Genre: Musical / Drama | Regie: Lin-Manuel Miranda | Mit: Andrew Garfield, Alexandra Shipp, Vanessa Hudgens, Joshua Henry | Laufzeit: ca. 115 Minuten | Erscheinungstermin: Seit 11. November auf Netflix
Inhalt: Der aufstrebende Komponist Jonathan Larson (Andrew Garfield) kämpft darum, seine Rockoper Superbia auf die Bühne zu bringen. Er braucht einen neuen Song für den zweiten Akt, seine Freundin Sarah (Alexandra Shipp) will umziehen und – das Schlimmste – er wird bald 30.
Wenn ihr zu den Menschen gehört, die bei Musicals einen Ausschlag bekommen, wird euch Tick, Tick… Boom! nicht vom Hocker reißen. Das Regiedebüt von Lin-Manuel Miranda, der das Musical „Hamilton“ geschrieben hat, handelt von Jonathan Larsons eigenen Schwierigkeiten als Songschreiber, ist vollgestopft mit Dingen, an denen sich die Musical-Hasser die Zähne ausbeißen werden.
So gibt es z. B. improvisierten A-cappella-Gesang, der aber nur mit einer tiefen Liebe zum Musical, ein paar gute Songs und eine gelungene Wendung zur dunklen Seite im letzten Akt funktioniert. Tick, Tick… Boom! wurde von Steven Levenson, dem Autor von Dear Evan Hansen, adaptiert.
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Das Stück wechselt zwischen Larson (Andrew Garfield), der auf der Bühne am Klavier sitzt und zusammen mit einer Sängerin und einem Sänger (Vanessa Hudgens, Joshua Henry) von seinem Leben erzählt-und den Abschnitten in der realen Welt, wo seine Probleme behandelt werden.
Zwischen Rührend und Skurril
Im Mittelpunkt steht dabei die Tatsache, dass er 1990 seinen 30ten Geburtstag feiern wird – der Titel bezieht sich auf die tickende Uhr – und dass er den Durchbruch seines Idols Stephen Sondheim noch nicht erlebt hat.
Sein jüngstes Werk Superbia, ein dystopisches Rock-Musical über einen vergifteten Planeten (Greta Thunberg hätte ihre helle Freude daran), befindet sich auf dem Weg zu einem Workshop, um für eine Aufführung zu proben. Doch Jon hat es immer noch nicht geschafft, einen Killer-Song für den zweiten Akt zu schreiben. Aber woher soll er die Inspiration nehmen?
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Für Filmverhältnisse sind das Probleme, in die man nur schwer eintauchen kann. Außerdem enthält der Streifen einige skurrile Darstellungen der kreativen Tätigkeit, so dass man die Glühbirnen auch über Larsons Kopf hätte aufleuchten lassen können. Rührender ist die Art und Weise, wie seine musikalischen Obsessionen die Menschen in seinem Leben entfremden.
Insbesondere Freundin Susan (Alexandra Shipp), die eine neue Stelle in den Berkshires (New York) erhalten hat und wissen will, inwiefern Jon sich ihr und seinem Jugendfreund Michael (Robin de Jesús) anschließen wird, der seine eigenen Schauspielerträume aufgegeben hat und sich wünscht, dass Jon mit seinen musikalischen Ambitionen endlich Ernst macht.
Mirandas rasanter Wortwitz fehlt
Wie von den Machern nicht anders zu erwarten, ist Tick, Tick… Boom! von der Liebe zum Musical geprägt, von Anspielungen auf die Broadway-Geschichte bis hin zu einem grandiosen, skurrilen Cameo-Auftritt von Bradley Whitford als Sondheim.
Auch einige der Songs kommen sehr gut rüber. Boho Days“, eine von rhythmischem Klatschen getragene Lobhudelei auf das Leben im New Yorker Künstlermilieu, ist verdammt nervtötend, aber sehr überzeugend. Why“ ist eine schöne Hommage an die Freundschaft, die auf der Leidenschaft für Musik beruht.
Weitere Stücke – wie „Sunday“, ein Gruß an Menschen, die am Wochenende zu viel Geld beim Brunch ausgeben – tragen wenig zum Fortgang der Geschichte bei und tappen oft in die Falle eintöniger, klaviergetriebener Rockmelodien. Larson fehlt Mirandas rasanter Wortwitz. Die Filmmusik wird nicht von Miranda vorangetrieben, der zwar immer gekonnt Regie führt.
So ist „No More“, Mikes Liedchen über das Leben in einer schicken Wohnung, seine ehrgeizigste Sequenz, in der er zwischen schmuddeligen Mietshäusern und Wohnungen mit Echtholzparkett hin und her wechselt. Aber nur selten findet er filmische Mittel, um ihnen den nötigen Schwung zu verleihen.
Das letzte Drittel überzeugt als Drama
Garfield, schon immer ein sympathischer Schauspieler, der mutig Larsons lächerliche Frisur präsentiert, die im Drehbuch erwähnt wird, trifft Larsons Selbstverliebtheit, bringt aber erst im letzten Drittel des Films weitere Nuancen ein.
Erst im letzten Drittel schlägt der Film eine ernstere Gangart ein. Hier spürt man das Gewicht von Jons Beziehungen – Shipp und de Jesús sind sympathische Gegenspieler; man fühlt mit ihnen – und der Film findet bewegende emotionale Töne, ohne rührselig zu sein. Vielleicht deutet der letzte Akt darauf hin, dass Miranda, sobald er sich von seinem Musikbereich wegbewegt, möglicherweise einen starken Dramaturgen in sich trägt.
Fazit: Lin-Manuel Mirandas Regiedebüt ist ein liebevoller, wenn auch holpriger Valentinsgruß an das Musical-Theater und die Kunst der Kreativität – ein paar schlechte Noten, ein paar starke Momente. Tick, Tick… die Jury hat entschieden.
Film Bewertung 6 / 10
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