Inhalt: Der Auschwitz-Lagerkommandant Rudolf Höss (Christian Friedel) und seine Frau Hedwig (Sandra Hüller) führen ein privilegiertes Leben. Doch eine Versetzung droht ihre Harmonie zu stören.
FILM KRITIK
Kleidung und Schmuck von Juden, denen Erniedrigungen, Hungersnot und Tod drohen, finden ihren Weg in das Haus von Rudolf Höss. Seine Frau Hedwig (Sandra Hüller) testet die Sachen bei einer morbiden Modenschau, als wäre sie bei einer bekannten Kaufhauskette in einer deutschen Großstadt. Sie zieht sich einen Pelzmantel an, dreht sich und posiert dabei vor dem Spiegel in ihrem Schlafzimmer.
Im Erdgeschoss hält Rudolf (Christian Friedel) eine Arbeitsbesprechung ab, brütet über den Plan für die Gaskammer wie über dem Entwurf einer Swimmingpool-Rutsche und bespricht die Verbrennung von Menschen in nüchternem Business-Ton.
Berlinale 2024 „The Stranger`s Case“
Die Familie Höss genießt das Leben im schönes Haus, obwohl sie Auschwitz im wahrsten Sinne des Wortes im Rücken hat: Die Gartenmauer ist mit Stacheldraht versehen, da sie auch eine der Lagermauern ist. Dahinter steht ein massiver Wachturm. Über dem Kinderbecken der Höss ragt ein unheilvoller Schornstein in die Höhe.
Sie genießen ein idyllisches Leben, schwimmen in einem nahe gelegenen See und sonnen sich im hohen Gras. Nachts in ihrem Schlafzimmer plaudern und witzeln Hedwig und Rudolf vor dem Einschlafen, ansonsten ist es still. Bis auf das permanente Grollen des Lagers. Das Geräusch von Maschinen, die vor sich hin rattern. Düstere Töne, von denen man sich regelrecht unwohl fühlt.
The Zone of Interest ist viel erschütternder, als man ihn beschreiben könnte
Tagsüber, also innerhalb des Hauses und draußen im prachtvollen Garten, ist der Lärm hinter der Mauer noch intensiver. Es werden Befehle gebrüllt. Die Schmerzen sind hörbar. Das Leid nur zu erahnen. Horror pur. In einer Szene werden schöne Aufnahmen von Flieder und Sommerblumen des Gartens von Schreien begleitet. Doch das interessiert in diesem Haus niemanden.
Sie blenden das alles aus, so bedeutungslos ist das für sie. Die regelmäßigen Schüsse werden nicht nur übergangen, sondern so gut wie gar nicht mehr wahrgenommen. Jonathan Glazers außergewöhnlicher Film, der so viel erschütternder ist, als man ihn beschreiben könnte, ist eine Studie der Gewissenlosigkeit.
Durch die Überlagerung mit all den Geräuschen, mit denen die Familie Höss ihren Tagesablauf erledigt, und der Teilnahmslosigkeit gegenüber dem ständig hörbaren Morden. Während sie arbeiten, essen, lachen und streiten, vermenschlicht Glazer die Entmenschlichung.
Die von Hüller großartig gefühllos gespielte Hedwig kümmert sich nur um den Haushalt. Zu einem späteren Zeitpunkt kommt auch ihre Mutter zu Besuch und lässt sich von ihrer stolzen Tochter den Garten zeigen. Es gibt eine kleine Unterhaltung über die Frage, wer auf der anderen Seite der Mauer ist.
Zwischen Fenchel, Kürbis und Grünkohl
Könnte die ehemalige jüdische Frau dort sein, für die Hedwigs Mutter gearbeitet hat? Möglicherweise. Sie ärgert sich über die verpasste Gelegenheit ihre tollen Vorhänge nicht ergattert zu haben, als die Frau von Nazi-Schergen abgeholt wurde.
Aber es ist nur ein flüchtiges Gespräch, das schnell in den Hintergrund gedrängt wird, weil sich das Thema auf Fenchel, Kohl, Grünkohl und Kürbisse verlagert, während sie durch den Garten streifen und das Lager hinter sich passieren lassen. „Ehrlich gesagt„, so Mama, die sich über das Familienparadies freut, „…all das zu haben. Da bist du ja wirklich auf den Füßen gelandet, mein Kind.“
Mit Ausnahme eines einzigen Einblicks in das Lager, bei dem Rudolf das Gelände von Auschwitz inspiziert, betreten wir das Lager überhaupt nicht. Die Stärke des Films liegt in der tagtäglichen Leugnung dessen, was dort passiert ist. Glazer vermeidet konsequent alles, was das ganze Leid sensationslüstern wirken lassen könnte. Trotzdem spüren wir es, ununterbrochen.
So gibt es eine großartige Einstellung von Hedwigs Mutter, wie sie mitten in der Nacht durch das Schlafzimmerfenster auf den Kamin des Lagers blickt, wobei sich das Feuer schwach im Fensterglas spiegelt.
Die Einstellung dauert vielleicht knappe zwei Sekunden, ist simpel und subtil, und deshalb umso ergreifender. Doch die Regie übertreibt es dabei nicht.
Oscar-verdächtiges Sound Design
Mit Ausnahme einiger ästhetischer Veränderungen, die der Atmosphäre und der Eindringlichkeit des Films dienen, rückt sich Glazer selbst nie in den Vordergrund. Damit vermeidet er es, die Produktion selbst in den Mittelpunkt zu stellen. Denn ein Großteil des Films wurde mit versteckten oder zumindest nicht sofort sichtbaren Filmkameras gedreht und ferngesteuert.
Natürlich geht es in The Zone of Interest um Gräueltaten, aber vor allem geht es um die Sichtweise dazu. Der stilistische Ansatz ist passend zur Distanzierung seitens der Täter. Das ist es, was einem unter die Haut geht. Dies ist Glazers vierter Film, nach Sexy Beast, Birth und Under The Skin. Er ist ein Beobachter des Absurden, der mit jedem weiteren Film seinen Ansatz verfeinert und damit noch mehr Distanz schafft. Mit jedem seiner Filme hat er sich weiterentwickelt.
Im Westen Nichts Neues ist episch und grausam gleichermaßen
Sobald der Abspann läuft, werden wir von einem dumpfen, quälenden Sumpf aus Klängen begleitet, die direkt aus der Hölle zu kommen scheinen. Wir werden mit diesen Tönen zurückgelassen. Möglicherweise bekommt man sie nie wieder aus seinem Kopf.
Fazit: Der Film ist eine beeindruckende Auseinandersetzung mit der totalen Verdrängung: Es geht um das, was man nicht sieht – und was man nicht sehen will. Das Grauen ist unsichtbar, lauert aber im Hintergrund und ist dadurch um so erschütternder.
Film Bewertung 10 / 10