Regie/Drehbuch: Alice Winocour | Erscheinungsdatum: 24.6.2021 | Laufzeit: 107 Minuten
Nura Al Matruschi soll die erste Astronautin aus den Arabischen Emiraten werden. Die Italienerin Cristoforetti die erste europäische Kommandantin der ISS. Das kosmologische Patriarchat wird mit solchen neuen Nachrichten aufgebrochen
Alice Winocour widmet in ihrem Film „Proxima“ den Abspann all den weiblichen Kosmonauten, die es in die Thermosphäre schafften, entgegen der männlichen Hegemonie. Eva Green repräsentiert fiktiv einer dieser Frauen und mit welchen soziologischen und emotionalen Hürden dies einhergeht.
Story: Sarah Loreaus Lebenstraum geht in Erfüllung- sie wird von der ESA ausgewählt, um als Teil des Proxima Raumfahrtprogramms einen einjährigen Aufenthalt auf der ISS zu verbringen. Dieses Programm soll die erste bemannte Marsmission vorbereiten.
Einhergehend mit den Präparationen für den Aufstieg ins All, muss Sarah ihre Tochter bei dem Ex-Partner zurücklassen, einem Astrophysiker in Darmstadt. Wendy (Sandra Hüller) betreut Tochter und Mutter psychologisch vor der sich ankündigenden Trennung. Neben dem daraus resultierenden emotionalen und moralischen Konflikt, ist ihre Integration im männlichen Team zusätzlich mit Reibungen verknüpft.
Film Kritik:
von Georg Reinke
Schweigen ist Gold
Falls man „Proxima“ mit Sci-Fi, Action oder Abenteuer assoziiert, könnte der Film durchaus eine Fehlzündung sein. Allerdings wirbt er sich selbst auch nicht als solcher an. Viel mehr ruht das emotionale Geschehen auf den Schultern der Mutter/Tochter Beziehung.
Dementsprechend verweilt der Film fast ausschließlich in ruhigen Gewässern, auch Dialoge werden hier nicht ausgereizt. Viel mehr expressiert „Proxima“ seine Geschichte durch Symbolik, Gestik und Subtext. Die Story hat kaum spannungsgeladene Kurven denn viel eher einen grundsätzlichen Tonus, der ein anderthalbstündiges Gefühl suggeriert, statt Handlung.
Das könnte Langeweile prognostizieren, doch in diesem Fall gelingt es ziemlich gut. Das Setting der Geschichte ist frisch, modern und authentisch. Die Ängste und Probleme sind nicht hochgestochen, sondern beinahe alltäglich und dadurch durch die Bank greifbar sowie vielschichtig.
Eva Greens beste Performance
Denn neben der Trennungsthematik, ist das eigentlich unterliegende Thema das, was der russische Astronaut Anton zu Sarah sagt: „Was schwierig ist, ist die Rückkehr. Wenn man merkt, dass die Leute auch ohne einen weiterleben können.“
Schauspielerisch gibt Eva Green eine starke Leistung ab. Sie bettet sich in den melancholischen Kontext sehr überzeugend ein, insbesondere, da sie das personifizierte Alleinsein porträtiert. Allein in ihrer Mutterschaft, allein unter teils chauvinistischen Männern; Hilfe erfährt sie kaum.
Matt Dillons Figur als amerikanischer Astronaut wirkt anfänglich größtenteils etwas klischeebehaftet, bekommt jedoch im Laufe des Films noch einige Kanten, was den Kritikpunkt abschwächt. Abwertend unter diesem Aspekt ist Lars Eidinger als Exmann, der hölzern, apathisch und flach schauspielt.
Erwähnt muss natürlich auch noch Zélie Boulant werden, die neben Eva Green die intimen und familiären Bande überzeugend vermittelt.
Stille Wasser sind tief
Visuell überzeugt „Proxima“ ebenfalls. Starke Bilder betonen die tiefe Liebe zu ihrer Tochter, ihrer Bereitschaft und Überwindung, den Strapazen der Vorbereitungen zu widerstehen. Besonders die erste Hälfte ist merklich kühler, da die Zweifel um die bevorstehenden Herausforderungen ins Ungewisse führen.
Dabei steht zu fast jedem Zeitpunkt die Mutter-Tochter Beziehung im Bild, selbst, wenn beide größtenteils während des Films physisch getrennt sind. Besonders eindrucksvoll wird die Wärme zwischen den beiden inszeniert, als sich die beiden durch eine Trennwand sehen und unterhalten, während der Quarantäne Sarahs.
Es braucht keine Worte, selbst die Leere des Raums ist ein überwindbarer Graben, der durch die einfühlsame Kameraarbeit eingefangen wird. Besonders bewegend bewährt sich die Montage vom Zusammenpacken der Weltraumutensilien Sarahs, die materiell die Verknüpfung der beiden illustriert.
Die dem Film entsprechende Dynamik bietet zudem ein starker Score, der akzentuiert, aber dennoch deswegen nicht minder überwältigend einsetzt, wenn der Film es braucht.
Fazit: „Proxima“ ist eine poetologische Auseinandersetzung mit Trennung, Emanzipation und auch dem Gefühl der Identität. Eva Green findet hier eine ihrer besten Performances und dem Film gelingt es, mit wenig Handlung enorm viel Tiefe zu generieren.
Mit dem offenen Ende beweist Winocour auch, worauf ihr Augenmerk lag. Ganz können Längen jedoch trotzdem nicht vermieden werden, besonders der Anfang schleppt sich leider etwas. Insgesamt aber ein überzeugend authentisches Mutter-Kind Drama. Wertung: 7/10