Inhalt: Lucie arbeitet als Spezialistin für Forensik bei der Polizei. Seit dem Suizid ihres Lebenspartners lebt sie immer zurückgezogener in ihrem großen Haus. Doch dann ziehen neue Nachbarn nebenan ein. Während sich die kleine Rose und ihre Mutter, Julia, recht schnell mit Lucie anfreunden, bleibt der Vater, Yann, auf Distanz.
Bis Lucie eines Tages den Grund dafür herausfindet. Yann arbeitet im Widerstand gegen die Polizei. Lucies Prinzipien geraten ins Wanken, denn die kleine Familie wächst ihr immer mehr ans Herz. Doch Yann weiß nichts über ihren Job bei der Polizei. Und dann steht er eines Tages mit einem riesigen Problem vor ihrer Tür.
Film Kritik
Isabelle Huppert ist ein bekanntes Gesicht des französischen Kinos, vor allem im Drama-Genre. Auch Téchinés scheint dieses Genre zu bevorzugen. Dass er sich mit diesem Bereich verbunden fühlt, zeigt sich auch in diesem Film. Er bedient sich nicht nur der bekannten Erzählstrukturen eines Dramas, sondern auch der ihnen oft innewohnenden Problematiken.
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Schon die ersten Bilder wirken erfrischend anders. Die Hauptfigur, die an einer Polizeidemonstration teilnimmt und damit eine interessante Einführung in ihren Charakter bietet, gewinnt sofort an Tiefe. Als Zuschauer möchte man mehr über diesen Konflikt erfahren, mehr über die Geschichten im Zusammenhang mit dieser Demonstration lernen.
Leider schlägt der Film dann eine ganz andere Richtung ein. Téchinés will sich in “ My new Friends “ mehr auf die seelischen Konflikte zweier Menschen konzentrieren. Dabei verliert er das viel spannendere und übergreifende Thema aus den Augen: Polizeigewalt, ihre Auswirkungen und auch die Belastung, die Polizisten in ihrem Job verspüren.
Die jüngere Besetzung sticht stärker hervor
Der stärkste Aspekt dieses Films sind seine jungen Darsteller. Allen voran Nahuel Pérez Biscayart als Yann, der kürzlich eine beeindruckende Leistung im Drama “ Persischstunden “ gezeigt hat. IIn Téchinés Werk brilliert er als gebrochener Künstler, der versucht, seine Ideale zu leben und dabei scheinbar vergisst, dass er auch eine liebende Familie hat.
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Téchinés Besetzung funktioniert ebenso bei den anderen Familienmitgliedern. Die kleine Rose wirkt so belebend, dass ihre freche und witzige Art und die Drehungen, die sie auf dem Eis vollführt, dem Film von Zeit zu Zeit zu mehr Schwung verhelfen.
Oder Hafsia Herzi, die ihren eigenen Konflikt auslebt: Yann zu lieben und gleichzeitig ihrer Tochter gerecht zu werden. Außerdem ist sie so sehr in ihren Beruf als Lehrerin vertieft, dass die Zeit für ihre Tochter immer zu kurz erscheint. Als toughe Frauenrolle ist sie das Gegenstück zur resoluten Lucie.
Isabelle Hupperts Figur wirkt arrogant und emotionslos
Es ist auch die junge Familie, die das Seherlebnis des Films rettet. Die ansonsten leider wenig aufregende Kamera, die das Geschehen sehr statisch einzufangen versucht, wirkt ebenso platt wie die Bewegungen von Isabelle Hubert, die ihrer Figur kein Leben einhauchen kann.
Die Leistung von Isabelle Huppert kann man als durchaus stocksteif bezeichnen, so wie man es leider von ihr gewohnt ist. Auch hier schafft sie es nicht, aus ihrem Rollenkonstrukt auszubrechen und vielleicht weitere Facetten ihrer Persönlichkeit aufzuzeigen, die ihrer Figur eine zusätzliche Dramatik verliehen hätten.
Die Mimik und die Bewegungen von Isabelle Huppert sind nicht flüssig, weshalb ihre Figur so distanziert, arrogant und emotionslos erscheint. Selbst in den Momenten, in denen Lucie sich stärker öffnet und gegen ihre eigenen Prinzipien verstößt, wirkt sie ziemlich kühl, berechnend und lustlos.
Möglicherweise ist ihr Lächeln am Ende des Films die Befreiung, welche ihre Figur erreicht und damit auch verdeutlicht, dass sich hinter ihrem Pokerface durchaus Gefühle verbergen.
Wichtige Themen werden nur angeschnitten
Der Konflikt zwischen Job und Hilfe für neue „Freunde“ mag an sich spannend sein, aber leider lotet Téchiné ihn nicht vollständig aus. Das liegt auch an der mangelnden schauspielerischen Überzeugungskraft. Es ist sehr schade, dass an dieser Stelle nicht mehr von Yann als Aktivist gezeigt wird.
Nur durch Andeutungen und Fernsehausschnitte bekommt man das Gefühl, dass es ein grundsätzlicheres Problem zu geben scheint, aber Téchiné möchte das Ganze nicht ansprechen. Dadurch wirkt der Film zu friedvoll, was ja eigentlich nicht sein Thema ausmacht. Das Thema ‚Druck‘ im Polizeidienst, der nach Aussage einiger Figuren im Film oft in den Selbstmord zu münden scheint, wird auch angesprochen. Allerdings nur in einer einzigen markanten Szene.
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Für den Rest des Films schweigt sich Téchiné über dieses Thema aus und lässt nur selten Lucies Partner als Quelle des Trostes auf der Leinwand erscheinen. Auch hier erscheint Lucie sehr distanziert und emotionslos, was unverständlich ist angesichts der Tatsache, dass der Todesfall offenbar erst ein Jahr zurückliegt.
Fazit: Ein holpriges Drama, das zwar einige schöne Momente hat, aber auch die eine oder andere Schwäche aufweist. Mit einer stärkeren Hauptrolle wäre wahrscheinlich mehr drin gewesen. Nichtsdestotrotz funktioniert der Film größtenteils dank des gewohnten Spannungsaufbaus, der hier zwar keine überraschenden Situationen hervorruft, aber dennoch zügig durch den Film führt, so dass man zu keiner Zeit den roten Faden des Films verliert.
Film Bewertung 6 / 10