Erscheinungsdatum: 19. November 2021 (Deutschland) und ab 25. November digital verfügbar | Regie: Oliver Stone | Mit den Stimmen von Whoopi Goldberg und Donald Sutherland | Genre: Dokumentation | Laufzeit: ca. 118 Minuten
Inhalt: Es ist der Kriminalfall des 20. Jahrhunderts – Der Mord an John F. Kennedy! In dieser explosiven dokumentarischen Fortsetzung seines Films JFK – TATORT DALLAS aus dem Jahr 1991 führt Oliver Stone die Zuschauer durch erst kürzlich freigegebene Beweise und Zeugenaussagen im folgenreichsten Kriminalfalls des 20. Jahrhunderts.
Zusammen mit den Oscar®-prämierten Erzählern Whoopi Goldberg und Donald Sutherland sowie einem angesehenen Team aus Forensik-, Medizin- und Ballistik Experten, Historikern und Zeugen präsentiert Stone neue und überzeugende Beweise, die den Fall Kennedy in ein ganz neues Licht rücken.
Er will es also noch einmal wissen. Unter Hollywoods Schwergewichten galt Oliver Stone seit jeher als der unbequeme Systemkritiker. In seiner Blütezeit hielt er der Gesellschaft und vor allem den USA mit Klassikern wie „Platoon“ (1986) „Wall Street“ (1987), „Natural Born Killers“ (1994) oder „An jedem verdammten Sonntag“ (1999) schonungslos den Spiegel vor und sprach Missstände offen an.
Obwohl daher viele Aspekte in seinen Filmen polarisierten, erwarb sich der in New York City geborene Regisseur und Drehbuchautor eine breite Anerkennung in der Öffentlichkeit. Regelmäßig ist die A-Prominenz der US-Schauspielgarde bereit, mitzuwirken, wenn „Stone“ vorne draufsteht.
Doch der ewige Rebell, der sich später auch in mehreren Dokumentationen als politischer Journalist versuchte, konnte diesen Nimbus zuletzt nicht immer aufrechterhalten. Trotz einiger historischer beziehungsweise gesellschaftlicher Ambitionen blieb „Alexander“ (2004) doch eher ein Schlachtenepos und „Savages“ (2012) ein gewöhnliches Gangsterdrama. „World Trade Center“ (2006), dessen Thematik reichlich Stoff für investigative Fragestellungen geboten hätte, wurde schließlich eine extrem flache Respektsbekundung an die New Yorker Feuerwehrleute.
Einen ähnlich kritischen Film wie etwa „JFK: Tatort Dallas“ (1991), sagte Stone damals, hätte er in diesem Fall nicht machen können. Diesen hätte niemand bezahlt und auch niemand sehen wollen.
Hollywoods Rebell und das Mysterium der magischen Kugel
Exakt 30 Jahre später greift er nun aber doch noch einmal die Thematik seines wohl komplexesten Werkes auf. Nach wie vor ist Stone überzeugt, dass Lee Harvey Oswald kein Alleintäter war, sondern eine Verschwörung hinter der Ermordung von John F. Kennedy gesteckt hat. Bereits in dem Kinofilm, in dem Kevin Costner eindrucksvoll den Staatsanwalt Jim Garrison spielte, ist die Menge an Informationen und Indizien nur sehr schwer zu durchdringen.
Nun, so wird von Stones Produktionsfirma angekündigt, seien entscheidende Hinweise hinzugekommen. In der zweistündigen Dokumentation „JFK Revisited: Through the Looking Glass“ präsentiert Stone diverse Dokumente und Zeugenaussagen, wirft das Scheinwerferlicht auf ungeklärte Sachverhalte und interviewt höchstselbst Experten und Gleichgesinnte. Hat er tatsächlich Neues zu sagen oder fechtet hier nur ein allzu stolzer Filmemacher mit übergroßem Ego einen endlosen Kampf gegen Windmühlen aus?
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Um es vorweg zu nehmen: Stones Dokumentation darf und sollte sich jeder verantwortungsbewusste Erwachsene mit einem Mindestmaß an gesellschaftlichem Interesse unbedingt einmal ansehen. Und trotzdem weist sie einige der Schwierigkeiten auf, unter denen auch schon der Spielfilm von 1991 litt. Bei der Fülle von Argumenten arbeitet sich Stone von der Mikro- bis zur Makroebene vor. Zunächst geht es also um Prozessdetails, wie dem unsachgemäßen Umgang mit dem zentralen Beweisstück.
Dies ist in diesem Fall jene berühmte „magische Kugel“, die auch bei „Tatort Dallas“ im Zentrum der Beweisführung von Staatsanwalt Garrison steht. Auch „JFK Revisited Through the Looking Glass” geht ausführlich auf die Frage nach dem Projektil ein, das laut Überzeugung der Warren-Kommission eine derart unwahrscheinliche Flugbahn nahm, dass sie Präsident Kennedy und den vor ihm sitzenden Gouverneur John Connally gleich mehrfach verwundete.
In diesem Zusammenhang taucht die Dokumentation tief in die Forensik ein und thematisiert diverse Mysterien um Ein- oder Austrittswunden an Kopf und Hals des getöteten Präsidenten.
Kennedy als Opfer der geheimen Eliten?
Auch die Frage nach der Aufbewahrung von Kennedys Gehirn birgt zahlreiche Ungereimtheiten. Stones Dokumentation suggeriert sogar eine Täuschung mit einem fremden Organ, dem Versehrungen zugefügt worden sein. Diese hätten wiederum beweisen sollen, dass sämtliche Schüsse von hinten gekommen seien.
Mit zunehmender Dauer des Films werden die Themen dann komplexer, die Fragestellungen größer. So hätte der vermeintliche alleinige Attentäter Lee Harvey Oswald nach der Tat im Treppenhaus des Schulbuchlagers, aus dem er gefeuert haben soll, theoretisch von mehreren Angestellten gesehen werden müssen, was aber nicht der Fall war. Weitere Ungereimtheiten betreffen die vermeintliche Tatwaffe. Noch komplexer ist die Frage, warum Kennedys Leiche noch am Tag des Attentats von Dallas nach Washington D.C. geflogen und dort, so der in der Dokumentation erhobene Vorwurf, von einigen mangelnd qualifizierten Ärzten obduziert wurde. Dabei hätten führende Spezialisten binnen kürzester Zeit verfügbar sein können.
Schließlich geht „JFK Revisited“ auf Ansichten und Biografie von Lee Harvey Oswald ein, zeigt Verbindungen zur CIA und wirft die Frage nach Motivation einer möglichen Einzeltat auf. „Ich bin nur der Sündenbock“ („I’m just a patsy“), beteuerte Oswald noch kurz vor seiner ebenfalls rätselhaften Ermordung durch den Nachtclubbesitzer Jack Ruby. Und schließlich spannt Stone auch noch den ganz großen Bogen und geht auf Kennedys politisches Wirken ein und auf die Frage, wem seine Agenda in die Quere kam. Dabei wird vor allem der frühere CIA-Chef Allen Dulles mit viel Sendezeit bedacht.
Dulles, der sich offenbar selbst als Macher im Hintergrund sah und an diversen Regierungsumstürzen beteiligt war, hätte offenbar wegen des Debakels um die Schweinebucht-Invasion und anderer Probleme von Kennedy geschasst werden sollen. Der Präsident, so der Tenor in der Dokumentation, hatte genug von Geheimdienstlern, die pfeiferauchend vom Schreibtisch aus die Weltgeschicke zu lenken gedachten und dabei keinem Präsidenten Rechenschaft ablegen wollten. Er habe vorgehabt, jeden Stein in der CIA umzudrehen.
Dass ausgerechnet Dulles nach dem 22. November 1963 in die Warren-Kommission zur Aufklärung des Attentats berufen wurde und nachweislich Untersuchungen in Richtung seiner Behörde blockierte, macht in der Tat stutzig und wird in Stones Dokumentation ausgiebig gewürdigt.
Zu viel Heldenpathos mindert die Glaubwürdigkeit
Auch in „JFK: Tatort Dallas“ lief die vom charismatischen Kevin Costner vorgetragene Pointe letztlich darauf hinaus, dass Kennedy ein großer Befrieder gewesen sei, dessen Pläne zur Entspannung des Kuba-Konflikts, zu einer neuen Partnerschaft mit der Sowjetunion und zu einer allgemeinen Entmilitarisierung mächtigen Männern ein Dorn im Auge gewesen sei.
Ohne Kennedys Einsatz für die Bürgerrechte und seine Bedeutung als Symbolfigur der Annäherung zwischen Ost und West in Frage zu stellen, kann man Stones Darstellung, durch die kritische Brille betrachtet, mit Fug und Recht einseitig finden. Dass viele Szenen seiner durchaus stichhaltigen Thesen mit pathetischer Musik untermalt sind, verstärkt diese nicht, sondern schafft eher ein Unbehagen. Gute Argumente brauchen schließlich keinen Druck auf die Tränendrüse. Dementsprechend kommt Stones Dokumentation auch nicht ohne einen hoch emotionalisierten O-Ton aus dem Kennedy-Clan aus.
Dabei ist die Wahl ausgerechnet auf Verschwörungserzähler Robert F. Kennedy jr. gefallen, der ansonsten von verimpften Chips überzeugt ist und dies auch schon auf einer „Querdenker“-Demo in Berlin kundgetan hat. Ein weiteres Problem der Dokumentation ist, dass sich schwer nachvollziehen lässt, welche Indizien seit dem 1991er Spielfilm neu dazu gekommen sind und welche lediglich wiederholt werden. Gefühlt ist die Schnittmenge zwischen beiden Publikationen sehr hoch.
Fazit: Trotz der angesprochenen methodischen Schwierigkeiten und des typischen Pathos, ohne das es bei Stone wohl einfach nicht geht, ist es dem Regisseur hoch anzurechnen, dass er sich ein weiteres Mal in die hochsensible Thematik stürzt und keine Angst hat, sich in einflussreichen Kreisen unbeliebt zu machen.
Letzten Endes bedeutet jeder Zuschauer, der sich zwei Stunden mit dem Fall Kennedy beschäftigt, einen Schritt in Richtung eines engagierten und interessierten Bürgertums und diesen Verdienst kann Stone niemand absprechen. In dem Verfahren bestehen in der Tat zu viele offene Fragen, als dass es in Vergessenheit geraten darf.
Allerdings lässt sich hinterfragen, ob Stone als passionierter und meisterhafter Erzähler von Heldengeschichten der richtige Mann für Dokumentationen mit dieser Tragweite ist. Denn allzu gern lässt man sich in einer unübersichtlichen Welt vom wohltuend simplen Kampf „Gut gegen Böse“ betören. Die Unbefangenheit zu wahren, ist deshalb als Zuschauer nicht leicht.