2020 ‧ Horror/Abenteuer ‧ 1 h 51 min |
Regie: Neil Marshall | Musik von: Christopher Drake
Drehbuch: Charlotte Kirk, Neil Marshall, Edward Evers-Swindell
Story: England im 17. Jahrhundert. Nachdem sie ihren Mann (Joe Anderson) durch die Große Pest verloren hat, wird Grace Haverstock (Charlotte Kirk) von Squire Pendleton (Steven Waddington) als Hexe gebrandmarkt und unter Arrest gestellt. Als sie beim Verhör nicht nachgibt, schaltet Pendleton den furchterregenden Richter Moorcroft (Sean Pertwee) ein, der schon Graces Mutter auf dem Scheiterhaufen verbrannte.
Film Kritik:
von Ilija Glavas
Wenn ihr jemals von einem Film geträumt habt, in dem Sean Pertwee in Zeitlupe auf einem Pferd reitet, einen riesigen Hut trägt und dazu dröhnende Orgelmusik spielt, dann ist The Reckoning genau das Richtige für euch.
Neil Marshall kehrt mit seinem ersten Film, seit seiner glanzlosen Hellboy-Adaption, zum britischen Horror – und zu Pertwee – in TV Format zurück. The Reckoning erzählt eine fiktive Geschichte, die sowohl die Große Pest als auch die englische Hexenjagd des 17. Jahrhunderts zum Thema hat und handelt von einer kürzlich verwitweten Mutter, die fälschlicherweise beschuldigt wird, mit dem Teufel im Bunde zu stehen.
Marshalls Ansatz meidet sowohl die düsteren, fesselnden Qualitäten des ähnlich gelagerten Witchfinder General als auch den reißerischen Spaß der Hammer Studios und landet stattdessen auf einem unbefriedigenden Mittelweg zwischen beiden. The Reckoning hat gute Absichten – scheinbar, um die tief verwurzelte Frauenfeindlichkeit innerhalb der Epoche und des Genres zu korrigieren – doch er tappt in die Falle, zu dem zu werden, was er scheinbar zu dekonstruieren versucht.
Zu Eindimensional für einen Horrorfilm, der seine gewünschte Dekonstruktion verpasst
Es beginnt unbeholfen mit einem Prolog, der den Kontext Pest/Hexenjagd skizziert. Das Ganze gefolgt von einer übertriebenen Sequenz, die den letzten gemeinsamen Tag von Grace (eine spielfreudige Charlotte Kirk) und Ehemann Joseph (Joe Anderson) zeigt, die nun Witwe ist und damit kämpft, ihren verstorbenen Gatten zu begraben, der Selbstmord begangen hat, um seine Frau vor der Krankheit zu retten.
Da sie sich den anfänglichen Versuchen widersetzt, ihre angeblichen Verbrechen einzugestehen, schaltet Pendleton Richter Moorcroft (Sean Pertwee) ein – von dem wir erfahren, dass er Graces Mutter auf dem Scheiterhaufen verbrannt hat – um die Schrauben bei Grace anzuziehen, indem er ihr den Schlaf verweigert, ihre Fußsohlen durchsticht und das gefürchtete Foltergerät Pear Of Anguish – man denke an den Dildo aus der Hölle – einsetzt.
In der Folge wird der Film zu einem eindimensionalen Kampf der Willenstärke, da Grace nicht zugeben will, etwas zu sein, was sie nicht ist, und Moorcroft alle möglichen Tricks ausprobiert, um sie zu einem Geständnis zu zwingen. Pertwee, der ironischerweise „nur“ seinen Job macht, statt Spaß daran zu haben, liefert mit Begeisterung reife, auf den Punkt gebrachte Zeilen, wie „Mein Wille ist größer als deiner“ .
Unfreiwillig Zeitgemäß und mit viel Widerspruch behaftet
Der Film hätte mehr aus Pertwees toller Energie machen können. Er ist zu stilisiert und sauber, um ein authentisches period piece zu sein, aber nicht vulgär genug, um als Grindhouse-Material durchzugehen.
Immer wieder wird die Geschichte durch unnötige Traum-/Fantasiesequenzen unterbrochen, die Graces Dämonen und Ängste heraufbeschwören, um gut ausgeführte, aber billige Gruselgeschichten zu liefern. Das vielleicht Gruseligste an The Reckoning ist, wie gruselig zeitgemäß er ist. Obwohl der Film vor Covid-19 konzipiert und produziert wurde, hat er etwas Unheimliches an sich, nämlich das Gefühl der sozialen Distanzierung oder die Denunzianten Mentalität, die zur Verfolgung führt.
Es gibt auch einen „Zeit der Veränderung“-Strang in der Geschichte, in der Frauen misshandelt, unglaubwürdig gemacht und verfolgt werden. Doch trotz aller Bilder der „weiblichen Emanzipation“ – Kirk hat das Drehbuch zusammen mit Marshall und Edward Evers-Swindell geschrieben – hat man das Gefühl, dass der Film ständig Szenen von Frauen zeigt, die geschlagen, betatscht – es gibt eine versuchte Vergewaltigung – gefoltert und verbrannt werden (Stichwort: schreckliches CGi-Feuer), um zu unterhalten.
Fazit: „The Reckoning“ ist zu stilisiert und glattgebügelt, um ein authentisches Werk der Zeitgeschichte zu sein, aber nicht vulgär genug, um als Grindhouse-Material und Horror-Perle zu bestehen. Das der Ansatz, dass die Dämonen, die man ruft, durch eigenes Handeln auch erschaffen werden, hier vollkommen untergeht, ist nur ein Punkt, auf der Linie der Enttäuschung, welches das Drehbuch liefert.
Es gibt auch verschenktes Potenzial bei interessanten weiblichen Charakteren, wie Graces beste Freundin Kate (Sarah Lambie), Moorcrofts Assistentin Ursula (Suzanna Magowan), die vernarbt ist, weil sie eine Verbrennung überlebt hat, die nur am Rande skizziert werden und auf eine Nebenrolle reduziert sind. Das ist schade, denn die Story-Welt birgt reichlich Potenzial für klassische Gruselgeschichten und moderne Statements. Leider ist The Reckoning Jahrhunderte davon entfernt.
Wertung: 4,5 / 10