Genre: Dokumentarische Form | Produktion: Belgien 2022 | Laufzeit: ca. 87 Minuten
Regie: Olivia Rochette und Gerard-Jan Claes | Mit: Billie Meeussen, Lucas Roefmans, Romane Van Damme, Charlotte Meyntjens, Rana Hamzaoui, Gaspard Renier, Victoria De Man
Weltpremiere bei der Berlinale (11.02.22 ) | FSK: noch keine Wertung (empfohlen ab 14 Jahre)
„Ich würde es nicht Verliebtsein nennen. Aber ich liebe dich.“
Inhalt: Die Schulzeit endet und große Entscheidungen stehen bevor: Wie diesen einen langen Sommer am besten nutzen? Wo und was studieren? Als Paar zusammenziehen oder lieber mit Freund*innen in eine WG? Die Zukunft scheint verheißungsvoll.
Die Beziehung von Billie und Lucas fühlt sich dagegen plötzlich gar nicht mehr aufregend an, sondern vor allem bequem und vertraut. Lucas macht einfach weiter, mit seinen Samples, den Auftritten mit Charlotte. Billie sucht nach Neuem. Neuen Gewohnheiten, neuen Gefühlen. Was bleibt, ist die Zuneigung zueinander.
Erste große und vor allem eigene Entscheidungen stehen an als die Schulzeit von Billie und Lucas endet. Das sie zusammen bleiben wollen steht außer Frage.
Doch was wird sich ändern, wo werden sie sich als Menschen einzeln hin entwickeln? Schon die Frage was sie studieren wollen raubt Billie erst einmal die Nerven. Sie traut sich nicht sich für ein Studium einzutragen, denn dann kann sie es nicht mehr rückgängig machen. Sie will eigentlich mit Lucas zusammenziehen, dieser wehrt sich vor dem Gedanken. Es ist doch alles gut so wie es ist. Doch dann beginnt Billie zu zweifeln.
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Was wenn sie nicht mehr so empfindet für Lucas wie bisher? Vielleicht sind sie schon zu lange zusammen, vielleicht hat sich zu viel Alltag zwischen ihnen breit gemacht? Billie will eine Auszeit haben. Und dann kommt auch noch Corona und verändert wieder alles. Wie „Shabu“, der dieses Jahr bei der Sektion Generation läuft, ist „Kind Hearts“ eine Mischform zwischen Dokumentation und Spielfilm. Hier finden wir nicht einmal die typische dokumentarische Kamera wieder.
Wahnsinnig schöne cineastische Bilder prägen den Großteil des Films. Gegen Ende wechselt die Kamera auch mal in Laptop Aufnahmen, während Skype Gesprächen. Dennoch bleibt „Kind Hearts“ noch mehr ein erzählter Spielfilm als „Shabu“. Der Regisseur selbst erklärte hierzu, dass er immer, wenn etwas zwischen Billie und Lucas passierte, die Kamera laufen ließ in einem langen Take. Währenddessen machte er sich Notizen.
Erst danach nahmen sie das was geschehen war nochmal in einigen Variationen auf. Das merkt man vor allem in Szenen in denen Billie und Lucas chatten und die Kamera in Billies und Lucas Zimmer gleichzeitig ist. Was in den meisten Dokumentationen nicht möglich ist, wenn Momente direkt eingefangen werden während sie passieren.
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Jedoch merkt man den beiden Hauptcharakteren der Doku nicht an, dass Szenen nochmals gedreht wurden. Sie wirken so natürlich vor der Kamera, so sie selbst, dass man schnell ein Gefühl für die beiden bekommt. Gespräche, die auch mal stehen gelassen werden. Die Hektik, die aus allem rausgenommen wird, nichts muss schnell geschehen, auch der Gedanke der Trennung hängt ja eine Weile in der Luft.
Intime Einblicke in die Gefühlswelt der beiden Protagonisten
Lucas, einer der beiden Hauptcharaktere, erzählt in dem Interview nach der Premiere das er in keinem Moment auf der Leinwand das Gefühl hatte, das er nicht so dargestellt wurde, wie er ist. Er schämte sich sogar dafür das man nun wissen würde, wie er in der Beziehung zu Billie gewesen war.
Es sind tiefe Intime Einblicke in die Gedanken und Gefühlswelt der beiden. Die erste Szene auf einem Kettenkarussell ist gleich eine starke, wunderschön eingefangene Sequenz. Wir drehen uns mit Billie und Lucas im Kreis. Metaphorisch steht das sich drehen vielleicht für das Drehen um sich selbst oder das Drehen um ihre Liebe oder um die Ungewissheit, wo es hingehen wird.
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Aber nicht nur die metaphorischen Abspiegelungen funktionieren in diese Szene. Es werden auch die anderen Mitfahrer des Fahrgeschäftes gezeigt und ihre Sorgen und Ängste, die sich bei den unterschiedlichen Altersklassen stark unterscheiden.
Eine offene und ehrliche Betrachtung der ersten Liebe
Eine solche Szene als Eröffnungssequenz zu zeigen, zeigt gleichzeitig wie grandios die beiden Filmemacher sind. Musikalisch spiegeln die Beats von Lucas wider, wie er sich fühlt und was er denkt, mit dem Gesang von Meyy, einer Sängerin, mit welcher Lucas auch im Film zusammen arbeitet, ergeben diese ein schönes Klangmuster, welches einen den Film über begleitet.
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Das Thema Trennung wird selten in Filmen behandelt. Es nun in dieser Art auf der Leinwand zu sehen ist schon lange überfällig. Es zeigt das auch Liebe vergehen kann und nicht unendlich ist wie viele andere Filme es einem einreden wollen.
Fazit: Es ist eine offene ehrliche Betrachtung über eine erste Liebe, welche auch mit Fragen wie: Kann es noch so weitergehen, behaftet ist. Trotz kleiner Längen ist dieser Film eine schmerzlich schöne Erfahrung, zeigt Einblicke in eine junge Beziehung wie selten eine Doku es bisher geschafft hat, und lässt Billie und Lucas dennoch genug Platz sich zu entwickeln. Film Bewertung 9 / 10