Besetzung: Ben Platt, Amy Adams, Julianne Moore, Kaitlyn Dever, Amandla Stenberg, Nik Dodani, Danny Pino, Colton Ryan, DeMarius Copes | Regie: Stephen Chbosky | Drehbuch: Steven LevensonMusik & Songtexte: Benj Pasek & Justin Paul
Basierend auf: Dem Bühnen-Musical von Steven Levenson, Benj Pasek & Justin Paul | Produzenten: Marc Platt, Adam Siege | Executive Producers: Michael Bederman, Steven Levenson, Benj Pasek, Justin Paul
Inhalt: #dubistnichtallein – dieser Hashtag bezeichnet eine Bewegung, die vielen jungen Menschen aus der Seele spricht in einer Zeit, in der wir mehr vernetzt sind als je zuvor und doch immer mehr damit kämpfen, nicht gesehen und nicht gehört zu werden.
Auch Außenseiter Evan Hansen kämpft mit solchen Problem und soll sie lösen, indem er sich in Briefen an sich selbst von den positiven Seiten seines Lebens erzählt. Doch als einer dieser Briefe in die Hände seines Mitschülers Connor gelangt, gerät Evans fragile Welt zunehmend aus den Fugen.
Wenn man das Ende des Abspanns von „Dear Evan Hansen“ erreicht, entdeckt man eine nützliche Hotline- Information, die normalerweise für besonders ernste Episoden einer Seifen-Oper reserviert sind.
Auch wenn das Musical mit eingängigen Rock-Pop-Hits und Balladen des La La Land-The Greatest Showman-Duos Benj Pasek und Justin Paul gespickt ist, arbeitet sich der mit sechs Tonys und einem Grammy ausgezeichnete Broadway-Hit von 2016 an einer Reihe von brisanten Themen der Millennials ab. Dabei geht es um Angststörungen, bittere Einsamkeit und das ätzende Bedürfnis, beliebt zu sein, welches durch soziale Medien angeheizt wird.
Die Adaption von Stephen Chbosky geht diese Ideen mit viel Feingefühl und einer ganzen Palette großartiger Melodien an, die mal witzig, mal rührend sind, aber dramaturgisch zu harmlos, um wirklich zu überzeugen.
Fehlende Akzeptanz, Kommunikation und Isolation
Der schüchterne Einzelgänger Evan (Ben Platt) nimmt Medikamente, ist in Therapie und so unbeliebt, dass niemand den Gips seines gebrochenen Arms unterschreibt. Sogar sein bester Freund Jared (Nik Dodani, witzig) bezeichnet ihn als einen Freund der Familie.
Ein Teil seiner Therapie besteht darin, Briefe an sich selbst zu schreiben, die ihm Mut machen sollen. Einer dieser Briefe wird vom aggressiv-depressiven Schüler Connor Murphy (Colton Ryan) mitgenommen und, nachdem er sich das Leben genommen hat, von seinen Eltern – Mutter Cynthia (Amy Adams) und Stiefvater Larry (Danny Pino) – für einen Abschiedsbrief gehalten. Anstatt sie aufzuklären, verstärkt Evan das Missverständnis und spinnt Lügen über seine enge Bindung zu Connor, mit denen er sich bei der Familie einschmeichelt und die schließlich dazu führen, dass sich Evan zu einem gefragten Teenager entwickelt.
Als Musical ist es eine Ansammlung von starken Songs, die unmittelbar aus dem jeweiligen Charakter entstehen. Schon die Eröffnungsnummer „Waving Through A Window“, die Evan als Loblied auf die Entfremdung der Teenager singt, gibt den Ton des Musicals an.
Als Spielfilm, wäre es ein starkes Drama mit wichtigem Thema geworden
Die Lieder werden von Chbosky in heimischen Räumen (Wohnzimmer, Schlafzimmer, Küche) inszeniert und in unaufgeregter Weise präsentiert, so dass der lyrische/emotionale Inhalt im Mittelpunkt steht, allerdings mit wenig Esprit . Das Lied von Julianne Moore als Evans Mutter wird von einem Sofa aus vorgetragen.
Die schönsten Nummern versuchen, etwas anderes zu erreichen; „Requiem“, in welchem Connors Familie ihre komplexen, unterschiedlichen Ansichten zu der Tragödie artikuliert, ist eindringlich und erinnert ein wenig an Aimee Manns „Wise Up“ aus Magnolia.
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Das von Ben Folds geschriebene „Sincerely Me“ ist die kraftvollste Nummer und wechselt zwischen den Schauplätzen, während Evan den E-Mail-Verkehr mit Connor aufarbeitet. Wenn sich Dear Evan Hansen von der Musik entfernt, bewegt sich das Musical auf weniger sicherem Boden.
Alle Konflikte spielen sich im Inneren ab, nicht im Äußeren (gut für ein Bühnenmusical, weniger gut für einen Film), was dazu führt, dass die Geschichte ein wenig in sich zusammenfällt. Es dauert eine Ewigkeit, bis Evans Schwindel aufgedeckt wird. Das geschieht dann eher mit einem Winseln statt mit einem Knall.
Trotzdem hat Chbosky, Drehbuchautor und Regisseur von „Vielleicht lieber Morgen“, ein Gespür für die Dynamik der modernen Teenager und erreicht gute schauspielerische Leistungen bei seinen jungen Darstellern. So überzeugt Kaitlyn Dever als Connors Schwester Zoe, deren Beziehung zu ihrem Bruder zerrüttet ist.
Auch Amandla Stenberg gibt der Aktivistin Alana, die ein Projekt zum Andenken an Connors Leben leitet, Tiefe. Übrig bleibt Platt, der die Rolle am Broadway übernahm und eine ungewöhnlich bühnenhafte Performance abliefert. Außerdem sieht er einfach zu alt aus, um ein überzeugender Teenager zu sein (er ist 27). Gesanglich ist er stark, in anderen Bereichen leider nicht so sehr – eigentlich wie der ganze Film.
Fazit: Dear Evan Hansen gibt wichtigen Themen der heutigen Zeit eine angenehme, melodische Stimme, aber es fehlt ihm an dramatischem und filmischem Können, um wirklich zu überzeugen. Wertung: 5 / 10