Inhalt: Pierre Anthon und seine Klassenkameraden sind gerade in die 8. Klasse gekommen, als er erklärt, dass nichts im Leben eine Bedeutung hat, die Schule verlässt und sich auf einen Baum setzt, von dem er nicht mehr herunterkommen will. Dies löst bei seinen Klassenkameraden eine existenzielle Krise aus. Sie beschließen, ihre wertvollsten Besitztümer zu sammeln, um Pierre Anthon davon überzeugen, dass er sich irrt.
Eine gefährliche, beunruhigende und kontroverse Studie über das, was wirklich zählt, hat begonnen. Was mit unschuldigen Opfergaben beginnt, entwickelt sich bald zu einer Spirale psychologischer Gewalt: Je schmerzhafter das Opfer ist, desto mehr bedeutet es und desto mehr wird vom nächsten in der Reihe verlangt.
Film Kritik
Gutes Thema, miese Umsetzung: Das Coming-of-Age-Drama „Nichts – Was im Leben wichtig ist“ soll schockieren und wahrscheinlich auch zum Nachdenken anregen. Eklatante Schwächen im Drehbuch und ein Übermaß an Klischees sorgen jedoch mit zunehmender Spieldauer für Ärger.
Es ist ja nicht lange her, dass hierzulande eine von Minderjährigen verübte Gewalttat die Öffentlichkeit in Schockstarre versetzt hat. Kein Wunder: Kinder werden gemeinhin mit Unschuld und mit einer gewissen Hoffnung auf eine bessere Zukunft assoziiert. Verübt ein 30-jähriger Mensch solch ein Verbrechen, so ist man betroffen. Macht es aber ein 13-jähriger Mensch, so starrt man ungläubig auf Zeitung oder Bildschirm und fragt sich, wo diese Boshaftigkeit nur herkommen kann.
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In der Pubertät wird das Gehirn eines Menschen vollständig umgebaut. So viele Synapsen wie in dieser Phase wurden zuletzt im Kleinkindalter neu verschaltet und werden es später nie wieder. Deshalb ist man nie wieder so unfallgefährdet, wie in dieser besonderen Zeit, in der „die Eltern anfangen, schwierig zu werden“. Damit einhergehen können psychische Auffälligkeiten. Einige davon gab es schon immer, nur werden sie heutzutage diagnostiziert und somit auch anerkannt.
Andere haben sicherlich etwas mit den besonderen Faktoren zu tun, die das Erwachsenwerden im Mitteleuropa des 21. Jahrhunderts besonders kennzeichnen. Hinzu kommen gesellschaftliche Probleme, mit denen die „Generation Z“ zu tun hat. Mediale Gefahrenquellen lauern in jedem Gruppenchat. Der Zauber der Kindheit verfliegt allmählich, man wird sich der eigenen und der allgemeinen Vergänglichkeit bewusst. Und natürlich entdeckt man zunehmend Dinge in der Welt, die zurecht zornig machen.
Nachwuchs-Nihilist „macht die Greta“
Lange Rede, kurzer Sinn: Die Kriminologie von Kindern und Jugendlichen und genauso deren Suche nach ihrem Platz im Leben sowie existenzielle Fragen nach einem übergeordneten Sinn: All das ist hoch komplex. Umso ärgerlicher ist es, wenn eine filmische Adaption dieses „Stoffes“ so platt daherkommt, wie die dänische Romanverfilmung „Nichts – Was im Leben wichtig ist“. Die 14-jährige Agnes wächst in einer nicht benannten dänischen Ortschaft auf und fungiert gelegentlich auch als Erzählerin.
Gleich zu Beginn stöhnt sie einige bedeutungsschwere Sätze aus dem Off und der Zuschauer weiß sofort: Hier passiert schlimmes. Ein Mitschüler von Agnes und ihrer besten Freundin Sofie „macht die Greta“, um mal ein bisschen saloppen Sprech in Rezension eines allzu bemüht düsteren Filmes zu bringen. Er verweigert die Schule und auch sonst alles andere. Sein Streikposten ist ein selbstgebautes Baumhaus, auf dem ihn offenbar kein Erwachsener erreichen kann.
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Sein Vater versorgt ihn per Flaschenzug mit Lunchpaketen. Wie er hygienische Mindeststandards herstellt und ob er die Protestaktion auch im Winter durchgezogen hätte, bleibt unklar. Seine Motive allerdings sind nicht umweltpolitische sondern eine Art nihilistische Agonie: „All das hier ist doch sinnlos“. Wozu soll man morgens überhaupt aus dem Bett aufstehen?
Schnell hat er seine ganze Schulklasse erst enorm verängstigt und dann aufgewiegelt. Alle sind zwar irgendwie böse auf den Jungen, doch irgendwie fällt auch niemandem eine stichhaltige Gegenthese ein. „Wir warteten immer sehnsüchtig auf die Wochenenden. Doch wenn es endlich so weit war, wurden wir immer wieder enttäuscht und schnell war es wieder Montag“, klagt Agnes aus dem Off.
Drehbuch-Autoren sind offenbar nicht weitergekommen
Anstatt abzuwarten, bis sie nicht mehr 14, sondern 18 oder wenigstens 16 sind (wenn die Wochenenden langsam wieder besser werden) und/oder zu tun, womit sich andere Menschen in dem Alter amüsieren, startet die Dorfjugend ein gefährliches Spiel, das alsbald außer Kontrolle gerät. Zunächst soll angeblich nur der Eremit überzeugt werden, dass es sehr wohl Dinge gibt, die im Leben etwas bedeuten. Diese sollen in einer geheimen Scheune auf „den Haufen“ aufgetürmt werden.
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Doch warum auch immer läuft es recht schnell darauf hinaus, dass die Jugendlichen ausschließlich darauf aus sind, einander möglichst schlimme Dinge anzutun. Hier steckt der erste große Knackpunkt, an dem zumindest die Drehbuch-Autoren einfach nicht weitergekommen sind. Wieso sollten Grabschändung, sexuelle Nötigung oder Verstümmelung einen schlecht gelaunten Teenager von der Sinnhaftigkeit seiner Existenz überzeugen?
Möglicherweise konnte Janne Teller ihren Lesern in der skandalumwitterten literarischen Vorlage (2000) erläutern, wie diese Idee in ein Dutzend verirrte Teenager-Hirne gelangen konnte. Das Regisseuren-Duo Christensen/McNally jedenfalls wirft das verdutzte Publikum reichlich unvermittelt in eine willkürliche Abfolge von zunehmend drastischen Gewaltexzessen.
Erzählerische Schwächen lenken von wichtigen Inhalten ab
Wie man ältere Zuschauer in die Gedankenwelt junger Menschen mitnimmt und so manch fragwürdige Entscheidung nicht goutieren aber zumindest nachvollziehen lässt, zeigen zum Beispiel die Autoren von „Stranger Things“. Auch in beiden Verfilmungen von „Die Welle“ gibt es zumindest eine innere plausible Motivationsstruktur. Diese ist extrem wichtig, damit sich der Zuschauer nicht genervt abwendet und unempfänglich wird für die eigentlich wichtigen Inhalte, die auch in „Nichts – Was im Leben wichtig ist“ stecken.
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Die schlechte Schreibe setzt sich auch in diversen Klischees fort, mit denen der dänische Film arbeitet. Beispiele gefällig? Als sich die Spirale der Grenzüberschreitungen immer schneller zu drehen beginnt, will ein Mädchen kurzfristig das Experiment verlassen. Der Grund: Nachdem die Gruppe heimlich die Gebeine ihres toten Bruders aus seinem Grab entwendet hat, wurde ihre Mutter „wieder eingewiesen“. Ach, so funktioniert das mit den Einweisungen! Psychiatrie auf Knopfdruck.
Otto, der Draufgänger-Typ der Gruppe, der eher als Achtjähriger denn als 14-Jähriger durchgeht, kaut ständig auf einem Grashalm herum, damit der Zuschauer seine markige Attitüde zur Kenntnis nimmt. In einem Moment hält er seinen Mitschüler noch für ein brutales Opfer-Ritual fest und feixt sogar herum. Im nächsten Moment schreit er nach einem Arzt.
Der Schlächter, der am Grashalm kaute
Sämtliche Charaktere tragen während des kompletten Films dieselben Klamotten, damit sie sich der Zuschauer leichter einprägen kann. Man wähnt sich fast in einer Cartoon-Serie aus den 80ern. Drehbuch-Lücken und Banalisierungen überschatten in der Wahrnehmung sämtliche Stärken, die der Film gehabt hätte.
Da wären etwa die durchaus behutsame Kameraführung oder die Tatsache, dass die Hauptdarstellerinnen eigentlich gute Voraussetzungen mitbringen. Während jedoch bei Agnes (Vivelill Søgaard Holm) jegliche charakterliche Prägung fehlt, blickt Sofie (Maya Louise Skipper Gonzales) den Großteil des Films betont aggressiv in die Kamera. Als sie gegen Ende mit blutverschmiertem Gesicht zur eiskalten Schlächterin mutiert, mutet dies beinahe etwas komisch an.
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Nicht nur diese Szene lässt Gedanken an „Herr der Fliegen“ zu, sondern auch das (geistige) Fehlen jeglicher Erwachsenen. Kriegt es denn keiner mit, wenn die gesamte Mischpoke ständig nachts marodiert und ein Verbrechen nach dem anderen verübt? Der örtliche Gendarm lässt sich in einer Szene derart billig von den Rotznasen abspeisen, dass man am liebsten augenblicklich abschalten möchte. Oder kommt gleich die Olsen-Bande aus irgendeinem Gebüsch hervor?
Darf man die Welt von „Nichts – Was im Leben wichtig ist“ vielleicht gar nicht mit realistischen Maßstäben messen? Ist das alles eher als Gedankenexperiment anzusehen? Möglicherweise wurde auch einfach zu viel in den Film hineingepackt. Zu dem ganzen Potpourri aus nihilistischen Abwärtsstrudeln und Adoleszenz-Kummer kommt noch eine Prise Cyber-Mobbing und natürlich ein kräftiger Schuss Medienschelte.
Denn der Plot-Twist gegen Ende gibt uns vollends den Rest: Auf dem Höhepunkt des grausamen Treibens kommt eine nicht benannte Person, die über viel Einfluss und wenig Verstand verfügt, auf die Idee, der „Haufen“ sei doch eigentlich ein Kunstwerk. Unsere Jugendlichen werden Stars. Gnade!
Fazit: Man hätte dieser dänischen Schulklasse mal einen Lehrer wie John Keating aus „Der Club der toten Dichter“ gewünscht. Stattdessen hat es den Anschein, die fiesen Halbstarken hätten das völlig realitätsferne Drehbuch zu diesem Film selbst geschrieben. Die akzeptable Kameraführung geht in einem Füllhorn an Klischees unter.
Film Bewertung: 2 / 10