Genre: Drama | Produktion: Spanien / Frankreich 2021 | Laufzeit: ca. 130 Minuten | Regie: Isaki Lacuesta
Mit: Nahuel Pérez Biscayart, Noémie Merlant, Quim Gutiérrez, Alba Guilera, Natalia De Molina
Kinostart unbekannt | FSK: noch keine Wertung
Weltpremiere im Wettbewerb Berlinale (14.02. 18 Uhr) Veröffentlichen ab 20 Uhr
Inhalt: Céline und Ramón haben den Terroranschlag auf das Bataclan 2015 überlebt. Das Paar kämpft darum, Normalität zurückzugewinnen und die Opferrolle hinter sich zu lassen. Doch wie blickt man nach vorne, wenn manche Wunden vielleicht niemals heilen?
Als ich rausging sah ich den Staub in der Luft, und es sah wunderschön aus.“ Erst später wurde erzählt, dass dies das Pulver der Waffen und die Leichen gewesen waren.“
Céline und Ramón waren beide in der Nacht des Anschlags auf das Bataclan vor Ort. Nun müssen sie
Tag für Tag die aufkommenden Erinnerungen und die damit einhergehende Angst bewältigen. Dies
tut jeder auf seine Art und Weise.
Während sich Céline wieder in den Alltag flüchtet, will Ramón grundlegend einiges in seinem Leben ändern. Er kündigt seinen Job und erfindet sich neu. Doch wie können die beiden auch als Paar überleben und nicht nur jeder für sich? Diese Frage stellt sich immer wieder.
Céline möchte einfach nicht mehr über die Geschehnisse sprechen, während Ramón dies als wichtig empfindet, um alles verarbeiten zu können. Und so vergehen Tage, Wochen, Monate und ein ganzes Jahr bis die beiden beschließen, dass es so nicht weitergehen kann.
Erinnerungen an eine schreckliche Nacht
Der ganze Film beginnt am Ende einer schrecklichen Nacht, dem Anschlag auf das Bataclan in Paris.
Es hätte eine Nacht voller Musik und tanzenden Menschen werden sollen, stattdessen war es ein
Albtraum, der viele noch bis heute begleitet. Wir sehen Céline und Ramón durch die Straßen gehen,
sie haben Rettungsdecken umgelegt und schauen angsterfüllt.
Dieses Bild prägt sich ein. Der ganze Film basiert auf dem tatsächlichem Bericht des spanischen
Bataclan-Überlebenden Ramón Gonzalez. Wir begleiten ihn also durch die immer wiederkehrenden
Erinnerungen dieser Nacht. Es wird nur wenig der eigentlichen Tat gezeigt, keine Gesichter der Täter,
wie es schon in „Utoya“ ebenfalls vermieden wurde.
Dafür die Angst in den Gesichtern der Opfer. Diese Angst zeigt viel mehr, als es die eigentliche Schießerei es getan hätte. Man spürt die Verzweiflung und die Hoffnungslosigkeit derjenigen, die sich aus dem Club flüchten konnten. Starke Dialoge zwischen Céline und Rámon aber auch ihren gemeinsamen Freunden,
welche ebenfalls vor Ort gewesen waren, bringen das Erlebte in eine Form von Bildern, welche nicht
immer auf der Leinwand entstehen, sondern im Kopf des Zuschauers.
Die späteren Streitgespräche zwischen Céline und Ramón fühlen sich so echt an, wie selten ein Streit sich auf der Leinwand anfühlt. Die Authentizität wird hier auch von den Darstellern getragen.
Zwischen Panik und Verdrängung
Ramón und Céline harmonieren als Paar wunderbar und spielen die Veränderung, die durch das Attentat in den Figuren entsteht, so vorsichtig und greifbar, dass man selbst die kleinsten Entwicklungen der Figuren sieht.
Bei Céline sind diese viel dezenter als bei Ramón – er entwickelt Panikattacken und bleibt dem Arbeitsplatz fern. Céline hingegen versucht schnell, zur Normalität zurückzukehren, will keinem erzählen, wie es ihr geht und einfach vergessen, was geschah.
Später im Film sagt sie, dass sie wieder leben will. Doch dahin zurückzufinden, zu einer neuen Normalität, ist schwierig. Das intensive Zusammenspiel von Bildern aus dieser einen Nacht und Bildern der Gegenwart, welche sich manchmal vermischen, findet einen ehrlichen Weg, als Geschichte auf der Leinwand zu funktionieren.
Eine ezählerische Gratwanderung
Das ist bei Themen, die auf wahren Ereignissen beruhen, wie das Attentat auf das Bataclan, besonders schwierig. Der Grat zwischen dem, was erzählt werden kann, und dem, was man dem Zuschauer überlässt, ist schmal aber in „Un ano, una noche“ findet Isaki Lacuesta das richtige Maß dafür.
Auf 130 Minuten wird der Film keine Sekunde lang ausschweifend. Im richtigen Tempo erzählt er über die immense Wucht, welche die Ereignisse hinterlassen haben und die Wunden, die nie wieder ganz verschwinden werden. Aber der Film erzählt auch über den Mut und die Kraft, weiterzumachen, seinen Weg zu finden mit dem Geschehenen umzugehen.
Fazit: Das einzige, was am Ende des Films noch Fragen aufwirft, ist die Unklarheit darüber, was mit Céline und Ramón nun wirklich geschehen ist, da die Erinnerungen der beiden immer wieder vermischt werden. Dennoch hinterlässt der Film einen bleibenden Eindruck, das Gefühl zu verstehen, zu begreifen was solche Taten bei den Überlebenden hinterlassen. Film Bewertung 9 / 10