Regie: Christian Schwochow | Kinostart: Ab 16. September 2021 | Länge: 126 Minuten | FSK: Ab 12 Jahren
Story: Irgendwo in Berlin. Nicht irgendwann – heute. Ein Postbote bringt ein Paket, kurz danach ist alles anders. Ein Terroranschlag trifft eine Familie ins Mark. Maxi, die ihre Mutter, die Brüder und ihr Zuhause verloren hat, ist tief verunsichert, versucht aber nach vorne zu schauen. Doch nichts scheint zu funktionieren. Ihr Vater, Alex, ist genauso traumatisiert wie sie.
Die Gewissheiten der Vergangenheit sind zerstört und die Trauer verdunkelt alles. Da tut es gut, einen anderen jungen Menschen zu treffen: Karl, der Maxi aus ihrer Lähmung befreit und sie auffordert, die Angst zu besiegen. Er hat ein Treffen europäischer Student*innen organisiert, die gemeinsam nach Lösungen für die katastrophale Lage des Kontinents suchen.
Die Aufgabe, die er Maxi dabei zuweist, könnte den Ausschlag für das Gelingen eines großen Plans geben. Maxi tanzt mit Karl auf Messers Schneide. Heute in Berlin, morgen in Prag, bald in Straßburg und schließlich in ganz Europa. Je suis Karl – eine Machtergreifung.
Film Kritik:
von Nicola Scholz
Zu Plakativ für ein aktuelles Thema
Maxi kommt gerade aus Paris zurück, wo sie ihre Oma besucht hat, als ihr Vater ein Paket für einen Nachbarn annimmt – und sich ihr ganzes Leben ändert. In dem Paket steckt eine Bombe und das Wohnhaus fliegt in die Luft. Sie verliert ihre Mutter und ihre Brüder. Traumatisiert besucht sie einige Zeit später ihr altes Wohnhaus und trifft auf Karl.
Karl zeigt Anteilnahme, aber rüttelt sie auch auf. Denn seiner Meinung nach muss endlich was geschehen. Er lädt sie nach Prague ein zu einer Akademie wo er vor anderen jungen Männern und Frauen für ein neues Europa appelliert. Die Gruppierung dreht Videos, in denen sie von Übergriffen junger Ausländer erzählen.
Sie wollen Taten folgen lassen und Maxi ist mittendrin und wird für Karl zum Schlüssel seiner Idee. Denn wenn Maxi in einem Livestream ihre Geschichte erzählt, an der schon viele emotional dran teilgenommen haben, dann bewegt er vielleicht bald mehr als nur ein paar Menschen, die sich seiner Sache angeschlossen haben.
Der Mangel an Emotionalität macht es dem Zuschauer schwer Empathie zu entwickeln
Aber das ist nicht der einzige Trumpf in seiner Tasche. Ähnliche Bilder zu Beginn eines Filmes mit diesem Thema gab es auch schon in Fatih Akins „Aus dem Nichts“ mit Diane Krüger. Ein Bombenanschlag, der die Welt der Hauptcharaktere zerstört und das Leid zeigt, dass eine solch grausame Tat mit sich bringt.
Doch anders als In Akins Film, wendet sich unsere Hauptperson Maxi, der jungen rechten Szene zu-und wird komplett in ihren Bann gezogen. Ohne zu hinterfragen oder selbst aktiv zu werden folgt sie monoton deren Anführer Karl, der als gutaussehender junger Mann natürlich auch noch eine andere Wirkung auf die Frauen hat. Er wirkt selbstsicher, ganz von seiner Sache überzeugt und steht hinter seinen selbsternannten Idealen. Maxi hingegen wirkt wie ein blasses Abbild der Figur, welche sie in den ersten 15 Minuten des Filmes ist.
Da ist sie stark und ihr emotionaler Ausbruch nach dem Verlust ihrer Mutter und Brüder, ist ein richtig gut gefilmter Moment, der noch kurz nachwirkt. Aber sehr schnell nach diesem Gefühlsmoment, verliert sich der Film mit Maxi in der rechten Szene und dümpelt vor sich hin.
Ein inhaltloser Mittelteil und ein hanebüchenes Finale lassen den Film kippen
Und auch wenn Schwochow hier versucht die junge Zielgruppe mit einem spannenden Mainstream Film zu erreichen so bedient er sich den falschen Methoden. Die Charakterzeichnungen sind sehr blass und kaum vorhanden. Wir wissen praktisch nichts über Karl, nur das er scheinbar gut aussieht und welche Ideale er hat.
Wir wissen fast genauso wenig über Maxi, nur das sie gerade ihre Familie verloren hat. Und so können wir uns in keiner Sekunde auf die Figuren einlassen oder mit ihnen mitfühlen oder ansatzweise verstehen wieso sie so handeln wie sie handeln. Der Mittelteil, der sich gefühlt allein schon zwei Stunden zieht, birgt kaum Inhalt. Und so kann man im Nachhinein gar nicht mehr zusammenfassen, was zwischen den ersten und letzten 15 Minuten des Filmes passiert.
Während die ersten 15 Minuten an Akin erinnern, sind die letzten 15 Minuten wie das Finale bei „Tribute von Panem“, ohne das es wirklich vorbereitet wird. Es wirkt sehr überspitzt und an den Haaren herbeigezogen das es fast schon lächerlich ist. Dabei ist das Thema, das hier von einer anderen Seite beleuchtet wird als bei Akin so wichtig, richtig und voller Potenzial.
Weniger Krimi und mehr Realität hätten Gut getan
Aber Schwochows Weg eines Action lastigen Tatorts a la Til Schweiger mit genauso schrecklichen Dialogen. Diese zeigen auch mal wieder, dass die Drehbuchautoren in Deutschland oft zu alt sind, um die heutige Jugendsprache noch zu sprechen und oft abgedroschene Sätze schreiben wie „Was wollen wir sein, Schafe? Nein, Wölfe!“.
Wir sind in keinem Rosamunde Pilcher gelandet und wollen keine Dialoge hören, welche Zitaten ähneln aus Zeiten von Goethe oder Schiller. Schöner wäre es die heutige Jugend ernst zu nehmen, ihnen mehr zuzutrauen, sie können mehr als Mainstream gucken, aber dann muss es gut gemacht sein und die Figuren in den Filmen realistisch, echt, nahbar gemacht werden.
Und vor allem: lasst die Figuren echte Dialoge führen! Es wird generell zu viel geredet in „Je suis Karl“, was an dem Tatort Drehbuchschreiber Thomas Wendrich liegen könnte. Ein wenig weniger Krimi und mehr Realität hätte dem Ganzen so viel Gutes getan.
Fazit: Es muss nicht immer alles bis ins Detail erklärt werden oftmals wirken Blicke und stark auserzählte Charaktere viel mehr. Aber das ist hier der wunde Punkt des Filmes. Er hat seine kurzen starken Augenblicke. Milan Peschel ist so einer und auch Jannis Niewöhner spielt hier stark.
Aber ohne greifbare Figuren wirkt auch das nicht so wie es vielleicht hätte wirken können. „Je suis Karl“ ist leider einer dieser deutschen Filme geworden, die durch Erzählweise und Charaktere so gar nicht funktionieren-und nichts weiter zurücklassen als das Gefühl, dass man in einem wieder eröffneten Kino etwas besseres hätte gucken können.
WERTUNG: 4 / 10