THE BRUTALIST

Inhalt: Als der visionäre Architekt László Toth und seine Frau Erzsébet aus Europa fliehen, um ihr Erbe wieder aufzubauen und die Geburt des modernen Amerikas mitzuerleben, wird ihr Leben durch einen geheimnisvollen und wohlhabenden Kunden für immer verändert.

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Ein moderner Klassiker mit tiefgreifenden Themen

Diese Meisterwerke wurden aufgezählt, als Brady Corbet für The Brutalist bei den Filmfestspielen von Venedig mit dem Silbernen Löwen für die beste Regie ausgezeichnet wurde: Citizen Kane. Der Pate. Es war einmal in Amerika. There Will Be Blood. Ist es möglich, dass ein moderner Film, selbst ein amerikanisches Epos dieser Größenordnung (und damit ist nicht nur die 215-minütige Laufzeit gemeint), im Schatten solcher Monumente bestehen kann? Die Antwort lautet: ja und nein.

The Brutalist ist kein „Crowdpleaser“, kein Mainstream Film. The Brutalist ist eine schwere Angelegenheit, und wird sicherlich keinen Kult-Status, wie die o.g. Klassiker erreichen. Es ist ein nüchterner, Roman-artiger, selbstbewusster Film, der sich in einer eigenen, gigantischen Dimension entfaltet und dennoch die meiste Laufzeit über, alles im Griff hat. Er wurde in prächtigem, fast vergessenen VistaVision gedreht, ist in einzelne Kapitel unterteilt und hat eine 15-minütige Pause. Und natürlich geht es um die schwerwiegenden Themen jüdische Identität, Einwanderung, Privilegien, Kultur versus Kommerz und den schmalen Grat zwischen Inspiration und Wahnsinn, Ehrgeiz und zerstörerischem Egoismus.

Doch es ist keine Geschichts-Lehrstunde. Genau wie Dostojewskis überfrachtete Wälzer vor Schwere und Dynamik strotzen, so entfaltet sich Corbets fiktive Saga in geradezu epochaler Geschwindigkeit. Es beginnt 1947, als der in Ungarn geborene jüdische Architekt László Tóth (Adrien Brody) aus dem Inneren eines überfüllten Schiffes steigt, um die berühmte Statue von Ellis Island zu betrachten.

THE BRUTALIST
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Kino abseits des Mainstreams

Aus Tóths Blickwinkel erscheint die Freiheitsstatue auf dem Kopf stehend, und Amerika, das Land der Träume, wird sich für Tóth in den nächsten 30 Jahren als eine häufig auf den Kopf gestellte, emotionale Erfahrung erweisen. Als er in Pennsylvania bei seinem amerikanisierten Cousin Attila (Alessandro Nivola) und dessen katholischer Frau Audrey (Emma Laird) ein Zuhause findet, baut László Gegenstände für deren Möbelgeschäft und wird dann von dem wohlhabenden Harry Van Buren (Joe Alwyn) beauftragt, einen verstaubten Leseraum in eine moderne Bibliothek zu verwandeln.

Es soll eine Überraschung für Harrys Vater, den Industriellen Harrison Lee Van Buren Sr. (Guy Pearce), sein, doch der blaublütige Patriarch sieht rot und wirft Tóth ohne Bezahlung hinaus. Bis sein luftiges neues Zimmer in der Zeitschrift Look erscheint und Van Buren Sr. Tóth beauftragt, ein riesiges Gebäude zu Ehren seiner verstorbenen Mutter zu entwerfen.

Wie Corbets provokante erste beiden Filme, The Childhood of a Leader und Vox Lux – über einen faschistischen Diktator bzw. einen Popstar – zeichnet The Brutalist den Aufstieg einer rätselhaften Figur nach. Zunächst wissen wir wenig über den Holocaust-Überlebenden Tóth, außer dass er auf die Ankunft seiner Frau Erzsébet (Felicity Jones) und seiner Nichte Zsófia (Raffey Cassidy) wartet, die nach dem Krieg in Europa geblieben sind.

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Visuelle und emotionale Meisterklasse

Doch langsam, Stein für Stein, fügen sich die Puzzleteile zusammen, und wir erfahren, dass Tóth ein gefeierter Architekt der Bauhaus-Schule ist. Die ausladenden Betonblöcke seiner Gebäude, die hässlich und formschön zugleich sind, sollen eine zweckorientierte Zukunft darstellen. Sie spiegeln sich in der seltsamen Geometrie von Tóths Gesicht wider – er ist jetzt heroinabhängig, nachdem er auf dem Weg nach Amerika den Schmerz einer gebrochenen Nase mit Morphium betäubt hatte.

Brodys Tóth strotzt vor Schmerz und Leidenschaft. Der Schauspieler übertrifft damit seine Oscar-prämierte Leistung in Der Pianist. Sein Schweigen spricht Bände, und Tóth ist in der ersten Hälfte des Films eine zögerliche, traumatisierte Figur. Im Kontrast dazu und als Gegenstück erhebt sich die stürmische, aufwühlende Filmmusik von Daniel Blumberg wie aus dem neunten Kreis der Hölle. Nach der Pause verschärfen sich Tóths Worte und Emotionen, ausgelöst durch die Ankunft von Erzsébet und Zsófia.

Und dann ist da noch der Bau eines gewaltigen Gebäudes, das als Auditorium, Kapelle, Bibliothek und Turnhalle dienen soll, und die damit verbundenen Auseinandersetzungen mit dem herrschsüchtigen Van Buren. Pearce, eindrucksvoll und lautstark, ist der heimliche MVP des Films. Selbst wenn Van Buren Sr. seinen Charme spielen lässt, erzeugt seine Beziehung zu Tóth eine seltsame Mischung aus Bewunderung und Neid, Macht und Abscheu, die unter der Oberfläche brodelt.

THE BRUTALIST
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Ein monumentales Werk!

Corbet sieht vielleicht Anklänge an seine eigenen Erfahrungen – der visionäre Künstler, der den Launen kurzsichtiger Geldgeber unterworfen ist – und gießt dann kulturelle Vorurteile in die Mischung. In einer schockierenden Szene wird die Anspannung zwischen Tóth und Van Buren Sr. unnötigerweise greifbar gemacht. Aber das filmische Konstrukt ist stabil genug, dass es kaum wackelt. Dass ein solches Epos für weniger als 10 Millionen Dollar gedreht wurde, ist kaum zu glauben.

Hier ist ein allegorischer Gründungsmythos, der Coppolas ähnlich gelagerten Megalopolis überragt und komplizierte Beziehungsdynamiken mit ehrfurchtgebietenden Bildern mischt. Der Besuch von Tóth und Van Buren Sr. in den Marmorbrüchen von Carrara ist ein als spirituelles Erlebnis getarnte Reise. Die asketischen Bilder des Kameramanns Lol Crawley unterstreichen Tóths imposante Kreationen. Die zweite Hälfte des Films, hat nicht ganz den gewollten Effekt, sondern wirkt trotz der beachtlichen Laufzeit zum Ende hin etwas gehetzt.

Fazit: Der Film hat die Schwere eines Dostojewski-Bandes und die kantige Konstruktion des Brutalismus. Aber auf cineastischer Ebene greift Brady Corbets erdbebenartiges Drama nach den Sternen, um die Seele eines Mannes und einer Nation zu erforschen: ein visueller Hochgenuss für Liebhaber anspruchsvoller Filmkunst. Die Oscar-Preisverleihung kann kommen. Film Bewertung 9 / 10