SIRAT

Inhalt: Ein Vater (Sergi López) und sein Sohn kommen auf einem abgelegenen Rave inmitten der Berge Südmarokkos an. Sie sind auf der Suche nach Mar, ihrer Tochter und Schwester, die vor Monaten auf einer dieser niemals endenden, schlaflosen Partys verschwunden ist. Umgeben von elektronischer Musik und einem rohen, ungewohnten Gefühl von Freiheit, zeigen sie immer wieder ihr Foto herum. Die Hoffnung schwindet, doch sie geben die Suche nicht auf und folgen einer Gruppe von Ravern zu einer letzten Party in der Wüste. Je tiefer sie in die glühende Wildnis vordringen, desto mehr zwingt sie die Reise, sich ihren eigenen Grenzen zu stellen.

© Pandora Filmverleih

Óliver Laxe entführt das Publikum in Sirāt in eine Landschaft, die zugleich karg, flirrend und voller Geheimnisse ist. Luis (Sergi López) reist mit seinem zwölfjährigen Sohn Esteban (Bruno Núñez) quer durch das Atlasgebirge bis tief in die marokkanische Wüste, um seine seit Monaten verschwundene Tochter Marina zu finden. Diese Suche führt nicht nur durch eine physisch herausfordernde Welt, sondern auch in die inneren Abgründe der Figuren – eine Reise, die Körper und Geist gleichermaßen fordert.

Die Handlung verweigert sich klassischen Drama oder Thriller-Mustern. Statt eindeutiger Spuren und klarer Wendepunkte gleitet die Geschichte wie ein Strom aus Eindrücken, Begegnungen und flüchtigen Momenten. Hoffnung und Verzweiflung wechseln sich ab, Realität und Rauschzustände verschwimmen. Ein letzter illegaler Wüsten-Rave, getragen von dröhnenden elektronischen Beats, durchzieht den Film wie ein tranceartiger Herzschlag und lässt den Zuschauer zwischen Anspannung und hypnotischer Ruhe taumeln.

Kameramann Mauro Herce entfaltet auf 16mm Bilder, die wie eine raue, greifbare Textur, das Publikum fast körperlich in die Hitze und Weite hineinzieht. Laxe variiert zwischen gleißenden Totalen der endlosen Wüste und stillen Nahaufnahmen, in denen kleine Gesten und Blicke ganze Welten eröffnen. Die Kamera verweilt, gibt Raum – manchmal zum Durchatmen, manchmal zum Innehalten. Die Wüste wird dadurch mehr als nur Kulisse: Sie wird Spiegel innerer Leere, Prüfstein und Metapher für den schmalen Grat zwischen Leben und Tod.

SIRAT
© Moviestar+

Zwischen gleißender Weite und innerer Leere – eine Reise an die Grenzen von Körper und Geist

Der Soundtrack von Kangding Ray verschmilzt mit den Geräuschen der Landschaft. Seine elektronischen Kompositionen treiben den Film voran, wirken mal wie ein pulsierender Herzschlag, mal wie ein fernes Echo. Die Musik verstärkt die meditative, zugleich bedrohliche Stimmung und verleiht den Bildern eine körperlich spürbare Tiefe.

Thematisch berührt Sirāt Fragen von Migration, Entwurzelung und dem Spannungsfeld zwischen Tradition und Moderne, ohne sie plakativ auszustellen. Vieles bleibt angedeutet, fast schemenhaft, und lädt dazu ein, Bedeutungen selbst zu erschließen. Die Figuren wirken wie Stellvertreter universeller Erfahrungen: Verlust, Suche, Überleben. Die kompromisslose Bild- und Tonarbeit brachte Sirāt den Preis der Jury bei den Filmfestspielen von Cannes 2025 ein. Das Werk polarisiert: Für manche ist es ein Audiovisuelles und emotionales Meisterstück, für andere eine sperrige Eskapismus-Erzählung.

Fazit: Man kann nicht einfach dem Ende der Welt davontanzen. Sirāt ist kein Film, den man einfach konsumiert. Roh, poetisch und herausfordernd entfaltet er eine Kraft, die nachwirkt. Wer bereit ist, sich diesem Rausch aus Bildern, Klängen und Emotionen hinzugeben, dem steht eines der ausgefallensten Kinoerlebnisse des Jahres bevor.

Film Bewertung 8 / 10