Inhalt: Weihnachtsstimmung? Leider nein! Im Elite-Internat Barton Academy betreut der unbeliebte Lehrer Mr Hunham (Paul Giamatti) die unglücklichen Schüler, die nicht wissen, wo sie die Feiertage verbringen sollen. Nach ein paar Tagen ist nur noch ein Schüler übrig, der aufmüpfige Angus (Dominic Sessa). Zusammen mit Köchin Mary (Da’Vine Joy Randolph) erleben sie allerlei kuriose Missgeschicke und bewegende Momente, die das ungleiche Trio zu einer Ersatzfamilie wider Willen zusammenschweißen.
FILM KRITIK
Schnappt euch eure beste Flasche Wein und feiert mit. Denn eines der größten Schauspieler-Regisseur-Duos aller Zeiten, Paul Giamatti und Alexander Payne sind zurück mit einem neuen Film. Die beiden sind für Geschichten über geborene Außenseiter das, was De Niro und Scorsese für Geschichten über charismatische Verbrecher sind.
Mit dem 2004 erschienen „Sideways“ lieferten sie ein beeindruckendes, im Weinanbaugebiet angesiedeltes, Korkenzieher-Spektakel ab. Für The Holdovers verschlägt es die beiden in die frühen 70er-Jahre und in ein verschneites (fiktives) Internat, für eine Geschichte, die zum Glück den selben Zauber versprüht.
Film Kritik „Wo Die Lüge Hinfällt“
Ein durchweg amüsanter, melancholischer und tiefgründiger Film, mit dem Payne nach Downsizing, einem Drama über Schrumpfungsprozesse im Jahr 2017, wieder zu alter Form aufläuft. Und das ist eigentlich nichts anderes als ein brandneuer Weihnachtsklassiker. Auch wenn er in Deutschland unerklärlicherweise erst gegen Ende Januar angelaufen ist.
Wie bei vielen weihnachtlichen Geschichten geht es auch hier um einen Griesgram mit großem Herz. Allerdings ist dieser Typ weit aus weniger unterhaltsam als der Grinch.
Paul Giamatti glänzt als übelriechender Unsympath
Paul Hunham, Professor für Alte Geschichte an der Barton Akademie, ist eine erbärmliche Erscheinung. Dazu greift er unermüdlich auf historische Zitate und Fakten zurück. Daher der Begriff „Strafe“, erklärt er in einem seiner unermüdlichen Seitenhiebe – dem einzigen Lebensbereich, den er wirklich beherrscht. Er ist geschickt darin, Worte wie „Westgotisch“ in beiläufige Unterhaltungen einzubauen, aber in allem anderen versagt er.
Giamatti`s Hunham ist ein furzender, schnaufender, übellauniger, heuchlerischer, zu allen möglichen Mitteln greifender Unsympath. Er hat auch keinerlei Gespür dafür, andere Menschen mit dem geeigneten Geschenk eine Freude zu machen. Mit anderen Worten, er ist die denkbar schlimmste Wahl, um sich um eine Reihe vernachlässigter Schüler zu kümmern, die während der Ferien gezwungen sind, in der Schule umherzugeistern.
Diese Rolle an Giamatti zu vergeben, ist so, als würde man Oppenheimer ein sehr sündhaft teures Labor anvertrauen. Nur, dass in diesem Fall das Ergebnis wesentlich erfreulicher ausfällt. Er verleiht dem übelriechende Misanthropen mit den Kulleraugen eine überzeugende Ausstrahlung.
Die ersten Szenen – wie z.B. die, bei der er seine Schützlinge zwingt, durch den Schnee zu joggen („Ohne ausreichende Bewegung verschlingt sich der Körper selbst!„), während er regungslos dasteht und grimmig an seiner Pfeife nuckelt – sind einfach köstlich.
Der Verlauf der Geschichte fühlt sich nie banal oder schablonenhaft an
Sobald Hunhams verbittertes Wesen nach und nach wie ein Eiszapfen dahinschmilzt und der traurige, von Verzweiflung geplagte Mensch darunter zum Vorschein kommt, verwandelt der Schauspieler ihn in einen Sympathieträger, den man einfach gern haben muss. Allerdings handelt es sich hierbei nicht um Giamattis Solovorstellung (auch wenn man sich die ansehen würde). Denn Payne fügt seinem Wintermärchen eine Reihe von denkwürdigen Charakteren hinzu.
Nachwuchsspieler Dominic Sessa ist fantastisch in der Rolle des Studenten Angus, der von Mutter und Stiefvater sich selbst überlassen wurde, sodass er unglücklich durch den Winter gehen muss: ein guter Charakter, der unter seiner Oberfläche aus Schmerz und Wut vor sich hin brodelt. Auch die relativ unbekannte Da’Vine Joy Randolph, die hier die Schulköchin Mary spielt, ist hervorragend.
Sie wirkt eher unscheinbar und sachlich – das krasse Gegenteil zu Hunhams von Cicero-besessenem Akademiker. Aber sie trauert um ihren toten Sohn, der aufgrund seiner Hautfarbe als einziger Barton Student nach Vietnam geschickt wurde.
Auch wenn die Entwicklung des ungleichen Trios vorhersehbar ist, nämlich von gegenseitiger Abneigung über Akzeptanz bis hin zum Anflug von Freundschaft, fühlt sich der Verlauf der Geschichte nie banal oder schablonenhaft an.
Schon zu Beginn der 70er Jahre hat man das Gefühl, dass die guten Zeiten vorbei sind
Wie bei Sideways werden unerwartete Abzweigungen eingeschlagen, die mal witzig, mal tragisch, aber immer interessant sind. Das hat zum großen Teil mit der sorgfältig ausgearbeiteten Atmosphäre zu tun: Es handelt sich um einen bestimmten Ort zu einer bestimmten Zeit, die bereits durch entsprechende Studiologos aus den 1970er Jahren verdeutlicht wird.
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Zeitgenössische Requisiten werden sparsam und mit Bedacht eingesetzt . Das mag zwar die Ära von Funk und Disco sein, aber all diese Begeisterung geht an unseren Helden vorbei. Sie sind in einem trostlosen „Fegefeuer“ gefangen, wo das Fernsehprogramm langweilig ist und die Probleme belanglos erscheinen.
Bilder ehemaliger Barton-Absolventen, elegante Herren in feinem Zwirn, starren auf das chaotische Treiben herab, als würden sie den Zustand der Schule beweinen. Schon zu Beginn der 70er Jahre hat man das Gefühl, dass die guten Zeiten vorbei sind.
Das klingt, als wäre Paynes Film deprimierend. Ist er aber ganz und gar nicht. Obwohl es sich um einen preisgekrönten Film handelt, bei dem jede Rolle fein abgestimmt und handwerklich bestens umgesetzt ist, bereitet er insgesamt zu viel Spaß, um ihn auf dieses Image abzustempeln.
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Man könnte tatsächlich an einen ähnlichen Film denken. Nämlich an Shrek: ebenfalls eine Geschichte über einen übelriechenden Unhold, der lernen muss, sich um andere zu kümmern.
Fazit: In The Holdovers gibt es zwar keinen Esel, dafür hat der Film umso mehr Charme, den seine Hauptfigur nicht hat. Es ist eine warmherzige und amüsante Geschichte, die man unbedingt anschauen sollte. Um es mit Hunhams Idol Marcus Aurelius zu sagen: „Gib dir die Muße, etwas Gutes zu lernen„. Befolgt seinen Rat und schaut euch den Film an.
Film Bewertung 8 / 10