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QUO VADIS, AIDA, (c) Deblokada

Drehbuch und Regie: Jasmila Žbanić | Mit Jasna Đuričić, Izudin Bajrović, Boris Ler, Dino Bajrović, Raymond Thiry, Johan Heldenbergh Boris Isaković, Emir Hadžihafizbegović, Edita Malovčić u.a.

Produktionsland: Bosnien und Herzegowina | Österreich | Rumänien | Niederlande | Deutschland | Polen | Frankreich | Norwegen | 2020 | FSK: Ab 12 Jahren | Laufzeit: ca. 103 Minuten


Hintergrund: QUO VADIS, AIDA? erzählt von nur wenigen dramatischen Tagen im Leben einer Frau, deren Schicksal für das einer ganzen Generation von Frauen steht, die den Krieg in Bosnien überlebt haben. Mehr als 8000 – fast ausschließlich männliche – Zivilisten wurden bei dem als Genozid eingestuften Massaker von Srebrenica von der bosnisch-serbischen Armee ermordet und in Massengräbern verscharrt. Es gilt als das schwerste Kriegsverbrechen in Europa seit Ende des Zweiten Weltkriegs.

Neben den grausamen Taten der Armee von Ratko Mladić wurde im Zusammenhang mit dem Massaker auch die Rolle der Vereinten Nationen scharf kritisiert. Zum 25. Mal jährte sich das Massaker von Srebrenica im Juli 2020 und bis heute erscheint es unbegreiflich, dass es vor den Augen der Staatengemeinschaft, mitten in Europa, zu einer solchen Katastrophe kommen konnte.


Inhalt: Bosnien, Juli 1995. Aida (Jasna Ðuriči) ist Übersetzerin für die UN in der Kleinstadt Srebrenica. Als die serbische Armee die Stadt einnimmt, gehört ihre Familie zu den Tausenden von Menschen, die im UN-Lager Schutz suchen.

Als Dolmetscherin in den Verhandlungen hat Aida Zugang zu entscheidenden Informationen. Sie versucht dabei, Lügen und Wahrheiten auseinanderzuhalten, um herauszufinden, wie sie ihre Familie und ihre Mitbürger*innen retten könnte.

© farbfilm verleih

Film Kritik

von Ilija Glavas

8372: Eine Zahl des Schreckens, eine Zahl gegen das Vergessen

Autorin und Regisseurin Jasmila Žbanić hat mit Esmas Geheimnis, die Qualen sarajevanischer Frauen erforscht, die nach einer Vergewaltigung während des Bosnienkriegs zurechtkommen mussten.

Mit Quo Vadis, Aida ? wendet sie sich in einer ergreifenden Rekonstruktion dem Völkermord von Srebrenica zu. Sie weigert sich, die 8.372 Zivilisten, die im Juli 1995 von der bosnisch-serbischen Armee massakriert wurden, zu reinen Statistiken verkommen zu lassen.

Indem sie die Verbrechen von General Ratko Mladic aufdeckt, beleuchtet Zbanic aber auch die Rolle der unglücklichen niederländischen Friedenstruppe.

Eine brillante Jasna Đuričić in Quo Vadis, Aida? © farbfilm verleih
Eine brillante Jasna Đuričić in Quo Vadis, Aida? © farbfilm verleih

Politische Ohnmacht fesselnd bebildert

Diese wurden sowohl von ihren UN-Vorgesetzten als auch von den zögerlichen Weltmächten, die zugelassen hatten, dass das zersplitternde Jugoslawien in eine Reihe blutiger Bürgerkriege abrutschte, fast im Stich gelassen.

Mit Fokus auf die Lehrerin und Übersetzerin Aida, gelingt es Zbanic, die Gräueltaten zu vermenschlichen, indem man uns zeigt, wie sie gezwungen ist, Entscheidungen zu treffen, die Auswirkungen auf ihr unmittelbares Umfeld haben, um das Leben ihres Mannes und ihrer erwachsenen Söhne zu schützen.

Die einfallsreiche Hartnäckigkeit, die Aida (fesselnd gespielt von Jasna Đuričić) an den Tag legt, steht im Widerspruch mit der auftragsgemäßen Ohnmacht der holländischen Kommandeure und dem rücksichtslosen, selbst mythologisierenden Zynismus von Boris Isakovic’s Mladic.

Die Machtlosigkeit des UN-Kommandos offenbart sich in den Verhandlungen mit Soldaten des serbischen Einheit © farbfilm verleih
Die Machtlosigkeit des UN-Kommandos offenbart sich in den Verhandlungen mit Soldaten der bosnisch-serbischen Einheit © farbfilm verleih

Er gibt sich als gerechter Befreier aus, der denjenigen, die in der Sicherheitszone Schutz suchen, Brot und Süßigkeiten anbietet, bevor er seine erbarmungslose Politik der ethnischen Säuberung durchführt.

Doch trotz der schockierenden Natur der sich verschlimmernden Situation vermeidet Žbanić es, in rührselige Melodramatik zu verfallen, und verwendet scharfsinnig beobachtete Details, um den Zuschauer daran zu erinnern, dass die Mehrheit der Opfer gewöhnliche Männer und Jungen sind.

Immer mehr Menschen suchen Schutz in der UN kontrollierten Zone © farbfilm verleih
Immer mehr Menschen suchen Schutz in der UN kontrollierten Zone © farbfilm verleih

Chaos und Kalkül werden Konsequent hervorgehoben

Bis zu einem gewissen Grad hängt die Wirkung des Gesehenen davon ab, dass Žbanić das Ausmaß der Katastrophe vermittelt. Das wird durch die Aufnahme tausender hilfloser Flüchtlinge, auf erschreckende Weise erreicht und ihr warten darauf, dass ihr Schicksal kilometerweit entfernt von gesichtslosen, unbekümmerten Feiglingen entschieden wird.

Aber die rastlose Kameraarbeit von Christine Maiers ermöglicht es ihr, die menschlichen Elementen eines geschichtsprägenden Ereignisses festzuhalten, dessen eskalierendes Gefühl der Unausweichlichkeit von Jaroslaw Kaminskis ruhigem, präzisem Schnitt konsequent hervorgehoben wird.

Diese Studie über Chaos und Kalkül ist nicht nur erschütternd fesselnd, sondern entlarvt auch die Apathie einer internationalen Gemeinschaft, die einfach weggeschaut hat.

Aida realisiert die Ausweglosigkeit der Ereignisse © farbfilm verleih
Aida realisiert die Ausweglosigkeit der Ereignisse © farbfilm verleih

Fazit: Es ist wahr, dass die Zeit vergeht, dass die Erinnerung verblasst, dass die Geschichte eine Aufzeichnung der Barmherzigkeit ebenso wie der Grausamkeit ist.

Aber es ist auch wahr, wie dieser unvergessliche Film eindringlich zeigt, dass dieser Verlust menschlichen Lebens, dauerhaft und unbeantwortet ist. Erschütternd. Ergreifend. Sehenswert.


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