ANIMALE

Ein Kinoerlebnis zwischen Tradition und Aufbruch

Mit ANIMALE bringt die französisch-algerische Regisseurin Emma Benestan ihr zweites Spielfilmwerk auf die Leinwand – ein Film, der so kompromisslos wie poetisch ist. Im Zentrum steht die 22-jährige Nejma (Oulaya Amamra), die in eine Welt eindringen will, die ihr von Geburt an verwehrt scheint: den Stierkampf. Als erste Frau will sie einen traditionsreichen Wettbewerb in Südfrankreich gewinnen. Während sie für ihren Traum kämpft, muss sie sich nicht nur mit den Vorurteilen einer männerdominierten Gesellschaft auseinandersetzen, sondern auch mit einem unheimlichen Schatten, der über ihrer Umgebung liegt.

Plötzlich verschwinden junge Männer, und die Legenden von einer wilden Kreatur machen die Runde. Doch Benestan nutzt diese vermeintliche Bedrohung, um das eigentliche Grauen sichtbar zu machen: das, was tief im Inneren gesellschaftlicher Strukturen fault. ANIMALE ist damit weniger eine Schauergeschichte als vielmehr ein feministisches Manifest, das sich Body-Horror-Motive aneignet, um Unterdrückung und Widerstand in Bilder von körperlicher Wucht und Metamorphose zu übersetzen.

Bilder, die sich einbrennen

Die Kameraarbeit von Ruben Impens, der bereits für Titane unvergessliche Bildwelten schuf, verleiht dem Film eine pulsierende Intensität. Der Kontrast zwischen der grellen Sonne Südfrankreichs, der staubigen Arena und den intimen Momenten mit Nejma erzeugt eine Bildsprache, die zwischen Härte und Zärtlichkeit oszilliert. Benestan verbindet den körperlich aufgeladenen Stierkampf mit den inneren Kämpfen ihrer Protagonistin – und macht so die Arena zur Metapher einer Gesellschaft, die Frauen immer noch in Schranken weist.

Oulaya Amamra überzeugt in der Hauptrolle mit einer Mischung aus Entschlossenheit und Verletzlichkeit. Ihre Nejma ist keine makellose Heldin, sondern eine junge Frau, die zweifelt, scheitert, aufsteht und weiterkämpft. Gerade diese Ambivalenz macht ihre Figur so kraftvoll.

© Plaion Pictures

Premiere und Kontext

Seine Weltpremiere feierte ANIMALE 2024 in Cannes als Abschlussfilm der Semaine de la Critique, gefolgt von der Deutschlandpremiere beim Filmfest Hamburg. Emma Benestan, 1988 in Montpellier geboren, verarbeitet mit ANIMALE auch ihre eigene Herkunft: Aufgewachsen in der Camargue, wo Stierkampf bis heute eine tief verwurzelte Tradition ist, nutzt sie diese Kulisse, um Fragen nach Geschlecht, Macht und Widerstand zu stellen.

Der Stierkampf wird zur Projektionsfläche für eine neue Generation, die sich weigert, alten Strukturen zu folgen. ANIMALE ist wild, wuchtig und tief feministisch – ein Film, der die Tradition des Stierkampfs in ein modernes, queeres Kino überführt und Body Horror mit gesellschaftlicher Analyse verschmilzt. Wer mutiges, herausforderndes Kino sucht, wird hier eines der markantesten Werke des Jahres finden.