Inhalt: Die Geschwister Andy (Billy Barratt) und Piper (Sora Wong) werden in die Obhut von Pflegemutter Laura (Sally Hawkins) gegeben. Ihre Erziehung führt direkt in die Hölle.
Zwischen Trauer, Trauma und Übernatürlichem – der Horrorfilm, der unter die Haut geht
Mit ihrem blinden Optimismus und ihrem sonnigen Gemüt war Sally Hawkins’ freudig-strahlende Lehrerin Poppy in Mike Leighs Happy-Go-Lucky eine wahre Freude. Aber gab es nicht einen Teil von uns, der ihre unerschütterliche Fröhlichkeit als lästig empfand? Vielleicht sogar krankhaft? „Der Weg zur Hölle ist mit guten Vorsätzen gepflastert“, knurrte Poppys verklemmter Fahrlehrer Scott – und es scheint, als hätten Danny und Michael Philippou diesen Satz nie vergessen. In ihrem neuen Film Bring Her Back, einem Albtraum-haften Nachfolger ihres gefeierten Debüts Talk To Me, besetzen sie Hawkins als liebevolle, aber zunehmend beunruhigende Pflegemutter Laura.
Laura hat ihre eigene Tochter verloren, als sie Andy (Billy Barratt) und seine sehbehinderte Schwester Piper (Sora Wong) nach dem Tod ihres Vaters aufnimmt. Ihre überschwängliche Fürsorge, insbesondere für Piper, wirkt zunächst wie überkompensierte Herzlichkeit – doch bald kippt die Stimmung. Während sie Andy eher nebenbei behandelt, lädt sie ihn zu nächtlichen Schießübungen ein, irgendwo zwischen skurriler Geste und völligem Fehlgriff.
Der Film beginnt subtil und streut erste Anzeichen eines tief verwurzelten Unheils. Laura schneidet bei der Beerdigung des Vaters eine Haarlocke ab. Rituelle Kreidekreise erscheinen. Körnige VHS-Aufnahmen zeigen verstörende Rituale. All das wird nie ganz erklärt – und gerade darin liegt der Horror: In der Andeutung, nicht in der Antwort. Ebenso mysteriös bleibt der schweigsame Oliver (Jonah Wren Phillips), Lauras dritter Schützling mit geschorenem Kopf, der direkt einem Albtraum entsprungen scheint. Die Philippou-Zwillinge zelebrieren dabei ein Kino des Unbehagens – weniger schrill als Talk To Me, aber nicht minder verstörend.

Sally Hawkins in einem verstörenden Horrorfilm von den „Talk To Me“-Regisseuren
Bring Her Back ist ein Film über kindliches Trauma, über dämonische Präsenz und über die schmale Gratwanderung zwischen Diesseits und Jenseits. Diese Grenzüberschreitung wird visuell brillant umgesetzt: durch beschlagenes Glas, zersplitterte Windschutzscheiben, trübe Pools und das verwaschene Flimmern von VHS-Kassetten. Die Welt, wie Piper sie wahrnimmt – vage, unklar, flirrend –, wird zur stilistischen Leitlinie. Grelle Farben, Nebel, Schatten und Lichtreflexe formen eine Albtraum-hafte Atmosphäre, die sich wie ein Bann über das Publikum legt.
Musikalisch untermalt wird das Geschehen von Cornel Wilczeks bedrohlich dröhnender Partitur, die sich hypnotisch ins Nervensystem frisst. Und auch wenn nicht alles logisch zusammenpasst – einzelne Motive oder Nebenstränge wirken wie lose Enden –, passt genau das zur Vision der Filmemacher. Die Geschichte folgt keiner klassischen Dramaturgie, sondern ist wie ein Fiebertraum montiert, zusammengewürfelt wie Lauras bunt-chaotisches Haus inmitten der Isolation.
Dieser Film ist düsterer, komplexer und emotional aufgewühlter als Talk To Me, und er scheut sich nicht davor, Grenzen zu überschreiten – auch im Umgang mit Gewalt gegen Kinder. Wer zartbesaitet ist, wird hier schnell an seine Grenzen geführt. Wer jedoch bereit ist, sich auf diese beklemmende Reise einzulassen, wird mit einem intensiven, visuell kraftvollen und thematisch vielschichtigen Horrorfilm belohnt.
Fazit: Ein filmischer Albtraum über Trauer, Besessenheit und das Zerbrechen familiärer Bindungen. Bring Her Back ist der seltene Fall eines zweiten Films, der nicht nur überzeugt, sondern einen bleibenden Eindruck hinterlässt. Sally Hawkins liefert eine ihrer stärksten Leistungen – zwischen Zärtlichkeit, Wahnsinn und kaltem Grauen. Aktuell der beste Horrorfilm des Jahres !
Film Bewertung: 8 / 10