ZWEITLAND

Inhalt: Südtirol, 1961: Eine Serie separatistischer Bombenanschläge erschüttert die Region. Für die deutschsprachige Minderheit ist es ein Kampf um kulturelle Identität – für die italienischen Behörden ein Akt des Terrorismus. Inmitten dieser explosiven Lage stehen die Brüder Paul (Thomas Prenn) und Anton (Laurence Rupp), deren Lebenswege unterschiedlicher kaum sein könnten. Paul träumt davon, der Enge des Bergdorfs zu entfliehen und in der Stadt Malerei zu studieren. Anton hingegen ist fest entschlossen, seine Heimat und Sprache mit allen Mitteln zu verteidigen – selbst wenn Gewalt der Preis ist.

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Familienbande im Schatten der Feuernacht – Loyalität oder Selbstverwirklichung?

Mit ZWEITLAND gelingt Michael Kofler ein bemerkenswerter Film, der politische Geschichte nicht als abstrakten Hintergrund begreift, sondern als unmittelbare Kraft, die tief in das Leben einzelner Menschen eingreift. Der Film verknüpft historische Umbrüche mit familiären Zerreißproben und erzählt von Loyalität, Verantwortung und der Frage, wie viel Selbstbestimmung in Zeiten äußerer Bedrohung möglich bleibt. Es ist ein ruhig erzähltes, aber intensives Drama, das seine Wirkung nicht aus großen Gesten, sondern aus inneren Konflikten zieht.

Im Mittelpunkt stehen zwei Brüder, deren Leben durch ein Attentat dramatisch aus der Bahn geworfen wird. Als Anton untertauchen muss, um sich staatlicher Verfolgung zu entziehen, bleibt für die Familie nichts mehr, wie es war. Sein Bruder Paul stellt seine eigenen Pläne zurück, um Antons Frau Anna und den gemeinsamen kleinen Sohn zu unterstützen. Was als selbstverständlicher Akt familiärer Solidarität beginnt, entwickelt sich schrittweise zu einer existenziellen Belastungsprobe. Paul ist keine laute Figur. Er wirkt bedacht, zurückhaltend, fast scheu im Umgang mit seinen eigenen Bedürfnissen.

Gerade darin liegt die Stärke seiner Darstellung. Thomas Prenn gelingt es, diese Zerrissenheit mit großer Sensibilität sichtbar zu machen. Seine Figur trägt Verantwortung aus Überzeugung, nicht aus Pflichtgefühl. Doch mit jedem Tag, den Anton im Untergrund bleibt, wächst die Last dieser Verantwortung. Zweitland zeigt diesen Prozess nicht als explosiven Bruch, sondern als schleichenden Vorgang. Der Preis familiärer Treue wird spürbar, ohne je laut ausgesprochen zu werden. Gerade darin entfaltet sich die emotionale Kraft der Figur.

Zwischen Loyalität und Selbstverlust: Pauls innere Zerrissenheit

Während Paul innerlich erstarrt, durchläuft Anna eine kaum wahrnehmbare, aber umso kraftvollere Entwicklung. Aenne Schwarz verkörpert sie mit einer Zurückhaltung, die nie in Passivität kippt. Anna ordnet sich nicht länger den patriarchalen Strukturen unter, die ihr Leben bestimmen. Ihr Widerstand ist leise, aber unbeirrbar. Er äußert sich nicht in großen Reden, sondern in kleinen, konsequenten Entscheidungen. Der Film zeichnet diesen Emanzipationsprozess mit großer Genauigkeit. Anna erkennt, dass ihr Leben nicht länger allein durch Antons politische Überzeugungen definiert werden darf.

Sie beginnt, ihre eigene Stimme zu finden. Diese Entwicklung bringt das fragile Gleichgewicht zwischen den Brüdern ins Wanken. Denn Annas Selbstbestimmung stellt nicht nur familiäre Rollenbilder infrage, sondern auch Antons Selbstbild als politischer Kämpfer. Anton selbst bleibt rätselhaft. Er ist präsent und gleichzeitig abwesend. Laurence Rupp verleiht der Figur eine Mischung aus Überzeugungskraft und kompromissloser Sturheit. Anton glaubt an seine Sache.

Doch Kofler romantisiert diesen Glauben nicht. Vielmehr zeigt er die Schattenseiten politischer Radikalität, vor allem für jene, die zurückbleiben. Er ist getrieben von Idealen, aber blind für die Konsequenzen. Seine Entscheidungen sind folgerichtig aus seiner eigenen Logik heraus, aber zerstörerisch für das familiäre Gefüge. Genau in dieser Ambivalenz liegt die Stärke der Figur. Der Film zeigt keinen Helden. Er zeigt einen Menschen, der an seinen Überzeugungen festhält, selbst wenn er damit alles andere riskiert.

ZWEITLAND
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Anton zwischen Ideologie und Verantwortung

Kofler inszeniert Zweitland ohne pathetische Überhöhung. Die Landschaftsbilder Südtirols sind nicht bloß Kulisse, sondern Spiegel innerer Zustände weit und erhaben, aber auch rau und unbarmherzig. Die Kamera fängt das Wechselspiel aus Nähe und Distanz in der Familie ein, verweilt auf Blicken, Gesten und unausgesprochenen Spannungen. Thomas Prenn verleiht Paul eine verletzliche Wärme, die stets mit innerer Unruhe unterfüttert ist. Laurence Rupp verkörpert Anton mit einer Mischung aus Überzeugungskraft und sturer Unnachgiebigkeit, während Aenne Schwarz als Anna subtil, aber kraftvoll den feministischen Kern der Geschichte trägt.

Diese Zurückhaltung erzeugt eine Atmosphäre, die zugleich erhaben und rau erscheint. Der Film vertraut darauf, dass sich Emotionen in der Stille verdichten. Gerade dadurch entfaltet sich eine Intensität, die lange nachwirkt. Das Drama entsteht weniger aus äußeren Ereignissen als aus innerer Reibung. ZWEITLAND erzählt nicht nur von einer konkreten historischen Situation. Er stellt zeitlose Fragen. Was schulden wir unserer Familie. Was schulden wir uns selbst. Wie weit dürfen Überzeugungen gehen, bevor sie zu Lasten anderer werden.

Der Film bleibt dabei stets auf Augenhöhe mit seinen Figuren. Er verurteilt nicht, er idealisiert nicht. Er beobachtet. Gerade diese Haltung verleiht dem Werk seine politische Relevanz. Der Film zeigt, wie große Ideologien in den kleinen Geschichten der Menschen sichtbar werden. Er erzählt von Verantwortung, Schuld, Hoffnung und der Möglichkeit von Veränderung.

Fazit: Mit ZWEITLAND gelingt Michael Kofler die politische Geschichte und persönliche Tragödie zu einem dichten, emotional aufgeladenen Drama zu verbinden. Getragen von starken Darstellerleistungen und einer sensiblen Bildsprache entsteht eine Film, der sich nicht aufdrängt, sondern sich Schicht für Schicht entfaltet, weil er keine einfachen Antworten liefert. Und weil er genau dort hinsieht, wo es weh tut.

Film Bewertung 7,5 / 10