Inhalt: Train Dreams nach dem gleichnamigen Erfolgsroman von Denis Johnson ist das bewegende Porträt von Robert Grainier, einem Holzfäller und Eisenbahnarbeiter, der im sich im Umbruch befindenden Amerika des 20. Jahrhunderts ein Leben von unerwarteter Tiefe und Schönheit führt.
Ein Film wie ein Roman über ein ganzes Leben
Es gibt Filme, die sich eher wie ein Fundstück der Literatur anfühlen, eine heimliche Neuentdeckung, ein Werk, das noch lange nach dem Anschauen nachklingt. Das Drama von Regisseur Clint Bentley, nach einer Novelle von Denis Johnson, ist so ein seltener Moment. Bentley und Co-Autor Greg Kwedar, das kreative Duo hinter „Sing Sing“ (2023), liefern ein meditatives Filmgedicht darüber, was es eigentlich heißt, ein glückliches Leben zu führen. Die unaufgeregte, nachdenkliche Erzählung, getragen von Will Pattons angenehmer Stimme, verleiht dem Film die Kraft eines Romans im Stil von Jenseits von Eden.
Im Mittelpunkt steht Joel Edgerton als Robert Grainier, ein ruhiger, fast archetypischer Charakter, ein zurückhaltender Arbeiter mit freundlichen, traurigen Augen, deren Ausdruck oft hinter einem dichten Bart verschwindet. Die Erzählung macht sofort deutlich, dass Grainier aus einfachsten Verhältnissen stammt, ein Waisenkind ohne Herkunft, ohne Wurzeln. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts findet er Arbeit als Holzfäller und Eisenbahnbauarbeiter im pazifischen Nordwesten, zu einer Zeit, in der Amerikas Expansionsdrang fast grenzenlos scheint.

Wunderschön, lebendig und tief bewegend
Der Film wurde vor Ort im Bundesstaat Washington gedreht. Bentley fängt die Landschaft in gold- und rosafarbenen Sonnenuntergängen ein, mit einer körnigen Kamera-Ästhetik und ausdrucksstarken Silhouetten. Vergleiche mit Terrence Malick oder Chloé Zhao kommen einem in den Sinn, nicht nur wegen der natürlichen Schönheit, sondern auch wegen der stillen Spiritualität, der existenziellen Sehnsucht und der Gegenüberstellung von Mensch und Natur. Diese Welt ist hart, unkontrollierbar und voller Geheimnisse. Darin bewegt sich Grainier mit einer Mischung aus Bewunderung, Angst und Demut.
Die Geschichte selbst ist unaufgeregt, zurückhaltend, bruchstückartig, ein Leben in Etappen. Grainier arbeitet, liebt, zweifelt und speichert die Bruchstücke seines Lebens, die für ihn von Bedeutung sind. William H. Macy überzeugt als Arn Peeples, ein Mundharmonika spielender und für Sprengstoff zuständiger Routinier, der dem ganzen Film trockenen Humor und eine philosophische Note verleiht. In ihm findet Grainier ein unverhofftes Spiegelbild: Beide beschäftigen sich mit den großen Fragen des Lebens. Peeples‘ lakonische Bemerkungen, wie zum Beispiel, dass er wahrscheinlich neben jemandem schlafen würde, der viel besser aussieht als Grainer, wenn er jemals den Sinn des Lebens verstanden hätte, verleihen dem Film Bodenständigkeit und Menschlichkeit.
Gleichzeitig wird die brutale Realität des Holzfällerlebens nicht schöngeredet. Grainier beobachtet rassistische Übergriffe, tödliche Unfälle und die permanente Todesgefahr in einer Branche, welche Menschen wie Material verschleißt. Peeples bringt es treffend auf den Punkt: „Es zerstört die Seele eines Menschen.“ Und Grainier spürt diese Wahrheit. Sie beeinflusst seine Ängste, seine Sehnsüchte und seine unerfüllten Hoffnungen.

Ein filmischer Atemzug über Arbeit, Sinn und Vergänglichkeit
Trotz all der Herausforderungen hat Grainier bei seiner Frau Gladys (Felicity Jones) und seiner Tochter Katie (Zoe Rose Short) seinen inneren Frieden gefunden. Ihre Liebe ist recht nüchtern, aber sie gibt ihm Kraft. Die dann folgenden tragischen Ereignisse sind vielleicht etwas schwer nachvollziehbar, aber sie erzeugen die bittersüße Melancholie, die den ganzen Film prägt.
Grainer’s Alterungsprozess ist besonders bewegend, da sich die Landschaft um ihn herum sichtbar verändert, moderner, lauter und zivilisierter wird, während sein Blick zunehmend introvertiert und zurückhaltend wird. Edgerton spielt diese Entwicklung mit beeindruckender Zurückhaltung. Man spürt das Gewicht seiner Erinnerungen. Clint Bentleys Film verzichtet bewusst auf die klassische Spannungskurve. Stattdessen zeigt er das Leben, wie es ist: eine Ansammlung von vergänglichen Momenten, von grundlegenden Einsichten und schmerzhaften Verlusten. Die Stärke des Films liegt in seiner Langsamkeit, seiner Stille, der schön gestalteten Alltagsbeobachtung. Die Kamera begleitet Grainier, ohne ihn zu beurteilen.
Sie lässt seine Erfahrungen für sich sprechen: seine Einsamkeit, sein Erstaunen, seine Misserfolge und seine bitter gewonnene Weisheit. Das Ergebnis ist ein Film, der mit einer selten gewordenen Behutsamkeit arbeitet: poetisch, melancholisch, frei von Pathos. Eine Meditation über Herkunft, Menschlichkeit und die Fragen, die wir uns stellen, wenn wir einen Augenblick lang über das Leben nachdenken und darüber, wie die Welt einmal war und wie sie geworden ist.
Fazit: Train Dreams ist das Gegenteil eines Wohlfühl-Films. Es ist ein Klagelied auf ein Leben, wie es Amerika einmal prägte: rau, atemlos, voller Naturgewalt und existenzieller Suche. Ein stiller Triumph. Ein Film, der bleibt.
Film Bewertung 9 / 10





