Genre: Drama | Produktion: IRL / USA/ GB 2022 | Laufzeit: ca. 114 Minuten | Regie: Martin McDonagh Mit: Colin Farrell, Brandon Gleeson, Kerry Condon, Barry Keoghan u.a.
Kinostart in Deutschland: 05. Januar 2023
Inhalt: Die kleine irische Insel Inisherin, 1923. Pádraic (Colin Farrell) und Colm (Brandon Gleeson) sind Freunde, solange man sich erinnern kann. Doch eines Tages, während auf dem nahe gelegenen Festland der Bürgerkrieg tobt, verkündet Colm plötzlich, dass die Freundschaft zu Ende ist. Pádraic ist verwirrt und am Boden zerstört, während Colm zu unverständlich drastischen Maßnahmen greift.
Wie trennt man sich von einem besten Freund? Das ist eine gute Frage, die Seinfeld schon in der ersten Staffel brillant beantwortet hat. Schließlich sind die Regeln für die soziale Entflechtung ziemlich klar, wenn es um sexuelle Beziehungen geht, und erst recht, wenn es um Scheidung geht. Aber sich von einem Kumpel zu trennen, den man einfach nicht mehr mag? Wenn man zu zweit auf einer kleinen, dünn besiedelten Insel mit nur einer Kneipe lebt? Wie geht man da vor?
In der Welt von Martin McDonagh lautet die Antwort: auf brutale Weise. Nachdem er beschlossen hat, seine Freundschaft mit dem verlässlichen, aber langweiligen Pádraic (Colin Farrell) aufzulösen, sagt Colm (Brendan Gleeson) seinem Ex-Freund unverblümt, dass er nie wieder mit ihm reden oder trinken will. Keine Erklärung. Es wird kein Versuch unternommen, den Schaden zu mildern.
Wenn man mit den früheren Filmen des Regisseurs McDonagh vertraut ist, von Brügge sehen..und sterben? bis Three Billboards Outside Ebbing, Missouri, sollte eine solche Taktlosigkeit natürlich nicht überraschen – McDonaghs Drehbücher sind so rau, dass man sie als Schleifpapier verwenden könnte.
Der Schwerpunkt des Films liegt also weniger auf Colms Entscheidung als vielmehr auf Pádraics Reaktion, ganz zu schweigen von den Auswirkungen, die sie auf sein „begrenztes“ (ein Ausdruck der Figur, nicht unserer) Leben hat.
Ein erzwungener Prozess der Selbsterkenntnis
Ironischerweise ist The Banshees Of Inisherin für eine Geschichte über eine zugrunde gehende Freundschaft auch ein Wiedersehen: nämlich von McDonagh mit dem Duo, das die Killer-Possen von Brügge sehen..und sterben? zu einem so pikanten Vergnügen machte. Allerdings verbringen Farrell und Gleeson hier aus naheliegenden Gründen nicht annähernd so viel Zeit zusammen auf der Leinwand.
Das ist in gewisser Weise schade, aber es trägt zum allgemeinen Gefühl der Ungerechtigkeit bei. Colm ist weitgehend undurchschaubar, trotz gelegentlicher Offenbarungen und dem einen oder anderen Anflug von Freundlichkeit. McDonagh offenbart nie vollständig, was ihn zu den Pádraic verachtenden Extremen treibt, zu denen er später im Film übergeht, und das macht ihn zum emotional distanzierteren der beiden Männer.
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Dies ist in erster Linie Pádraics Geschichte; die Geschichte eines gutherzigen, anständigen Kerls, der durch einen erzwungenen Prozess der Selbsterkenntnis neue, intensivere Facetten seiner Persönlichkeit entdeckt und sich zu eigen macht. Farrell ist fantastisch in dieser Rolle und liefert eine seiner besten Leistungen überhaupt ab.
Er legt eine Art schlaffes Anti-Charisma an den Tag, eine scheinbare Hinterfotzigkeit, die er zunächst zur Belustigung der Zuschauer ausspielt, sich dann aber allmählich und überzeugend zu etwas viel Düstererem entwickelt.
Intimes Drama vor epischer Kulisse
Perfekt ergänzt wird er durch Kerry Condon als Pádraics kluge Schwester Siobhan. Ihre Verzweiflung angesichts der Reaktion ihres Bruders auf Colms perversen Schachzug ist absolut nachvollziehbar, und man freut sich über jeden Moment, den sie auf der Leinwand verbringt.
Siobhan erweckt auch die meiste Sympathie in ihrer Rolle als Frau, die eindeutig und verzweifelt aus diesem klippenumrandeten Fleckchen Erde herausgewachsen ist. Eine Erkenntnis, die durch die unbeholfenen amourösen Annäherungsversuche von Barry Keoghans leidgeprüften Jungen, Dominic, nur noch unterstrichen wird – eine Figur, die leider den geringsten Erzählanteil des Films erhält.
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Die liebevolle Filmmusik von Carter Burwell und die großartigen Aufnahmen von Kameramann Ben Davis – das Drama mag intim sein, aber die Kulisse wirkt episch – machen The Banshees Of Inisherin zu einem Film, dessen gemächliches Tempo nie in die Länge gezogen wird.
Es ist vermutlich McDonaghs bisher sanftestes Werk (und die Tatsache, dass in seinem sanftesten Film Verstümmelungen vorkommen, sagt viel über sein sonstiges Werk aus).
Es handelt sich hierbei nicht um eine Bromantik-Komödie
Allerdings könnte man auch sagen, dass es sein erster Kriegsfilm ist. Und das nicht nur, weil er während des irischen Bürgerkriegs von 1922-23 spielt, den man nur ein paar Meilen entfernt auf der anderen Seite des Meeres wüten hört. Schließlich ist die Trennung von Colm und Pádraic eigentlich nur ein Krieg im Mikrokosmos.
Die Ursachen sind unklar und verwirrend, der sich anbahnende Konflikt eskaliert schnell, die ehemals befreundeten Beteiligten wenden Taktiken an, die einst undenkbar gewesen wären. Und die Nachwirkungen werden noch jahrelang zu spüren sein. McDonagh war noch nie ein Freund von klaren Auflösungen, und es ist nicht zu viel verraten, wenn man sagt, dass uns auch hier eine solche verweigert wird.
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Dies ist keine Bromantik-Komödie, und man sollte wirklich nicht auf Wohlfühlatmosphäre hoffen (auch wenn es viele Lacher gibt, sofern man eher auf der dunklen Seite des Humors zu Hause ist). Aber der Film ist ergreifend und wunderschön inszeniert und wird sicher niemanden enttäuschen, der McDonaghs frühere raue Filme genossen hat.
Fazit: Ein weiterer fantastischer Schlechtfühlfilm von Martin McDonagh mit einer der bisher besten Leistungen von Colin Farrell als ein Mann, der versucht, mit den Folgen eines Streits umzugehen (und scheitert).
Film Bewertung 9 / 10
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