Berlinale Sektion Generation
Genre: Drama | Produktion: Schweden 2022 | Laufzeit: ca. 93 Minuten | Regie: Sanna Lenken
Mit: Sigrid Johnson, Ellen Taure, Oscar Töringe, Iggy Malmborg, Adam Daho | FSK: noch keine Wertung (empfohlen ab 10 Jahren)
„Mama, du hast immer geweint. Und dann bist du gestorben. Jetzt weinen alle anderen. Außer mir.
Ich weigere mich zu weinen. Ich will nicht wie du sein. Ich will nicht depressiv sein und sterben.“
Inhalt: Weinen will Sasha nicht. Sie ist wütend. Wütend auf ihre Mutter, die sich das Leben genommen hat. Um nicht so zu werden wie sie, stellt die 13-Jährige eine Überlebensliste auf. Erstens: die langen Haare abschneiden, zweitens: keine Bücher mehr lesen, drittens: sich niemals um ein lebendiges Wesen kümmern und viertens: eine Comedy Queen werden, um den Vater wieder zum Lachen zu bringen.
Auf dem Weg dorthin kann Sasha auf die Unterstützung von Freund*innen und Familie zählen, auch wenn diese manchmal ratlos zurückbleiben. Unter anderem, wenn Sasha einen ihrer schlechten Witze zum Besten gibt.
Sasha weint nicht mehr, sie will auch keine Bücher mehr lesen oder auf irgendwelche Lebewesen
aufpassen. Außerdem möchte sie Comedy Queen werden, denn sie möchte das komplette Gegenteil ihrer Mutter sein.
Ihre Mutter war immer traurig, las viele Bücher und hat auf Sasha aufgepasst. Dann war sie plötzlich nicht mehr da. Ihre Depression hat ihr das Leben genommen. Sasha und ihr Vater sind nun auf sich allein gestellt. Ihr Vater weint nun sehr viel und Sasha hat sich vorgenommen, ihn wieder zum Lachen zu bringen.
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Dafür braucht sie ein paar gute Witze und eine Bühne für ihre Stand Up Comedy Show, welche sie in der Bar ihres Onkels findet. Doch dann stellt sich ihr die Trauer in den Weg, die Tränen, die sie kaum noch zurückhalten kann und das Geburtstagsgeschenk ihres Vaters: ein Hund, also ein Lebewesen, um das sie sich kümmern muss.
Das geht allerdings gegen ihre selbst auferlegten Regeln. Sanna Lenken hat ein Gespür für Themen, welche auch Kinder beschäftigten. Das hatte sie 2015 schon mit „My Skinny Sister“ bewiesen, der von der Magersucht der großen Schwester handelte. In Comedy Queen packt sie erneut ein sensibles Thema an.
Sigrid Johnson gehört die Bühne
Es geht um Verluste, vielmehr um den Verlust eines Elternteils und dieser ist nicht durch eine körperliche Krankheit herbeigeführt worden. Das Thema Depression, das seit den Anfängen der Corona-Pandemie immer mehr in den Mittelpunkt der Gesellschaft gerückt ist, wird hier aufgegriffen.
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Die 13-järhige Sasha hat Angst, dass sie wie ihre Mutter werden könnte. Immer traurig sein, das
möchte sie nämlich auf keinen Fall. Dabei spielt die Hauptdarstellerin Sigrid Johnson für ihr junges
Alter so atemberaubend, dass sie alle erwachsenen Darsteller in den Schatten stellt. Ihr gehört die
Bühne und das mit allen noch so feinen Emotionen und der humorvollen Ader der Sasha.
Die Momente, in denen Sasha auf dem Boden liegt und versucht, die Tränen wieder zurück ins Auge
fließen zu lassen, um nicht zu zeigen, dass die Trauer auch sie übermannt, zeigen die Wucht dieser
Emotion. Johnson spielt diese mit einer so gekonnten Darbietung, dass man fürchtet, Sasha könne jederzeit in tausend Stücke zerbrechen.
Der Film befolgt die Grundregel: mehr zeigen, weniger erklären
Dabei muss Sasha feststellen, dass die Stärke nicht darin liegt, die Gefühle zurückzuhalten, sondern sie zu teilen. Auch hier findet der Film die richtigen Momente und die richtigen Worte. Es braucht nicht viel Dialog, um zu vermitteln, wie Sasha sich fühlt oder um zu sagen, was sie denkt.
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Hier ist das schwedische Drama vielen deutschen Kinderfilmen voraus, die häufig allzu explizit zu erklären versuchen, was ein Kind im Film gerade durchmacht. „Comedy Queen“ vertraut darauf, dass die Gefühle der Sasha ausreichen, um zu zeigen, was in ihr vorgeht und auch, wie sie die Trauer bewältigen kann.
Aber nicht nur Johnson als Sasha allein hat eine wahnsinnig intensive Wirkung. Die Tochter-Vater-
Momente im Film sind die, welche ebenfalls tief berühren. In vielen Filmen sind es die Mütter-Töchter-Momente, die in Erinnerung bleiben. Umso schöner ist, zu sehen, dass Sasha und ihr Vater so gut harmonieren.
Ein packendes Drama
Die Kamera, welche in manchen Momenten auf das Haus gerichtet ist und die kleine Welt von Sasha und ihrem Vater von außen zeigt, gleichzeitig aber auch ihre Verletzlichkeit widerspiegelt, hat einen so interessanten Blickwinkel, dass es manchmal ausschaut, als wie ein winziges Puppenhaus mit einer riesigen Welt vor der Tür.
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Dann ist die Kamera auch immer wieder nah bei Sasha, zeigt ihre Augen in einer Nahaufnahme, wie
diese mit aller Kraft versuchen, die Tränen zurückzuhalten. Jede noch so feine Gefühlsregung von Sasha wird immens groß auf der Leinwand gezeigt und lässt sie als Figur zerbrechlich wirken. Gegen Ende sind es aber dieselben Tränen, welche nun frei über Sashas Gesicht laufen und sie nun stark erscheinen lassen.
Fazit: Es ist ein packendes Drama, das noch stärker wird durch die phänomenale Darbietung der Sasha, dass einem nach dem Film die Worte fehlen für so viel Feingefühl im Umgang mit der Krankheit und im Umgang mit der Aufbereitung der Geschichte. Das zeigt auch, dass Kinderfilme nicht platt sein müssen und auch genauso die Erwachsenen erreichen, wenn sie gut erzählt sind.
Film Bewertung 10 / 10