DER FREMDE

Am 1. Januar 2026 startet Der Fremde in den deutschen Kinos. Mit seiner Neuinterpretation von Albert Camus’ gleichnamigem Klassiker, einem der einflussreichsten Romane des 20. Jahrhunderts, widmet sich François Ozon einem Stoff von zeitloser philosophischer Sprengkraft. Der Film erzählt die Geschichte des jungen Meursault, der Ende der 1930er Jahre in Algier wegen eines Verbrechens vor Gericht steht und weniger für seine Tat als für seine emotionale Unangepasstheit verurteilt wird. In der Hauptrolle überzeugt Benjamin Voisin, der nach Sommer 85 erneut mit Ozon zusammenarbeitet, mit einer eindringlich zurückgenommenen Darstellung des rätselhaften Einzelgängers.

Existenz, Gleichgültigkeit und ein schicksalhafter Moment

Algier, 1938. Meursault ist ein stiller, unauffälliger Angestellter Anfang dreißig. Ohne sichtbare Regung nimmt er an der Beerdigung seiner Mutter teil, beobachtet die Rituale, die Hitze, die Blicke der anderen, ohne ihnen eine erkennbare Bedeutung beizumessen. Bereits am nächsten Tag kehrt er scheinbar mühelos in den Alltag zurück, beginnt eine Affäre mit seiner früheren Kollegin Marie und lebt weiter in einer Welt, die ihm weder Trost noch Sinn zu versprechen scheint.

Diese fragile Normalität gerät ins Wanken, als Meursault in den Bannkreis seines Nachbarn Raymond gerät, eines aggressiven und manipulativen Mannes, der ihn in zwielichtige Angelegenheiten hineinzieht. An einem glühend heißen Tag am Strand kulminieren Hitze, Zufall und innere Leere in einem schicksalhaften Ereignis, das Meursault vor Gericht bringt. Dort steht weniger die Tat selbst im Zentrum als seine Unfähigkeit, gesellschaftliche Erwartungen an Trauer, Reue und Moral zu erfüllen.

© Weltkino Filmverleih

François Ozons zeitlose Neuinterpretation

François Ozon gelingt mit Der Fremde eine meisterliche Neuinterpretation von Camus’ Roman, die dessen existenzialistische Grundfragen ernst nimmt und zugleich filmisch neu auslotet. In betörenden Schwarzweißbildern entfaltet der Film eine Atmosphäre der Distanz und Entfremdung, die Meursaults innere Leere spiegelt und die koloniale Kulisse Algiers zugleich abstrakt und bedrückend erscheinen lässt. Ozon interessiert sich weniger für psychologische Erklärungen als für das Gefühl einer Welt, die Sinn verlangt, wo keiner zu finden ist.

Getragen wird der Film von einem erlesenen Ensemble. Benjamin Voisin verleiht Meursault eine fast provozierende Ruhe, die zwischen Verletzlichkeit und radikaler Gleichgültigkeit oszilliert. An seiner Seite überzeugen Rebecca Marder als Marie und Pierre Lottin als Raymond mit präzise gezeichneten Figuren, die Meursaults Fremdheit gegenüber der Welt noch deutlicher hervortreten lassen.

DER FREMDE
© Foz – Gaumont – France 2 Cinema – Macassar Productions, Foto: Carole Bethuel

Ein Höhepunkt in Ozons Œuvre

Der Fremde markiert einen künstlerischen Höhepunkt in François Ozons vielschichtigem Werk. Der Film feierte seine umjubelte Weltpremiere im Wettbewerb der 82. Internationalen Filmfestspiele von Venedig und wurde dort als ebenso respektvolle wie eigenständige Adaption eines literarischen Klassikers gefeiert. Ozon gelingt das Kunststück, Camus’ philosophische Kälte nicht zu glätten, sondern sie in kraftvolle, zeitlose Kinobilder zu übersetzen.

Mit seiner klaren Form, der konzentrierten Erzählweise und der kompromisslosen Haltung gegenüber seinem Protagonisten erweist sich Der Fremde als Film von anhaltender Aktualität. Eine Geschichte über Schuld, Sinnsuche und die Unvereinbarkeit des Einzelnen mit gesellschaftlichen Erwartungen, die auch fast ein Jahrhundert nach Camus’ Roman nichts von ihrer verstörenden Kraft verloren hat.