Produktion: USA 2021 | Genre: Krimi / Thriller | Laufzeit: ca. 140 Minuten | Regie: Guillermo del Toro | Mit: Bradley Cooper, Rooney Mara, Cate Blanchett, Toni Colette, Willem Dafoe, Ron Perlman, David Strathairn ua.
Inhalt: Stanton Carlisle (Bradley Cooper), ein charismatischer Einzelgänger, lässt sein altes Leben hinter sich und schließt sich einem Jahrmarkt an, wo er die Geheimnisse des Übersinnlichen erlernt. Er wird Zeuge erschreckender “ Freak“-Shows und verliebt sich in die Schaustellerin Molly (Rooney Mara). Als er mit der temperamentvollen Psychiaterin Dr. Lilith Ritter (Cate Blanchett) ein Komplott ausheckt, werden seine manipulativen Fähigkeiten an ihre Grenzen gebracht.
Wer Guillermo del Toro über Jahrzehnte hinweg mit seinen liebevoll gezeichneten Fantasy-Horror-Fabeln (Pan’s Labyrinth, The Devil’s Backbone) und knalligen Sci-Fi-Blockbustern (Pacific Rim, die Hellboy-Filme) verfolgt hat, könnte die Vorstellung, dass der Filmemacher in Nightmare Alley das Übernatürliche weglässt, etwas enttäuschend finden.
Kann es sein, dass der Mann, der uns mit „The Shape Of Water“ (13 Nominierungen und vier Auszeichnungen, darunter Bester Film und Beste Regie) überraschte, das Genre zugunsten eines klassischen, preisverdächtigen Stoffes verrät, obwohl er uns mit Mutantenvampiren, Ghouls aus rotem Ton und dem sinnlichsten Fischmenschen des Kinos verwöhnt hat?
Doch keine Angst. Bei Nightmare Alley geht es zwar nicht um Dinge, die nachts spuken, doch del Toro ist nicht zimperlich geworden. Ein Beispiel: Nur wenige Minuten nach Beginn seiner Geschichte über Gedankenmanipulation und moralischen Verfall beißt ein Mann auf grausame Weise einem lebenden Huhn den Kopf ab, wobei die Beine hilflos um sich schlagen und Blut spritzt.
Bradley Coopers Stanton „Stan“ Carlisle erfährt, dass es sich dabei um eine “ Freak-Show“ handelt. Dabei handelt es sich um eine illegale, aber lukrative Jahrmarktsattraktion, bei der ein verzweifelter, entkräfteter Betrunkener vor einer schreienden Menge abscheuliche Taten begeht.
Handlung in zwei Teilen
Ist der Freak, fragt Willem Dafoes Figur, „ein Mensch oder eine Bestie?“ Dieser Zwiespalt zieht sich wie ein roter Faden durch del Toros Adaption von William Lindsay Greshams Roman (der 1947 eine ebenso düstere Verfilmung hervorbrachte). Diese Frage schwebt über Stans Kopf, während er seinen eigenen Weg in das Herz der Finsternis und darüber hinaus beschreitet.
Auch wenn del Toro mit beiden Beinen in der wirklichen Welt (Amerika der späten 30er/frühen 40er Jahre) steht, zaubert er sofort eine traumhafte – oder albtraumhafte – Atmosphäre hervor. Coopers` Stan schläft in einem Bus ein, wobei er die brennenden Ruinen seines früheren Lebens hinter sich lässt, um dann auf dem Jahrmarkt zu erwachen, auf dem er sich neu erfinden wird.
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Von hier aus entfaltet sich die erste Hälfte der zweiteiligen Geschichte, in der Stan Gelegenheitsjobs annimmt und die Tricks des Gewerbes erlernt. Er schwindelt Kunden mit der „Hellseherin“ Zeena (die stets brillante Toni Collette) an, beginnt eine Romanze mit Molly (Rooney Mara), während er die Dramatik ihrer Show steigert und gleichzeitig sein eigenes Talent für Täuschungen entwickelt.
Es ist spannend, die Geheimnisse der Nummern zu erfahren, wie auch die Charaktere der Truppe – insbesondere der grobe Kraftprotz Bruno (del Toros Glücksbringer Ron Perlman), der skrupellose Clem (Dafoe) und Zeenas melancholischer, trinkfreudiger Partner Pete (David Strathairn).
Doch letztlich ist der Rummel nur die Kulisse für die zweite Hälfte, in der Stan mit Molly in die Stadt flieht, um sich als „The Great Stanton“ neu zu erfinden. Mit ihrer Gedankenlesen-Show verblüffen die beiden das ahnungslose Publikum, bis sich Psychiaterin Dr. Lilith Ritter (Cate Blanchett in Perfektion) einmischt und Stan in ihr Spiel verwickelt.
Kein klar definierter Erzählstrang
Dieser Richtungswechsel ist sehr willkommen, denn sobald Blanchett ins Spiel kommt, steigt der Einsatz und ihre Figur erweist sich als würdiger Gegner für den zunehmend überheblichen Stan. Der Höhepunkt des Films sind die Szenen, wo sich die beiden gegenseitig umkreisen, in denen sie die Psyche des jeweils anderen in wechselseitigen Machtkämpfen ausloten und versuchen, den Reichen und Mächtigen Ezra Grindle (Richard Jenkins) zu betrügen.
Auch wenn Nightmare Alley zutiefst cineastisch ist – dazu wunderbar ausgeleuchtet, mit einwandfreiem Produktionsdesign sowohl auf dem Rummelplatz als auch in der Stadt, festgehalten in markanten Bildern und langen Einstellungen von Kameramann Dan Laustsen – erscheint die zweiteilige Struktur fast wie ein Roman.
Anstatt eines klar definierten Erzählstrangs ist Coopers Charakter der erzählerische rote Faden, und es gibt hier eine sich langsam aufbauende Atmosphäre und eine Detailtiefe, die sich wie bei Crimson Peak reich an Subtext anfühlt und fast in Kapiteln abläuft. Bei einem anderen Filmemacher wären die Zeitebenen vielleicht zusammengeschnitten worden, um das Tempo zu erhöhen, aber del Toro bleibt selbstbewusst und linear und lässt die Geschichte auf den Zuschauer wirken.
Ein ungewöhnlicher Film von Guillermo del Toro
Dadurch weiß man oft nicht genau, wohin der Film führt – was angesichts der Laufzeit vielleicht eine Geduldsprobe ist -, doch am Ende fühlt er sich dann umso reichhaltiger an. Letztendlich geht Guillermo in die Vollen und lässt Gesichter zerschmettern, während der Plot auf ein düsteres Ende zusteuert.
Während Mara die uninteressantere Rolle hat (vor allem, wenn Blanchett ins Spiel kommt), ist Cooper in jeder Phase von Carlisles Reise ausgezeichnet. Er vermittelt Wärme inmitten der Anziehungskraft, auch wenn seine Machtgelüste düstere Züge annehmen. Die Schlusssequenz des Films ist simpel ausgedrückt, einfach großartig konsequent.
Nightmare Alley ist ein düsterer Rummel der Extravaganz, bei dem del Toro das Genre nicht wirklich vernachlässigt. Hier findet sich ein Hauch von paranoidem Noir, ein psychologischer Thriller, eine Erzählung über den Aufstieg und Fall von Trickbetrügern, die oftmals wie ein gespenstischer, gotischer Der große Gatsby wirkt.
Für einen Film mit hohem Anspruch gibt es erstaunlich viele Nahaufnahmen eines dreiäugigen, eingelegten Fötus namens Enoch. Zwar keine Monster, dafür aber jede Menge Abscheulichkeiten. Mit anderen Worten: ein Film ganz nach Guillermo del Toros Geschmack.
Fazit: Nightmare Alley ist einer der ungewöhnlichen del Toro-Filme, weil er kein reines Gruselspektakel ist. Er gehört zwar nicht zu den besten Filmen des Regisseurs, ist aber mit seiner eindringlichen Atmosphäre, seinen fesselnden Charakteren und seiner grandiosen Filmkunst nicht weit davon entfernt. Film Bewertung 8 / 10