Inhalt: Für ihre Fans weltweit sind sie Götter, aber ihre Musik scheint vom Teufel besessen – aggressiver, schneller, kompromissloser als andere. Die deutsche Band Kreator hat den Olymp der Thrash-Metal-Szene längst erklommen. Der Film KREATOR – HATE & HOPE erzählt erstmalig die vierzigjährige Geschichte der gefeierten Metaller, von der Gründung als Schülerband 1982 im Ruhrgebiet bis auf die großen internationalen Bühnen der aktuellen Welttournee. Damals wie heute stellen sie sich gegen den Hass und die Abgründe unserer Gesellschaft. Schrille Töne, virtuose Gitarrenriffs und energetische Trommelschläge verarbeiten mit großer Willens- und Schaffenskraft den Aufruhr in unserer Zivilisation. Zwischen Hannah Arendt-Zitaten und kopflosen Leichen entsteht eine gut inszenierte Chaos-Poesie voller Schreckenssymbole. Ein musikalischer Molotow-Cocktail gegen das Böse mit kathartischer Wirkung.
Kein gewöhnlicher Musikfilm – Kreator im Auge des Sturms
Wenn man als Zuschauer in den ersten Minuten von Hate & Hope die Kamera mitten im Moshpit kreiseln sieht, weiß man: Das hier ist kein gewöhnlicher Musikfilm. Es ist ein vibrierender, schwitzender, riffgeschwängerter Liebesbrief an eine Band, die seit über 40 Jahren nicht müde wird, die Welt anzuschreien – und ihr gleichzeitig die Hand zu reichen. Regisseurin Cordula Kablitz-Post hat mit Kreator – Hate & Hope mehr als eine klassische Band-Doku geschaffen. Sie hat ein filmisches Manifest auf Zelluloid gebannt – für die Nachwelt, wie Petrozza es bei der Weltpremiere auf dem Münchner Filmfest formulierte -, das nicht nur Fans des gepflegten Thrash Metal anspricht.
In mitreißenden Bildern und einem temporeichen Schnitt lässt sie die Zuschauer eintauchen in ein Jahr voller Musik, Wut, Reflexion – und Hoffnung. Im Zentrum: Mille Petrozza, Sänger, Gitarrist und Kopf von Kreator. Der charismatische Frontmann wirkt im Tourbus manchmal wie ein müder Philosoph, der statt Pfeife eben Verstärker rauchen lässt. Zwischen aufwühlenden Konzertbildern in Wacken, Tokio oder Bangalore philosophiert er mit erstaunlicher Ruhe über Hannah Arendt, die Natur des Bösen – und darüber, was passiert, wenn Hass zu einer Alltagswährung wird.
Aber keine Sorge: Wer hier Angst vor bleischwerer Theorie hat, bekommt sie schnell von der nächsten Moshpit-Kamera aus dem Kopf geprügelt. Eine brillante Idee des Filmteams – sie befestigten GoPros direkt an Stage-Divern, mitten im Circle Pit, direkt in der Wall of Death. Das Ergebnis ist ein mitreißender Perspektivwechsel: Für ein paar Sekunden ist man selbst im Auge des Sturms, fühlt den Schweiß, die Energie, die kollektive Katharsis. Kein 4D-Kino der Welt kann das simulieren.
Von Gelsenkirchen bis Bangalore – Weltreise mit Sturmwarnung
Besonders intensiv wird es beim Tourstopp in Indien, beim legendären Bangalore Open Air. Die Kamera fängt Momente ein, die zwischen Ekstase und Ehrfurcht schwanken. Zehntausende feiern Kreator wie Götter – in einem Land, in dem Metal zwar eine Subkultur ist, aber eine mit Herz und Feuer. Mille spricht backstage über den kulturellen Brückenschlag, über die universelle Sprache der Wut, und ganz ehrlich: Das ist verdammt berührend. Ein weiteres Highlight ist die Station in Japan. Die ruhige Kamera in Tokio kontrastiert elegant mit den wuchtigen Konzerten.
Die stoische Disziplin des japanischen Publikums – ein Besucher sogar in Anzug und Krawatte – bricht spätestens beim Opener „Hate Über Alles“ – dann kocht auch dort die Halle. Mille reflektiert über die Fanliebe im Land der aufgehenden Sonne – und das Gefühl, verstanden zu werden, ohne dieselbe Sprache zu sprechen. Weniger feurig, dafür umso dramatischer verläuft das geplante Heimspiel in Gelsenkirchen: Beim Klash of the Ruhrpott 2024 sollen die vier Giganten des deutschen Thrash – Kreator, Sodom, Destruction und Tankard, auch bekannt als die Teutonic 4 – die Bühne teilen. Kreator als Headliner, das Line-up historisch, die Erwartungen riesig. Doch ein heftiges Unwetter mit Starkregen und Gewitter zwingt die Stadt Gelsenkirchen, das Konzert aus Sicherheitsgründen abzubrechen – mitten im Set von Kreator.
Was als glorreicher Heim-Triumph geplant war, endet in Frust und Fassungslosigkeit. Der Film zeigt diesen Moment ungeschönt – nass, lautlos, bitter. Doch nicht alle Backstage-Momente sind melancholisch. In einer wunderbar bodenständigen Szene steht Bassist Frédéric Leclercq in voller Montur im Waschraum – Zahnbürste in der Hand. Vor dem Auftritt, so erklärt er, putze er sich immer die Zähne. „Man geht ja auch nicht mit Mundgeruch auf ein Date“, grinst er. Für ihn ist der Gig ein Date mit den Fans – und da will man glänzen. Ein kurzer, aber auch liebevoller Moment, der viel über Haltung und Respekt gegenüber dem Publikum verrät.
Zwischen Familie, Tattoo Nadel und Snare-Drum
Ebenso intim ist der Besuch bei Drummer und Gründungsmitglied Jürgen „Ventor“ Reil zu Hause. Die Kamera begleitet ihn in seine Wohnung – zwischen Bandposter und Kaffeemaschine lernt man den ruhigen, fast scheuen Kontrast zur Bühnenperson kennen. Besonders gelungen: Seine Kinder kommen zu Wort. Sie berichten offen davon, wie es war, als sie erstmals realisiert haben, dass ihr Vater monatelang auf Tour ist – nicht daheim, sondern unterwegs auf Bühnen der Welt. Zwischen Stolz und schmerzhafter Abwesenheit entsteht ein sehr ehrlicher Moment. Neben Szenegrößen wie Scott Ian (Anthrax), Chuck Billy (Testament), Bela B. (Die Ärzte) und Lars Eidinger finden auch zwei prägnante Stimmen der modernen Metal-Szene ihren Platz.
Maik Weichert, Gitarrist von Heaven Shall Burn, ordnet Kreators Einfluss auf seine Generation ein – als „Soundtrack zur politischen Wachheit und musikalischen Radikalität“. Und Adam „Nergal“ Darski von Behemoth erkennt in Mille Petrozza eine „intellektuelle Instanz mit Gitarrengurt“. Beide Einschätzungen wirken nicht übertrieben – sie zeigen vielmehr, welchen Stellenwert Kreator auch jenseits des klassischen Thrash-Genres heute haben. Zum Abschluss zeigt der Film noch einmal eine letzte Station der Tour: Los Angeles. Ein donnerndes Konzert im sonnendurchfluteten US-Mekka, das alles vereint – Energie, Fans, Wahnsinn – und ein Ferkel, dass vor dem Schlachthof gerettet wurde.
Trotz aller Power gönnt sich der Film auch ruhige Momente. Archivmaterial zeigt die Band in den 80ern – junge Männer mit großen Träumen, und Lederjacken, die sich die Seele aus dem Leib schreien, den ersten Aufritt im Klassenraum haben und „Ventor“, der seine Schlagzeuger Karriere auf heimischen Kissen startete. Und dann heute: graue Haare, aber keine müden Geister. Natürlich: Wer mit Metal nichts anfangen kann, wird auch durch diesen Film keine neuen Lieblingssongs finden. Aber vielleicht findet er Verständnis – für eine Subkultur, die sich seit Jahrzehnten gegen Gleichgültigkeit und geistige Enge wehrt.
Fazit: Kreator – Hate & Hope ist laut, intensiv, politisch – und verdammt menschlich. Ein Film, der die Seele von Kreator einfängt, ohne in Pathos zu ersticken. Stattdessen gibt’s Schweiß, Haltung und Herz – mit einem Augenzwinkern und der Moshpit-Kamera direkt ins Gesicht. Was will man mehr? Außer vielleicht: „Pleasure to Kill“ live in Bangalore. Aber das gibt’s ja hier.