens Jobu Tupaki, die droht, es zerstören zu wollen. Scheinbar ist Evelyn diejenige, die dieser Zerstörung als Einzige aus all den Universen entgegentreten kann…

© Leonine Studios

Moralische Diskrepanz in Parallelwelten

„Everything Everywhere All at Once“´s überbordender Titel repräsentiert den Film in seiner Dichte entsprechend. Die Werbeästhetik, basierend auf brachialer Reizüberflutung, lässt sich nicht abstreiten, schnelle Schnitte, irrsinnige Sound -und Musikorchestrierung beschwipsen den Zuschauer.

Aber daran ist nichts negativ zu konnotieren, denn so verrückt wie das Multiversum, so verrückt sind auch die Einfälle eines ungemein kreativen Drehbuch- und Regie Ensembles. Was Marvel seit geraumer Zeit mit seiner Ausdehnung in parallele Universen halbgar reüssiert, trifft bei

EEAAO den absolut richtigen Ton. Denn es geht hier nicht um einen universalen Masterplan, der dann im diegetischen Filmspektrum offengelegt wird, sondern um eine stete Rückbesinnung auf den Kern der Geschichte; der moralischen Wertigkeit vom Umgang miteinander.

© Lionsgate

Macht das Alles einen Sinn?

Was es vielen Multiversum Serien und Filmen schwer macht, ist es, die Bedeutung der Story noch
aufrecht zu erhalten. Denn wenn nichts eine Bedeutung hat, da man auf eine Parallelwelt ausweichen kann, welchen Sinn hat das Geschehen, die Figuren, das Narrativ? In diesem Film wird dies ganz klar und sehr smart aufgebrochen.

Die Verantwortung gilt immer dem Zeitabschnitt derjenigen Welt, die gezeigt wird und deren Menschen. Ob in der Wurstfingerparallelwelt und der Relevanz der Beziehung zwischen der Protagonistin Evelyn und Jamie Lee Curtis oder Evelyns Schauspielerin-Ich und ihrem Nicht- Ehemann. Eine besonders eindrückliche Szenerie ist die kongeniale Unterhaltung zwischen zwei Steinen über die/eine Existenzberechtigung.

Eigentlich ist in Anbetracht all der Universen alles egal, aber letzten Endes doch nicht, wenn man sich rückbesinnt, was und wer einem in seinem Umfeld eine Existenzberechtigung überhaupt gibt. Der Film weicht dabei Tropen und Klischees geschickt aus. Diese Erkenntnis ist dann die kathartische Auflösung und führt zur Bereinigung mehrerer Konflikte.

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Dass Evelyn die Gutmütigkeit ihres Mannes zu schätzen lernt, eine Freundschaft bzw. die Beziehung zu Curtis aufbaut, bzw. rettet, dass sie ihre Tochter loslassen kann und nicht aufgrund ihrer eigenen Vergangenheit (in der sie ihr Vater ohne Kampf gehen ließ) toxisch an sich klammert.

Zwar schmückt sich der Film mit Science Fiction/Action Ästhetiken, doch das Familiendrama ist der treibende Konflikt. Es werden moralische Welten erschaffen, deren Mittelpunkt und Entscheidungsträgerin immer Evelyn ist (weswegen sie auch die Einzige ist, die ihrer dysfunktionalen Tochter in Form von Jobu Tupaki Heilung bringen kann).

Was ist also die „wahre“ Realität? Spielt keine Rolle, zumindest nicht insofern, als dass man sich etwas aussuchen müsste. Wichtig ist der moralische Kompass und der Umgang mit den Worldmates.

© Lionsgate

Hier wird Kult geschaffen

Mit höchster Effizienz und Schaufreude wird neben der grandiosen Dramaturgie ein filmisches Spektakel aufgewiesen, dass den Status von EEAAO als Kultfilm konsolidieren wird. Referenzialität
und eine Ode an das Kino als Erlebniswelt in formidabler Auslegung machen den Film zu einem durchgängigen Vergnügen.

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Klare Anleihen an Matrix, diversen Martial Art und Kung Fu Klassikern mit Jackie Chan bereichern die eigeninitiierte Kreativität der beiden Filmemacher. Die Szene mit den für den Jump nötigen Analplugs hat allein schon Kultpotential. Weiterhin sind alle anderen Actionmomente vielfältig in ihrer Choreografie und die unkonventionellen Waffen (egal ob die Bauchtasche, ein Hund oder kleine Finger) enttäuschen oder langweilen nie.

Natürlich bieten multiuniversale Geschichten nahrhaften Boden für irrsinnige Ideen, aber solche Abstrusitäten suchen selbst in Relation zu Rick and Morty ihresgleichen.

© Lionsgate

Kreativität in allen Belangen

Herausragend und immersiv gestalten sich die Montage und die Bildsymbolik. An amüsanten Ideen
mangelt es nicht. Evelyns Parallel-Ichs als Katze, Hund, Baum, Traube, im Zoom Meeting vor einem
Greenscreen mit den Regisseuren oder Evelyn als Tinderprofil sind nur ein kleiner Ausschnitt aus
witzigen Gestaltungsinnovationen. Das gesprungene Glas-Motiv, die Jumps, die Montage bzw. die
Jump Cuts zwischen den Welten mit Evelyn im Fluchtpunkt, gelungene praktische Effekte – der

Massive Talent ist ein großes, albernes, zusammengewürfeltes Bündel voller Spaß

Produktionsaufwand, der Skill und die Kreativität sind definitiv mehr als Oscar-würdig. Lichtspektren,
die unzähligen Kostüme, der Sound (auch hier mit Anleihen, wie dem Super Smash Bros. Sound während einer der Kämpfe) sind so exzeptionell gut und umfangreich, dass hier wieder die Werte des traditionellen Kinos ausgegraben werden.

Kein CGI Feuerwerk, sondern technische Mittel (und günstige), die unfassbar gut angewandt werden, streuen die Kinomagie wieder über dem Saal aus. Und wenn all dies nicht reichen würde, besticht außerdem der Cast. Insbesondere Yeoh zeichnet sich durch die Vielfältigkeit ihrer emotionalen Darstellung aus. Auch Jonathan Quan als liebenswerter Waymond, den man vielleicht aus Indiana Jones wiedererkennen könnte, trägt als Evelyns Katalysator einen wunderbaren Gegensatz zu ihr aus.

Fazit: Everything Everywhere All at Once katapultiert das mittlerweile inflationäre Multiversum Spektakel auf eine neue Bedeutungssphäre und macht die Ermüdung des Universumgespringes obsolet. Die zahlreichen Referenzen und Anekdoten erzeugen in ihrer Skurrilität keine Abnutzung wie man es von anderen popkulturellen Wellenbrechern kennt, denn die „Daniels“ hinterlassen keinen kompositionellen Umstand willkürlich. Thematische Motive, moralische Entwürfe und inszenatorische Brillanz machen EEAAO zu einem der besten Filme der letzten Zeit.

Film Bewertung 9,5 / 10

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