SPRINGSTEEN: DELIVER ME FROM NOWHERE

Die zweite Jahreshälfte naht, die Preisverleihungs-Saison beginnt – und mit ihr die Parade großer Biopics. Dieses Mal trifft es niemand Geringeren als Bruce Springsteen. Springsteen: Deliver Me From Nowhere, inszeniert von Scott Cooper (Crazy Heart), erzählt jedoch keine triumphale Aufstiegsgeschichte, sondern den wohl dunkelsten Moment im Schaffen des Musikers: Die Entstehung seines Albums Nebraska.

In einer Zeit innerer Zerrissenheit und kurz vor dem weltweiten Durchbruch zieht sich der junge Springsteen aus der Studioöffentlichkeit zurück. Statt bombastischer Rockhymnen entstehen brüchige, geisterhafte Songs auf einem Vierspurgerät – aufgenommen im Schlafzimmer seines Hauses in New Jersey. Kein E-Street-Glamour, kein Stadionpathos. Nur ein Mann, seine Dämonen – und eine Gitarre

Jeremy Allen White als „The Boss“ – ein Casting wie aus dem Fiebertraum

Dass Jeremy Allen White (The Bear) die Rolle von Bruce Springsteen übernimmt, fühlt sich zunächst an wie eine mutige Entscheidung – und erweist sich als großer Wurf. Whites Markenzeichen – eine Mischung aus innerer Wut, Verletzlichkeit und unausgesprochener Sehnsucht – passt perfekt zu der gebrochenen Männlichkeit, die Nebraska durchzieht. Seine Darstellung ist kein Imitat, sondern eine einfühlsame Reinterpretation: leise, aber eindringlich.

An seiner Seite brilliert Jeremy Strong (Succession) als Jon Landau – Springsteens Manager, Vertrauter und emotionales Gegengewicht. Paul Walter Hauser, Stephen Graham, Odessa Young, Gaby Hoffmann, Marc Maron und David Krumholtz ergänzen ein hochkarätiges Ensemble, das den inneren Kreis des Künstlers in einer entscheidenden Lebensphase porträtiert.

© 20th Century Studios DE

Kein gewöhnliches Musikbiopic – sondern ein Film über Schweigen, Schatten und Selbstzweifel

Regisseur und Drehbuchautor Scott Cooper verfolgt einen untypischen Ansatz. Statt Bühnenlicht und Chartstürmern taucht Deliver Me From Nowhere tief in die Seele eines Mannes ein, der kurz davorsteht, sich selbst zu verlieren. Die Musik ist hier nicht Performance, sondern Bekenntnis. Die Aufnahmen entstehen nicht im Tonstudio, sondern im Schatten eines zerrütteten Ichs. Cooper beschreibt den Film als eine „Reise durch Erinnerung, Mythos und Wahrheit“. Und genau das spiegelt sich in seiner Ästhetik wider: Die Bilder sind melancholisch, oft körnig, fast dokumentarisch – als würde man durch alte Polaroids blättern, während ein Lied von Schuld und Erlösung im Hintergrund spielt.

Nebraska gilt bis heute als eines der radikalsten Alben des US-Rock. Keine Begleitband, keine Overdubs – nur düstere Akustikstücke über Mörder, Verlierer und Geistergestalten. Es ist ein Album, das nicht unterhält, sondern verstört – und genau darin liegt seine unvergängliche Stärke. Der Film überträgt diesen Geist konsequent auf die Leinwand. Springsteen: Deliver Me From Nowhere ist ein stiller Schrei, ein filmisches Bluesalbum über einen Mann, der seine Stimme verliert, um sie neu zu finden.

Fazit: Weniger Rockstar – mehr Mensch

Wer ein energiegeladenes Rock’n’Roll-Spektakel erwartet, wird überrascht sein: Deliver Me From Nowhere ist das Gegenteil von Glanz und Gloria. Es ist ein intimer, introspektiver Film über Selbstzweifel, Kreativität und den Mut zur Reduktion. Jeremy Allen White überzeugt mit nuancierter Zurückhaltung, Scott Cooper inszeniert mit filmischer Sensibilität – und Nebraska wird zum emotionalen Zentrum eines eindrucksvollen Biopics.