Mit Zweitland feiert Michael Kofler sein eindringliches Kinodebüt und bringt ein Stück europäischer Zeitgeschichte auf die Leinwand, das lange im Schatten größerer historischer Erzählungen stand. Beim diesjährigen Filmfest München feierte das Drama seine umjubelte Weltpremiere – und entführt das Publikum ins Südtirol der 1960er Jahre, in eine Zeit politischer Spannungen, familiärer Zerreißproben und stiller Emanzipation.
Familienbande im Schatten der Feuernacht – Loyalität oder Selbstverwirklichung?
Südtirol, 1961: Eine Serie separatistischer Bombenanschläge erschüttert die Region. Für die deutschsprachige Minderheit ist es ein Kampf um kulturelle Identität – für die italienischen Behörden ein Akt des Terrorismus. Inmitten dieser explosiven Lage stehen die Brüder Paul (Thomas Prenn) und Anton (Laurence Rupp), deren Lebenswege unterschiedlicher kaum sein könnten. Paul träumt davon, der Enge des Bergdorfs zu entfliehen und in der Stadt Malerei zu studieren. Anton hingegen ist fest entschlossen, seine Heimat und Sprache mit allen Mitteln zu verteidigen – selbst wenn Gewalt der Preis ist.
Als Anton nach einem Attentat untertauchen muss, bricht für die Familie eine neue Realität an. Paul verschiebt seine eigenen Pläne, um Antons Frau Anna (Aenne Schwarz) und ihren kleinen Sohn zu unterstützen. Doch je länger er bleibt, desto mehr wächst der innere Konflikt zwischen familiärer Loyalität und der Sehnsucht nach Selbstverwirklichung. Anna wiederum entwickelt sich in dieser Zeit zur leisen, aber unbeirrbaren Stimme des Wandels. Sie beginnt, sich gegen die patriarchalen Strukturen in Familie und Gesellschaft zu wehren – und stellt damit nicht nur ihr eigenes Leben, sondern auch das fragile Gefüge zwischen den Brüdern auf die Probe.

Dichte Atmosphäre und präzise Figurenzeichnung
Kofler inszeniert Zweitland ohne pathetische Überhöhung. Die Landschaftsbilder Südtirols sind nicht bloß Kulisse, sondern Spiegel innerer Zustände – weit und erhaben, aber auch rau und unbarmherzig. Die Kamera fängt das Wechselspiel aus Nähe und Distanz in der Familie ein, verweilt auf Blicken, Gesten und unausgesprochenen Spannungen. Thomas Prenn verleiht Paul eine verletzliche Wärme, die stets mit innerer Unruhe unterfüttert ist. Laurence Rupp verkörpert Anton mit einer Mischung aus Überzeugungskraft und sturer Unnachgiebigkeit, während Aenne Schwarz als Anna subtil, aber kraftvoll den feministischen Kern der Geschichte trägt.
Zweitland erzählt nicht nur von einer spezifischen Epoche, sondern berührt universelle Fragen: Was schulden wir unserer Familie? Was uns selbst? Und wie viel sind wir bereit zu opfern, um unsere Überzeugungen zu verteidigen? Der Film ist dabei ebenso politisch wie persönlich – und beweist, dass historische Stoffe gerade dann wirken, wenn sie nah an den Menschen bleiben, die sie erlebt haben. Michael Koflers Zweitland ist ein kraftvolles Debüt, das politische Geschichte und persönliche Tragödie zu einem atmosphärisch dichten Drama verbindet. Stark gespielt, präzise inszeniert und mit einer berührenden, zeitlosen Botschaft.