Inhalt: Texas, 1918. Pearl (Mia Goth) heiratete in der Hoffnung, der elterlichen Farm, ihrer strengen Mutter (Tandi Wright) und ihrem behinderten Vater (Sunderland) endlich zu entkommen. Doch ihr Ehemann (Alistair Sewell) ist in den Weltkrieg gezogen und lässt sie mit ihrem Traum vom großen Leinwandstar zurück. Ab und zu wird Pearl auch gewalttätig.
Film Kritik
Die Filmfans von Ti Wests effektiven, blutigen Retro-Schocker X – in dem 1979 Porno-Filmemacher auf eine in die Jahre gekommene, gemeingefährliche Bauersfrau treffen – wurden durch den Abspann gleich doppelt überrascht. Zum einen wurde enthüllt, dass Maxine, das „Final Girl“, und Pearl, die Massenmörderin im Rentenalter, beide (ausnahmsweise) von Mia Goth gespielt wurden.
Anschließend gab es noch einen Trailer für eine Vorgeschichte zu Pearl, die West und Goth (die an Pearl mitgeschrieben hat) noch vor der Veröffentlichung des ersten Films zusammenstellten. Das kann man als anmaßend oder unüberlegt empfinden – als würde man den Joker drehen, aber auf Basis einer neuen Figur, die sich in der Popkultur noch nicht etabliert hat. Etliche Filme der Texas Chainsaw-Reihe (denen X zugegebenermaßen eine Menge verdankt) scheitern daran, dass sie mehr über die Herkunft von Leatherface erzählen, als man eigentlich wissen will.
Doch Pearl ist keine bloße Fan-Fiction, sondern das ehrgeizige, beeindruckende Herzstück einer Trilogie. Die verschiedenen Handlungsstränge werden nächstes Jahr in MaXXXine zusammengeführt, der Maxines Geschichte im Jahr 1985 fortsetzt.
Pearl belebt vergangene Filmstile wieder
Für Ti West war es schon immer ein Vergnügen, vergangene Filmstile wieder aufleben zu lassen – The House Of The Devil (2009), sein erster Film, war ein perfektes Potpourri aus TV-Horrorfilmen der 1970er Jahre. Sein In A Valley Of Violence (2016) wiederum ist ein spannungsgeladener Western. Mit Pearl findet er einen Weg, die vergangene „Popkultur“ mit dem zu verbinden, was uns heute Angst macht.
Pearl spielt während der Spanischen Grippe-Epidemie von 1918, aber die Figuren (die Masken tragen, um sich in die Stadt zu wagen) leiden unter vielen der Probleme der modernen Lockdown-Ära. Sogar der Traum der isolierten Pearl, ein Filmstar zu werden, kommt dem heutigen Streben nach YouTube-Ruhm oder Influencer-Status ebenso nahe, wie die ewige Sehnsucht junger Frauen im klassischen Hollywood, einmal den Regenbogen hinunter zu rutschen.
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Dabei lässt West den Zuschauer nie die Tatsache vergessen, dass es sich um einen neuen alten Film handelt. Der Anfang des Films, der ein Standbild der lächelnden Pearl zeigt, die ihrem besten Freund, dem Alligator, eine mit einer Mistgabel aufgespießte Gans zu essen gibt, ist in einer schwungvollen rosa Schrift gehalten. Und das ist kein Zufall, denn Pearl besticht vor allem durch seine überraschende Farbpalette.
Die fast durchgängige Orchestermusik von Tyler Bates und Timothy Williams bildet das Gegengewicht zum Geschehen auf der Leinwand. Pearl selbst verweist ständig auf das Kino (sie benennt ihre Tiere nach Filmstars) und schleicht sich gegen den Willen ihrer grimmigen Mutter (Tandi Wright) aus dem Haus, um im lokalen Lichtspielhaus ihr Geld zu verprassen.
Das Innenleben eines durchgeknallten Horrorfilms
Während ihr Ehemann (Alistair Sewell) in Europa ist – in ihrer Vorstellung winkt er fröhlich, sobald er nach Hause kommt, dann tritt er in ihrem Garten auf eine Landmine und wird in tausend kleine Stücke gesprengt – fühlt sich Pearl zu einem geradezu unverschämt gut aussehenden Kinomitarbeiter (David Corenswet) hingezogen.
In seinem Geheimversteck befindet sich ein Pornofilm, der einen Vorgeschmack auf den Schmuddelfilm X aus der Deep Throat-Ära liefert, und Pearls sexuelle Fantasien und Killerinstinkte wiederbelebt. Pearl hingegen tanzt mit einer Vogelscheuche und klaut deren Zylinder für ihr „Tanz-Outfit“. Doch West und Goth nehmen ein anderes „Zauberer von Oz-Bild“ und präsentieren es als Ausdruck sexueller Frustration und als Zeichen des beginnenden Wahnsinns.
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Ähnlich wie X Elemente aus Exploitation-Horror- und Sexfilmen der 1970er Jahre zusammengeschustert hat, verweist Pearl auf das „Innenleben“ eines durchgeknallten Horrorfilms. Ein auf der Veranda abgestelltes Spanferkel, welches Pearls hungrige, aber stolze Mutter niemals essen wird, weil es sich hierbei um ein (Mitleids-)Geschenk der Familie ihres Schwiegersohns handelt, verfault zunehmend und ist von Maden befallen.
Die Parallele zum psychischen Kollaps von Catherine Deneuve in Ekel (1965) ist das Kaninchen. Manchmal glaubt man, Pearl sei auf dem besten Weg, zur Mutter von Norman Bates zu werden, und ein Bild mit Toten am Esstisch erinnert an Psycho, The Texas Chain Saw Massacre und den etwas weniger etablierten Horror-Hit Deranged (1974).
Ein blutiger Schrei nach Liebe
Die heruntergekommene Farm von X ist hier 60 Jahre früher zu sehen, mit noch frischer Farbe, aber im See des Anwesens lauert bereits der fleischhungrige Alligator, und Pearl ist bereits auf dem besten Weg, ein prachtvolles Monstrum zu werden. In den letzten Jahren gab es immer wieder weibliche Hauptrollen in Horrorfilmen – Essie Davis in The Babadook, Toni Collette in Hereditary, Rebecca Hall in The House at Night.
Mit Goth, deren Bandbreite von Lars von Trier (Nymphomaniac) bis Jane Austen (Emma) reicht, kommt ein beeindruckender Neuzugang hinzu. An einem entscheidenden Punkt fragt Pearl, warum der Filmvorführer sich nicht mehr zu ihr hingezogen fühlt, und der erwachsene Mann gibt die Antwort eines Kindes: „Du machst mir Angst.“
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Aber Goth kann noch viel mehr als nur Angst einjagen. Ihr Monolog an ihren abwesenden Ehemann ist ein echter Knaller, ihr Körpereinsatz in den Tanz- und Mordszenen ist überzeugend – und ihr Lächeln am Ende ist furchteinflößender als alle Grimassen in Smile. Und vielleicht sogar mindestens so gruselig wie das Grinsen auf Mrs. Bates‘ mumifiziertem Schädel.
Fazit: Pearl ist „Der Pate Teil II“ unter den so genannten Slasher-Film-Prequels, die auf einem Bauernhof spielen, und erweist sich als ein innovatives Horror-Schmankerl, das einiges zu sagen hat – inklusive einer preisverdächtigen Performance von Mia Goth.
Film Bewertung: 8 / 10