28 Years Later

Es ist fast drei Jahrzehnte her, dass das Rage-Virus aus einem biologischen Waffenlabor entkommen ist, und noch immer gilt eine strikt verordnete Quarantäne. Einige Menschen haben Wege gefunden, inmitten der Infizierten zu existieren. Eine solche Gruppe von Überlebenden lebt auf einer kleinen Insel, die durch einen einzigen, stark verteidigten Damm mit dem Festland verbunden ist. Als einer der Bewohner die Insel verlässt, um in das dunkle Innere des Festlandes vorzudringen, entdeckt er Geheimnisse, Wunder und Schrecken, die nicht nur die Infizierten, sondern auch andere Überlebende mutiert haben.

© Sony Pictures Germany

Die Zombie-Revolution geht weiter – aber ganz anders als erwartet

Danny Boyle und Alex Garland waren noch nie für ihre konventionellen Entscheidungen bekannt. Im Jahr 2002 schufen sie mit 28 Days Later ein Meisterwerk, das das Genre des Zombiefilms neu definierte – nicht mit schlurfenden Untoten, sondern mit sprintenden, blutrünstigen „Infizierten“. Zwei Jahrzehnte und eine weitgehend ignorierte Fortsetzung (28 Weeks Later, 2007) später kehren die beiden mit 28 Years Later zurück – und hinterlassen erneut ihren Fußabdruck in einem Genre, das mittlerweile überstrapaziert wurde.

Doch anstatt den Altbewährten zu folgen, machen Boyle und Garland das Gegenteil: 28 Years Later ist radikal, experimentell, politisch aufgeladen – und beginnt mit einer surrealen Szene, in der Tinky-Winky von den Teletubbies ins Bild stürmt, um kurz darauf den Bildschirm mit Blutspritzern zu überziehen. Schwarzer Humor trifft auf blanken Horror – ein Vorgeschmack auf das, was folgt.

Der Film wechselt schnell in das Jahr 2030, auf eine isolierte britische Insel: Lindisfarne, auch bekannt als „Holy Island“. Nur durch einen Damm mit dem Festland verbunden, der bei Ebbe zugänglich ist, wohnen hier die Überlebenden der Pandemie in ländlichem Traditionalismus. Mitten in dieser Welt wächst der 12-jährige Spike (Alfie Williams) auf – ein Junge, der noch nie einen Ort kennengelernt hat, an dem man das Meer nicht sehen konnte.

Mit seinem Vater Jamie (Aaron Taylor-Johnson) wagt er sich zum ersten Mal ins Landesinnere. Für Spike ist die Begegnung mit der Welt außerhalb von Lindisfarne nicht nur ein geografischer, sondern auch ein psychologischer Sprung ins Ungewisse – und für den Film die Einleitung zu einer komplexen Erzählung über Isolation, nationale Identität und generationenübergreifende Traumata.

Nackte Infizierte, mythische Bilder – visuelle Eskalation mit iPhone und Bullet Time

Boyle wählt einen ungewöhnlichen visuellen Ansatz: Der Film wurde größtenteils mit iPhones gedreht, um den körnigen digitalen Look von 28 Days Later zu imitieren, ihn aber gleichzeitig zu modernisieren. Er setzt Bullet-Time-Techniken in starken Kontrasten ein und verwandelt die ohnehin schon rohe Gewalt in schockierende Aufnahmen aus mehreren Kamerawinkeln. Die Infizierten sind hier nicht nur wilde und blutrünstige Wesen – sie sind auch komplett nackt, was ihnen eine noch mehr verstörende Physis verleiht.

Der Film lebt auch von seinen komplexen Charakteren: Jodie Comer als Spikes Mutter Isla liefert eine elektrisierende Performance als emotional zerrüttete Frau, die an Krankheit und Realitätsverlust leidet. Ralph Fiennes als Dr. Kelson vereint Wahnsinn und Menschlichkeit – irgendwo zwischen Colonel Kurtz (Apokalypse Now) und M. Gustave aus Grand Budapest Hotel.

Boyle und Garland haben viel zu erzählen. 28 Years Later strotzt nur so vor thematischer Anspielung, um eine nationale Identitätskrise zu veranschaulichen. Es gibt eine klare Brexit-bezogene Parallele in einem Land, das in Abschottung lebt – das von „Wut“ gezeichnete Großbritannien, das sich von der Welt abkapselt; die Menschen, die sich von ihren eigenen Dörfern und Städten isolieren. Die typisch britische postapokalyptische Zivilisation bietet zum Teil eine vom Krieg geprägte Ästhetik, zum Teil eine historische, mittelalterliche Verteidigungslinie.

Boyle schneidet immer wieder zu Schwarz-Weiß-Aufnahmen aus dem Zweiten Weltkrieg. Ist dies die „gute alte Zeit“, nach der sich einige Briten sehnten und die längst in Vergessenheit geraten ist? Ist das Überleben von Natur aus rückschrittlich? In 28 Years geht es auch um die Geschichten, die wir uns selbst erzählen, um die Mythenbildung, die eine Nation begründet, um die Fiktion und nicht um die eigentliche Wahrheit.

Alphas, Langsame, Schnelle – die neue Ordnung der Infizierten

Wie schon in The Last of Us oder I Am Legend differenziert auch 28 Years Later die Infizierten: Es gibt die „Schnellen“, die „Langsamen“ und eine neue, furchterregende Klasse – die „Alphas“. Letztere sind hochentwickelte, fast intelligente Killerwesen, die Wirbelsäulen herausreißen wie Predator – ein Gänsehautmoment, der das Bedrohungsszenario auf ein neues Level hebt. Der Horror funktioniert: Die erste Filmhälfte ist spannungsgeladen, ein viszerales Erlebnis, das von der Soundkulisse der Young Fathers musikalisch untermalt wird.

Hier pulsiert das Kino – intensiv, roh, lebendig. So kraftvoll der Beginn ist, verliert der Film in der zweiten Hälfte leicht an Fokus. Das Tempo variiert, einige CGI-Effekte wirken unausgereift, und manche Nebenfiguren bleiben schwer greifbar. Doch trotz kleiner Schwächen bleibt jeder Moment visuell oder thematisch spannend. Die Coming-of-Age-Geschichte rund um Spike entwickelt sich zu einer emotionalen Odyssee, die das Genre des Zombiefilms mit einer metaphysischen Komponente versieht, wie sie zuletzt in z.B. Annihilation (ebenfalls Garland) zu sehen war.

Und ja, 28 Years Later endet mit einem Cliffhanger – denn zwei weitere Fortsetzungen sind bereits geplant. Es ist der Beweis, dass es auch 2025 noch möglich ist, einem ausgelutschten Genre neues Leben einzuhauchen. Der Film ist nicht nur eine Rückkehr zum Horror, sondern auch eine Aussage über unsere Zeit: wütend, gespalten, auf der Suche nach einem Platz in einer sich immer weiter verändernden Welt.

Fazit: 28 Years Later ist der Film, auf den wir sehnsüchtig gewartet haben und der, den wir nicht brauchen. Es gibt nicht nur Blut, sondern auch Eingeweide, Regenwürmer, Hirn und Herz – ein in Gedärmen getränktes Filmvergnügen.

Film Bewertung 7 / 10