Inhalt: Zwei von Verschwörungstheorien besessene junge Männer entführen die einflussreiche Geschäftsführerin einer großen Firma, überzeugt davon, dass sie eine Außerirdische ist, die plant, die Erde zu zerstören.
Macht, Wahn und ein sehr schlechter Tag
Gibt es im aktuellen Kino eine so ungewöhnlich fruchtbare kreative Partnerschaft wie jene zwischen Yorgos Lanthimos und Emma Stone. In nur wenigen Jahren haben sich beide in einer Weise künstlerisch aufeinander eingeschwungen, die im heutigen Autorenkino Seltenheitswert besitzt. Seit The Favourite führte Lanthimos seine bevorzugte Schauspielerin durch ein emotionales und ästhetisches Spektrum, das von königlicher Intrige über groteske Freiheitserzählungen bis hin zu experimentellen Episoden reicht.
Mit Bugonia kehren beide erneut zusammen auf die Leinwand zurück und präsentieren eine düster satirische Geschichte, die sich tief in die Absurditäten unserer Gegenwart gräbt. Emma Stone verkörpert Michelle Fuller, die Geschäftsführerin von Auxolith Biosciences. Ihre Aura ist die einer unantastbaren Spitzenfigur der modernen Unternehmenswelt. Sie kultiviert ein Image aus selbst optimierter Diversitätspolitik und zugleich gnadenlosem Leistungsdenken. Die Kamera zeigt eine Frau, die keine Kompromisse kennt und ein Arbeitsklima schafft, das nach außen freundlich wirkt, hinter geschlossenen Türen aber von subtiler Brutalität geprägt ist. Michelle glaubt an ihre Vision, doch das System, das sie aufgebaut hat, ist so aalglatt und unterkühlt, dass Menschlichkeit nur als Ressourcenelement vorkommt. Parallel dazu entwickelt sich eine zweite, auf den ersten Blick weit entfernte Handlungsebene.
Teddy, gespielt von Jesse Plemons, ist ein sozial isolierter Außenseiter. Er lebt zurückgezogen mit seinem Bruder Don und verbringt zu viel Zeit in jenen digitalen Echokammern, in denen sich Wut, Misstrauen und politische Feindbilder gegenseitig verstärken. Seine Welt ist durch Verschwörungsnarrative geprägt, die sich nicht länger als Spinnerei abtun lassen, wenn man bedenkt, wie fest sie sich in den Köpfen vieler verankern. Teddy glaubt, Michelle sei eine außerirdische Invasorin vom Planeten Andromeda, die geschickt wurde, um die Menschheit zu vernichten und insbesondere die Bienen auszulöschen.

Ein rhetorischer Kampf um Wirklichkeit und Identität
Als Teddy und Don den Entschluss fassen, Michelle zu entführen, beginnt ein makabrer Machtkampf, der zwischen Paranoia und erschütternder Logik pendelt. Der Film scheut sich nicht, die Entführung radikal zu zeigen und Stone werden vor laufender Kamera die Haare abrasiert. Die Demütigung ist real, die Verletzlichkeit ebenfalls. Hier treffen zwei Welten aufeinander, die unterschiedlicher nicht sein könnten, und beide beanspruchen die Wahrheit für sich. Bugonia basiert auf dem südkoreanischen Film Save The Green Planet! und Lanthimos verwandelt die Vorlage in eine bissige, intellektuelle Konfrontation über Macht, Glauben und Manipulation.
Der Film lässt Raum für die Frage, ob Michelle tatsächlich die Person ist, für die sie sich ausgibt. Teddy wirkt anfangs wie eine Karikatur des verschwörungsgläubigen Internetbürgers. Im Verlauf der Handlung offenbart sich jedoch eine tiefe Verletzlichkeit. Aus Wut wurde Groll. Aus Groll wurde Wahn. Aus Wahn wurde Gewissheit. Es entsteht kaum Sympathie im klassischen Sinne. Das Werk fordert eine Auseinandersetzung mit einem Menschentyp, der zunehmend gesellschaftliche Relevanz besitzt, und zeigt, wie schnell Ohnmacht und Orientierungslosigkeit in Radikalität umschlagen können.
Die Kameraarbeit von Robbie Ryan verstärkt dieses Spannungsfeld. Sie kontrastiert Michelles sterile Unternehmenswelt mit der schmutzigen, beklemmenden Umgebung von Teddys Haus. Beide Räume wirken wie Gefängnisse; sie unterscheiden sich nur in Ästhetik und Funktion. Lanthimos verknüpft die Bilder mit Jerskin Fendrix‘ Filmmusik, die zwischen majestätisch und dissonant schwankt. Es entsteht eine Atmosphäre des Unbehagens, die den Film in einen düsteren Sog aus Machtspielen und psychologischer Manipulation zieht.

Die Bienen als Menetekel unserer Zeit
Auf inhaltlicher Ebene öffnet Bugonia Themenfelder, die weit über seine Figuren hinausweisen. Das Bienensterben in Teddys Kolonie dient nicht nur als persönlicher Verlust, sondern als Symbol einer bevorstehenden Katastrophe. Die fragile Symbiose der Natur wird zur Metapher für die prekäre Balance menschlicher Gesellschaften. Bienen stehen für Ordnung, Zusammenarbeit und gemeinschaftliches Überleben. Wenn sie verschwinden, zerfällt ein System, das sich selbst zu sicher war. Das Drehbuch spielt mit der Frage, ob der eigentliche Horror im Film von einem möglichen außerirdischen Wesen ausgeht oder von Menschen, die im Schatten ihrer eigenen Ideologien gefangen sind.
Lanthimos interessiert sich dafür, wo Wahrheit endet und Wahn beginnt. Sein Film besitzt jene Mischung aus gesellschaftlicher Analyse und surrealer Überhöhung, für die sein Werk bekannt ist. Emma Stone und Yorgos Lanthimos setzen mit Bugonia eine kreative Beziehung fort, die selten geworden ist. Stone zeigt Mut zur Hässlichkeit, zur Verletzlichkeit und zur satirischen Überzeichnung. Dabei bleibt sie glaubwürdig und unwägbar. Plemons ist ihr ebenbürtig und verleiht seiner Figur mehrdimensionales Gewicht. Das Zusammenspiel erzeugt Reibung und Energie, die den Film tragen.
Es wirkt wie das Ergebnis einer künstlerischen Symbiose, die von gegenseitigem Vertrauen geprägt ist. Bugonia ist nicht so zugänglich wie Poor Things und nicht so radikal unangenehm wie Kinds Of Kindness. Er bewegt sich bewusst dazwischen. Das Ergebnis ist ein Film, der gleichzeitig provoziert, fasziniert und herausfordert. Seine Wirkung wird polarisieren und das ist Programm. Lanthimos liefert keinen Konsens, sondern fordert Haltung.
Fazit: Bugonia ist ein verstörend sarkastischer und intellektuell scharf gezeichneter Thriller über Macht, Wahn und gesellschaftliche Selbstzerstörung. Die Inszenierung ist stilistisch präzise, mutig und provokativ. Stone und Plemons zeigen ihre Klasse in einem Machtspiel, das sich konsequent verweigert, einfache Antworten zu liefern. Es ist definitiv kein Wohlfühlkino, allerdings auch kein perfekter Film.
Film Bewertung 7 / 10





