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Die Nibelungen DVD Cover

In Teil 3 der „Verkannten Perlen“ wird kinomeister.de ungewohnt pädagogisch: „Die Nibelungen“ von Harald Reinl muss an die Schulen! Ob uns ein derart bildungspolitisches Postulat zusteht? Ein paar Argumente haben wir.

Die Griechen haben Homers Ilias, die Römer Dantes Göttliche Komödie. Die Briten haben die Artussage und die Deutschen haben das Nibelungenlied. Aber wem sagt das aus dem Mittelalter stammende Nationalepos heutzutage überhaupt noch etwas? Die dritte Ausgabe unserer Reihe „Verkannte Perlen“ ist ein Plädoyer. Denn beim Kampf um die Bewahrung eines nationalen Kulturguts von unschätzbarem Wert kommt dem Medium Film eine wesentliche Rolle zu.

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Dass sich junge Menschen ohne äußeren Anreiz 2.400 Strophen auf Mittelhochdeutsch zu Gemüte führen, dürfte selten vorkommen. Deshalb muss der Zweiteiler „Die Nibelungen“ (1967) von Harald Reinl – die bis heute beste Verfilmung des Stoffes – dringend an die Schulen.

Es ist noch gar nicht so lange her, da liefen Sachen wie Reinls Würdigung dieses einzigartigen literarischen Werkes noch an gesamtdeutschen Feiertagen im öffentlich-rechtlichen Rundfunk. Da dieser allerdings seine Bedeutung verloren hat und von den einschlägigen Streaming-Diensten keine pädagogische Verantwortung zu erwarten ist, bleiben eigentlich nur die Bildungseinrichtungen.

Seien es nur die berühmten letzten drei Tage vor den Ferien, die seit Menschengedenken nur noch totgeschlagen werden – ein pfiffiger Deutschlehrer könnte aus jeder Schulklasse mindestens eine Handvoll Pennäler für das Nibelungenlied begeistern.

Die Nibelungen Teil 1 1966 / 1967 © YouTube

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Schließlich gibt es keinen Grund, warum ein junger Mensch, der sich für „Game of Thrones“ oder die Werke Tolkiens (bekanntermaßen selbst Mediävist) und deren filmische Umsetzungen erwärmen kann, nicht auch deren Vorfahren mögen sollte. Beide Fantasy-Universen sind massiv von der mittelalterlichen Heldendichtung beeinflusst.

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Im Nibelungenlied tauchen sämtliche Kernmotive auf, die auch bei GOT den Reiz ausmachen – höfische Intrigen, Liebe, Neid, Rachsucht… sogar einen Drachen haben wir. Nur ist das Ganze hier sprachlich und erzählerisch deutlich kunstvoller aufbereitet – das würde nicht einmal George R.R. Martin bestreiten, versprochen! Die Botschaft an die zu bildenden liegt auf der Hand – wenn ihr doch die Ableger feiert, dann checkt mal das Original!

Wer den Einstieg findet – und sei es nur weil er/sie irgendwann mal Jon Snow oder Daenerys Targaryen cool fand – der taucht in einen Kosmos ein, in dem Forscher verschiedenster Disziplinen ihr gesamtes Leben verbringen. Über die unzähligen kulturellen und gesellschaftlichen Einflüsse des Nibelungenliedes haben Heerscharen von Anthropologen, Philologen oder Historikern geforscht und immer noch nur einen Bruchteil abgedeckt. Es gibt noch so viel zu erfahren, so viel zu diskutieren. Wird der Funke einmal entfacht, dann kann das Nibelungenlied ein Jahrzehnte währendes geistiges Feuerwerk abbrennen.

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Natürlich kann Reinls Zweiteiler weder das gigantische narrative Konstrukt, noch die metaphorische Tiefe der Literaturvorlage auch nur ansatzweise nachbilden. Auch wenn er sich an einigen Kunstgriffen versucht, wie etwa die elegante Einbindung des intradiegetischen Erzählers Volker von Alzey (Hans von Borsody), der zuerst aus dem Off die berühmte erste Strophe vorträgt (keine Sorge, Amtssprache ist Neuhochdeutsch) und dann plötzlich Harfe spielend im Thronsaal zu Worms sitzt.

Und dann sind wir auch schon mittendrin. Die Nibelungen, die ja eigentlich Burgunden sind, erwarten
gespannt die Ankunft des berühmten Siegfried von Xanten, der allzu gern Kriemhild, die Schwester von König Gunther ehelichen Möchte. Es folgt eine lange Rückschau (neben der Vorausdeutung das dominante erzählerische Stilmittel des Nibelungenlieds), da die ganze Belegschaft ja noch einmal nachvollziehen muss, wie Siegfried zu seinem Schwert Nothung, seiner Tarnkappe und vor allem seinem sagenhaften Goldbesitz kam – dem „Nibelungenhort“.

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Nochmal muss Game of Thrones zum Vergleich herangezogen werden, denn „Die Nibelungen“ punktet mit Attributen, die auch maßgeblich für den überbordenden Erfolg der HBO-Serie verantwortlich sind: Charakterdesign und Kulisse. Egal ob ein steinerner Wall, ein pittoreskes Kostüm oder ein schartiger Esstisch: Echte Requisiten werden immer besser aussehen, als digitaler Kladderadatsch. Erstaunlich, wie viele zeitgenössische Filmemacher dies nicht begreifen.

Vielleicht hätte sich Peter Jackson einmal „Die Nibelungen“ anschauen sollen, bevor er anfing, in seinen „Hobbit“-Filmen selbst einen Schluck Milch zu animieren, der in einen Becher gefüllt wird.

Plötzlich taucht auch Terence Hill auf

Terence Hill in Die Nibelungen
Terence Hill ( 2. v. rechts) in Die Nibelungen © Constantin Film

Die Schauplätze in den beiden Filmhälften „Siegfried von Xanten“ (1966) und „Kriemhilds Rache“ (1967) sehen einfach durch die Bank gut aus und holen den Zuschauer mitten in die mystische Atmosphäre, die der anonyme Autor des Nibelungenlieds so kunstvoll erschuf.

Und erst die Figuren! Das spätere Bond Girl Karin Dor gibt eine großartige Brunhild – lange vor jeder „Woke“-Diskussion gleichermaßen kraftvoll und feminin und niemand verschwendet einen Gedanken daran. Der Streit der Königinnen, den sie mit Kriemhild (Maria Marlow) vor dem Wormser Münster austrägt, gehört sowohl in der Vorlage als auch in der Verfilmung zu den absoluten Höhepunkten.

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Für alle Freunde von Italo-Western und Fäuste fliegendem Kult-Klamauk gibt es ein ganz besonderes Bonbon: Terence Hill, hier noch unter seinem bürgerlichen Namen, hat einen seiner ersten Auftritte als Gunthers Bruder Giselher. Sein Charisma war den Drehbuchautoren offenbar schon aufgefallen und so bekommt seine Romanze mit der schönen Gotelint eine Prise mehr Screen Time als es die Vorlage erfordert hätte.

Über allen thront allerdings Siegfried Wischnewski als Hagen von Tronje. Seine martialische Optik inklusive überlebensgroßem Helm ist beeindruckend. Sein grimmiges Spiel ist die Verkörperung der „Nibelungentreue“, die längst zum geflügelten Wort im alltäglichen Sprachgebrauch geworden ist.

Hagen beeindruckend grimmig, Siegfried beeindruckend dümmlich

Hagen in Die Nibelungen
Siegfried Wischnewski als Hagen von Tronje © Constantin Film

Dem gegenüber steht leider der Siegfried als Schwachpunkt der Verfilmung. Leichtathlet Uwe Beyer bringt für die Rolle zwar ideale körperliche Voraussetzungen mit, nicht aber schauspielerische Fähigkeiten.

Ob es daran liegt, dass der Recke aus Xanten im kompletten ersten Teil stets leicht einfältig rüberkommt? Oder war es Absicht seitens des Regisseurs? Vielleicht auch eine Mischung aus beidem. Wie dem auch sei: Diese Tatsache gibt natürlich Abzüge in der Gesamtbewertung.

Nicht aber die praktischen Effekte. Ja, der berüchtigte Drache Fafnir ist ein Pappmaschee-Gerüst, das heute wahrscheinlich auf keinem Jahrmarkt mehr durchgehen würde. Ja, in der oben geforderten Schulklasse, die den Film anschauen würde, gäbe es Gekicher. So what?

Ein Smaug aus dem CGI- Labor emotionalisiert auch nicht mehr als ein Dampfdüsen-Fafnir. In beiden Fällen erkennt der Zuschauer doch, was es sein soll. Und das ist auch die einzige Stelle, an der „Die Nibelungen“ auf technischer Seite gegenüber neueren Produktionen im Hintertreffen ist. Wer sich an derartigen Nebensächlichkeiten stört, sollte seine Freizeit tatsächlich lieber mit „Tintenherz“ oder „Snow White and the Huntsman“ verbringen. Ansonsten ist Reinls zweiteiliges Machwerk eine tolle Chance, einen Zugang zu einem der bedeutendsten Werke der Literaturgeschichte zu bekommen.

Natürlich bietet das Ganze auch Potential zur ernsthaften Kritik. Etwa die Darstellung der Hunnen – verschlagen, linkisch und eher insektenhaft im Kontrast zu den aufrechten, ikonischen Nibelungen – scheint sich an der Stummfilm-Interpretation von Fritz Lang (1924) zu orientieren, wirkt aus heutiger Sicht gleichwohl unangenehm.

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Im Gegensatz zu Langs Werk hatte Reinls Adaption den Tiefpunkt völkisch-deutschem Chauvinismus bereits hinter sich. So will man schließlich das Nibelungenlied aus dem damals noch anhaltenden Würgegriff der nationalsozialistischen Vereinnahmung befreien und lässt Dietrich von Bern nach der „Götterdämmerung“ rekapitulieren: „So ergeht es Männern, die einem Mörder die Treue halten“.

An diesem politischen Appendix wird deutlich: Es lagern viele Fässer in dem Themen-Keller, den man aufschließt, wenn man sich auf das literarische Werk und seine filmische Umsetzung einlässt. Zu viele, als dass diese Rezension sie auch nur annähernd stemmen könnte.

Ob man sich zwei Stunden unterhalten lässt und dann seiner Wege geht oder ob man Lust bekommt, tiefer in die Materie einzutauchen, bleibt jedem Zuschauer selbst überlassen. Doch dieser Kellerschlüssel sollte jedem einmal in die Hand gedrückt werden.

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