Inhalt: Der Oscar-prämierte Regisseur Guillermo del Toro verfilmt Mary Shelleys klassische Geschichte über Victor Frankenstein. Der geniale, aber geltungsbedürftige Wissenschaftler erweckt eine Kreatur in einem monströsen Experiment zum Leben, durch das am Ende sowohl der Schöpfer als auch seine tragische Schöpfung ausgelöscht werden.
Zwischen Schöpfung und Verdammnis
Guillermo del Toro spricht seit seinem Spielfilmdebüt Cronos von 1992 davon. Er träumt schon seit 1971 davon, als er im Alter von sieben Jahren zum ersten Mal Boris Karloff durch James Whales Meisterwerk von 1931 watscheln sah. Und jetzt hat er es endlich geschafft: Er hat Mary Shelleys unglaublich einflussreichen Gothic-Roman von 1818 über einen Wissenschaftler, der Gott spielt – mit höllischen Folgen – zu seinem ganz eigenen Frankenstein-Film gemacht.
Die Geschichte beginnt in der Arktis, wo die Besatzung eines im Eis eingefrorenen Schiffes auf Victor Frankenstein (Oscar Isaac) und die wütende Kreatur (Jacob Elordi) trifft, die ihn bis ans Ende der Welt verfolgt hat. In Rückblenden erfahren wir von den schrecklichen Ereignissen, die diesem Moment vorausgingen. Victors Kindheit war von Kälte und Verlust geprägt. Nach dem Tod seiner geliebten Mutter (Mia Goth) wuchs er unter der Strenge und emotionalen Distanz seines Vaters(Charles Dance) auf, eine Erziehung ohne Liebe, die in ihm eine tiefe Leere hinterließ. Doch der Moment seiner vermeintlichen Schöpfung, das Wiedererwachen einer verstümmelten Leiche, markierte zugleich den Beginn seines moralischen Absturzes.
Anstatt Verantwortung für sein Werk zu übernehmen, verstieß er die hilflose Kreatur, ein Wesen, das nichts als Zuneigung suchte. Unter der Grausamkeit der Menschen verwandelte sich dessen anfängliche Güte schließlich in Wut und Gewalt, bis das, was einst als wissenschaftlicher Siegeszug gedacht war, sich in die Tragödie eines gescheiterten Schöpfers verwandelte. Die ungewöhnlich originalgetreue Adaption von Shelleys Roman und zugleich gewagte Eigeninterpretation von del Toros Frankenstein fügt neue Figuren hinzu – etwa Christoph Waltz als geheimnisvollen Wohltäter Harlander –, verändert zentrale Dynamiken und eröffnet neue emotionale Ebenen.
So ist Elizabeth, die ebenfalls von Mia Goth gespielt wird, nicht entsetzt über die Kreatur, sondern umarmt und erzieht sie. Gleichzeitig beschäftigt sich del Toro mit seinen klassischen Themen: Katholizismus, Familientraumata und Generationen übergreifende Missstände, die Menschen in ihrer Entwicklung prägen. Frankenstein ist hier sowohl Künstler als auch Wissenschaftler, ein Schöpfer, der sich selbst in seinem Geschöpf spiegelt. Seine Arbeit an dem künstlichen Lebewesen ähnelt del Toros eigener Herangehensweise bei der Gestaltung seiner Filmmonster: akribisch, obsessiv und zutiefst menschlich.

Gothic-Romantik in Reinform
Der Film zeigt, dass Besessenheit eine kreative oder eine zerstörerische Kraft sein kann. Und in einem Werk, das sich letztendlich mit Vergebung auseinandersetzt, findet del Toro schließlich einen Weg, nicht nur dem Wesen, sondern auch seinem grausamen Schöpfer Vergebung zu gewähren. Frankenstein ist ein Film-Hybrid, eine Mischung aus Märchen, düsterer Fantasie und Body Horror. Wenn Victor Organe entnimmt und Knochen zersägt, ist das ebenso schockierend wie kunstvoll, ebenso makaber wie ästhetisch ansprechend.
Im Kern bleibt der Film jedoch eine großartige Gothic-Romanze, ganz im Zeichen von del Toros Crimson Peak oder Klassikern wie Interview mit einem Vampir von Neil Jordan oder Bram Stokers Dracula von Francis Ford Coppola. Jeder einzelne Frame ist gesättigt mit ästhetischer Perfektion, auf Hochglanz polierten Bildern, durchdachter Symbolik, aufwendigem Produktionsdesign und einer Filmmusik, die eher Gedicht als Begleitmusik ist. Diese stilistische Vielfalt ist gleichermaßen faszinierend wie anstrengend, und die knapp zweieinhalbstündige Laufzeit trägt dazu bei, dass der Film zu einem visuell überfordernden Erlebnis wird.
Doch die Schauspielerinnen und Schauspieler behaupten sich gegen diese Überfrachtung: mit Leidenschaft, Präzision und einer spürbaren Hingabe für die Vision ihres Regisseurs. Wer Andy Warhols Flesh for Frankenstein für eine sinnliche Erfahrung hielt, wird von Erlodis Neuinterpretation überrascht sein.
Fazit: Mit akribischer Inszenierung, exquisitem Kreaturen Design von Mike Hill und einer emotionalen Tiefe, die weit über romantischen Horror hinausgeht, lässt Guillermo del Toro Frankenstein als Gothic-Epos wieder auferstehen. Es ist ein Monsterfilm mit Seele, Schmerz, Schönheit und Herz am rechten Fleck.
Film Bewertung 8 / 10





