Erscheinungsdatum: 29.09.11 (in Deutschland Direct-to-Video)
Laufzeit: 101 Min.
Regisseur: Daniel Nettheim
Drehbuch: Alice Addison (nach dem Buch „The Hunter“ von Julia Leigh)
Kamera: Robert Humphreys
Der Tasmanische Tiger – ausgestorben 1936 spannt der eigentlich als Beuteltier bekannte Räuber bis heute ein Netz aus Mythen wie man es sonst vom Monster von Loch Ness kennt. Vom „Tiger“, benannt nach seinem gestreiften Rückenfell, existiert nur noch wenig Videomaterial, doch das Interesse ebbt bis heute nicht ab. Angebliche Sichtungen des extinkten Tiers heizen bisweilen immer wieder die Gerüchteküche an, wäre es doch in seiner Seltenheit Unsummen wert. Genau davon handelt auch der 2011 erschienene australische Film „The Hunter“.
Story:
Mit Willem Dafoe in der Hauptrolle, erzählt „The Hunter“ die Geschichte des hochprofessionellen Jägers Martin David (Willem Dafoe), der von der dubiosen Biotech Firma „Red Leaf“ den Auftrag erhält, das letzte Exemplar des Tasmanischen Tigers in Australien ausfindig zu machen und biologische Proben zu entnehmen, damit man, wie sich später herausstellt, daraus biologische Waffen herstellen kann. Das Tier soll danach „verschwinden“, damit „Red Leaf“ der Konkurrenz voraus ist.
Um seine Mission zu tarnen, wird David als wissenschaftlicher Mitarbeiter einer Universität ausgegeben, der die heimischen Beutelteufel erforschen soll. In Tasmanien angekommen bezieht er sein Quartier im ramponierten Haus der Familie Armstrong, bestehend aus den Kindern Sass und Bike, sowie der stark medikamentenabhängigen Mutter Lucy (Frances O´Connor). Familienvater Jarrah, seinerseits Umweltschützer und wie wir erfahren ebenfalls auf der Suche nach dem mysteriösen Tiger gewesen, ist seit einem Jahr verschollen.
Film Kritik:
von Georg Reinke
Unkonventioneller Thriller
Spannung wird hier höchst effizient auf leisen Sohlen aufgebaut, wer jedoch einen Survival Thriller a la „The Grey“ erwartet, wird enttäuscht. Enttäuschend ist der Film jedoch in keinster Weise, wenn man sich der Prämisse öffnet, dass hier vor allem ethische und moralische Fragen gestellt werden. Dabei überwirft der Film klassische Thriller Konventionen und schiebt sich mehr in die Richtung eines Familiendramas.
Die Konstellation zwischen der kleinen Familie und Martin David wird durch authentische und sehr einfühlsame schauspielerische Leistungen übertragen. Besonders Dafoe, der vor seiner Rolle in „The Hunter“ eine kleine Durststrecke an guten Rollen hatte, brilliert hier mit außergewöhnlicher Arbeit. Dass er dabei in etwa so viele Dialogszenen wie Schwarzenegger in „Terminator 2“ hat, stört dabei überhaupt nicht.
Die Expertise seines Charakters wird durch seine filigranen Jagdmethoden, dem Hang zu klassischer Musik und Dafoes Mimik getragen. Wenn er sich den Weiten der tasmanischen Wald- und Sumpfgebiete stellt, transferiert sein Schauspiel minuziös die Rauheit der Natur, aber ebenso die Fragilität dieser. Zu jedem Zeitpunkt im Film ist der Umgang mit seiner Umwelt ein respektvoller.
Gleichzeitig ist es besonders schön anzusehen, wie sich seine harte Schale in der Position des Ersatzvaters nach und nach abpellt. Wenn er als Martin David mit den Kindern badet oder mit Bike über den Tiger nonverbal fachsimpelt, erkennt man emotionalen Tiefgang. Vor Allem funktioniert dies gut, weil sich der Film die nötige Zeit nimmt.
Zwischen Katharsis und Panorama-Shots in Tasmanien
Im Laufe der Narration legt David mehr und mehr den Mantel des kalkulierenden Jägers ab und wird zum moralisch zwiegespaltenen Familienmenschen. Besonders geht diese Metamorphose in zwei kathartischen Momenten auf; als er von Jack Mindy erfährt, dass die Familie ums Leben kam, dem Klimax der Geschichte (letztlich durch ihn herbeigeführt, weil er sich dem Druck der „Red Leaf“ Firma ergibt und die Armstrongs trotz Versprechens eines Picknicks im Stich lässt) und seiner finalen Begegnung mit dem Beuteltiger.
Dafoe schafft es, dieser Figur, deren Hintergründe man in der kompletten Laufzeit nicht begegnet, so viel Leben einzuhauchen, dass man meint, man kenne ihn schon ewig. Unerwähnt darf hierbei auch nicht die Leistung der beiden Jungschauspieler bleiben die es verstehen, niemals aufdringlich zu wirken. Die Chemie sowohl narrativ als auch schauspielerisch zwischen Dafoe und den Kindern wirkt authentisch und greifbar.
Doch nicht nur das Schauspiel weiß zu entzücken, die kinematografischen Aspekte tun dies ebenfalls auf ganzer Linie. Die beeindruckenden Panoramashots der Landschaft Tasmaniens weisen die Majestät der Natur gegenüber dem Menschen auf, insbesondere, wenn David und Mindy an riesigen gefällten Baumstämmen vorbeilaufen, was einerseits die Zerbrechlichkeit der Natur, jedoch auch das Alter und die gewaltigen Kräfte der tasmanischen Umwelt repräsentiert.
Die Klang – und Bildkomposition als Einheit
Die Weite und Ehrfurcht gegenüber der noch teils unberührten Natur bleibt durch hervorragende Bildkomposition omnipräsent. „The Hunter“ wechselt dabei kontinuierlich zwischen Szenen in der Natur und dem Familienalltag der Armstrongs in den sich David immer mehr einbringt. Auffällig im Verlauf des Films und diesen beiden Handlungsebenen ist auch die Farbsetzung, die nochmal Davids moralische Kompetenzen und deren Entwicklung akzentuiert. So weichen die kühlen und düsteren Blautöne im Laufe der Spielzeit wärmeren Farben, die dem Auftauen Davids innerhalb der Familie und seinen eigenen sich verändernden Wertvorstellungen entsprechen.
Visuell macht der Film eine Menge her, es sei aber noch der unfassbar starke Soundtrack erwähnt. Komponiert von dem (noch) relativ unbekannten Andrew Lancaster wird eine dichte Soundatmosphäre geschaffen, die sich zu jeder Zeit perfekt an das Erzähltempo anpasst.
Grundsätzlich verhält sich der Sound gelungen symbiotisch zur Optik. Momente der Stille sind ebenso effektiv wie die Musik, denn in den offenen Gebieten der Wildnis wird mit ihr sparsam umgegangen. Dadurch entsteht ein Gefühl der Bedrohung, welches sich durch die Naturaufnahmen zieht, denn zu jedem Zeitpunkt erwartet man das Unerwartete. Genauso rar wie sich die Soundkulisse in solchen Augenblicken macht, breiten sich unsichtbare Gefahren aus.
Die Entdeckungen Davids von mysteriösen Fallen, den Geräuschen von undefinierbaren Schüssen, die nicht ihm gelten, erzeugen Spannung. Diese Umstände weisen auf, wie vertraut der Sound mit der Narration des Films ist. Wo man auf den ersten Blick eine kleine dramaturgische Schwäche erkennen könnte, ist, dass der Film darauf verzichtet, einen wirklich klar herausgearbeiteten Antagonisten zu präsentieren.
Sam Neill bleibt etwas auf der Strecke
Dies passiert auch zum Leidwesen Sam Neills, dessen Potential als ambivalenter Gegenspieler leider nicht aufgeht. Dessen Motive sind nicht klar und der Film verfehlt diese aufzuklären bzw. nachvollziehbarer zu machen.
Sein Charakter Jack Mindy bleibt eines der größten Fragezeichen im Film. Er scheint ein amouröses Interesse an Lucy Armstrong zu haben und mag aus Eifersucht heraus Martin David boykottieren, allerdings sieht man ihn auch mit den einheimischen Holzfällern der Hippie Community drohen.
Auch seine Begründung zum Schluss des Films, Bike aufgrund seines eigenen, zu hohen Alters nicht aufnehmen zu können, erschließt sich nicht (was zu der etwas überdramatisierten Auflösung des Films führt). Aus diesem Charakter hat man leider zu wenig gemacht, er hätte ein greifbarer Gegenpol zu Martin David sein können, geht aber in der Fülle der dramaturgischen Inhalte unter. Grundsätzlich generiert der Film teils etwas zu viele thematische Schwerpunkte, die manchmal ihre Verknüpfungen zueinander verpassen.
Martin David ist zu vielen Instanzen ausgesetzt, die teilweise auf der Strecke bleiben. Dazu gehört der Konflikt mit Mindy oder auch der Zwist zwischen den Einheimischen Gruppierungen. Der antagonistische Hauptmotor ist augenscheinlich der Gewissenskonflikt von David selbst. Dadurch erübrigen sich viele Fragen die der Film aufwirft, so etwa die, wie die Armstrongs wirklich ums Leben kamen, wer die anderen Fallen in den Wäldern aufgestellt hat, wer Jarrah tötete und warum Bike nicht spricht.
Mehr als nur „Gut gegen Böse“
Denn diese Aspekte werfen erst das notwendige Licht auf die Progression in Davids Entwicklung und den moralischen Korpus des Films und dabei reicht es, einfach nur die Fragen in den Raum zu stellen, ohne, dass eine Antwort nötig wäre. Das gilt auch für die Beziehung zwischen David und den Kindern, überraschend unorthodox wird das Ableben der beiden Armstrongs Lucy und Sass inszeniert. Erneut wird das gut ausgearbeitete Drehbuch wirksam, denn die Nebencharaktere bleiben eben jene und erfüllen primär die Funktion eines Scheinwerferlichts auf die Werte des Protagonisten.
Dass der Zuschauer weniger erfährt als alle diegetischen Figuren, stört dahingehend auch überhaupt nicht. Dies bewirkt außerdem auch, dass dem Sehenden zu keinem Zeitpunkt eine moralische Stellung impliziert wird. Jede Instanz hat seine Daseinsberechtigung, seien es die „Greenies“, die natürlich die Umwelt schützen, die Holzfäller, die ihre finanzielle Existenz sichern wollen oder Mindy, der seinen love-interest verfolgt. Es wird kein wertgeladener Diskurs eröffnet, sondern das grundsätzliche Sujet der Verletzlichkeit und Endlichkeit von Mensch, Tier und Pflanze aufgezogen.
In diesem Kontext gibt es kein „Gut“ oder „Böse“, worin sich der Film von gängigen Thrillern stark unterscheidet – wenn man bei „The Hunter“ von einem Thriller sprechen mag.
Ein brillanter Willem Dafoe kämpft gegen die Einsamkeit
Dafoe als Martin David vereinigt dabei diese Elemente, denn ebenso rau wie die Natur und aufs Geld blickend wie die Holzfäller, verbirgt sich hinter seiner Fassade ein verletzliches und einsames Wesen, gleich dem Tiger, den er jagt. Narrativ geht dies besonders in seiner Entscheidung auf, den Tiger zu suchen und zu erschießen.
Von dem doch sehr schwachen CGI absehend, wird durch den ausdrucksstarken Dafoe der symbolische Schlusspunkt gesetzt, dass man allein nicht überlebt. „Allein nicht überleben“ wirbt hier für den Einklang mit Mitmenschen und Umwelt.
Die sehr emotionale Szene zwischen David und dem erschossenen Tiger verdeutlichen dies, da beide Geschöpfe ähnlicher Natur sind – effektive Jäger, aber in ihrer Art einzigartig und einsam. Dem Film gelingt es meistens, die Metaphorik glaubwürdig zu transferieren. Hin und wieder kann sich der Film vor einigen kitschigen Augenblicken nicht ganz schützen.
Dahingehend fällt vor Allem das Finale ins Gewicht, welches der Grobkörnigkeit der vorangegangenen Handlung deutlich widerspricht. Trotzdem meint „The Hunter“ dies in keinem Fall böse.
Fazit: „The Hunter“ ist eine Ode an die Trauer, die Einsamkeit, die nicht nur das Artensterben thematisiert, sondern auch eine Dissonanz zwischen sozialen Strukturen wie wir sie in unserer digitalen, schnelllebigen Welt haben, paraphrasiert.
So wie die Holzfäller gegen die „Greenies“ kämpfen, so kämpft David gegen sich, gegen die Technik aber auch gegen die Natur. Wenn er sein Scharfschützengewehr zusammenbaut und das Metall glatt und kalt glänzt, wie soll sich die verletzliche Natur davor schützen? Gleichzeitig werden Fragen aufgeworfen, die besonders heute noch aktuell sind, nämlich für welche Werte wir in der heutigen Welt geradestehen. Würde man zum Wohle Anderer, zum Wohle der Umwelt Abstriche machen?
Weder die Umweltschützer noch die Holzfäller scheinen diesen Diskurs aufzubauen, einzig David macht dies. Wenn er zu seinem Quartier fährt, begegnet man abgeholzten Bäumen, angelegten Straßen, die durch die Wälder führen.
Im Haus trieft der Wasserhahn, alles ist schmutzig und versifft, wohingegen die Natur noch rein und unberührt wirkt. Gegen die Koordinaten, die David den Kindern gibt, falls er länger als zwei Wochen weg sein sollte, wird ein Familienfoto getauscht. Der gesamte Film baut sich auf Gegensätzen auf, versinnbildlicht durch den Sticker „Save our native forests“, wo „forests“ durch „Jobs“ ersetzt wurde. Der Film macht sich nicht die größte Mühe, Hoffnung für die Natur einzuräumen, jedoch Hoffnung, wieder Menschlichkeit zuzulassen.
Dass jedoch den Kindern, den Unschuldigen, eine Welt ohne die Schönheit der Einzigartigkeit wie dem tasmanischen Tiger geboten wird, erfüllt den Film mit einem verdrießlichen Beigeschmack. Es findet sich nirgends ein „Save our future“ Sticker, doch letztendlich ist es genau die Aussage, die getätigt werden muss. Martin David ist hierbei der Kompensator all dieser Ängste und Sorgen. Dank Dafoes Schauspiel, braucht der Film auch kaum Exposition, denn die essentielle Thematik wird ohne ausufernde Erklärungen greifbar.
Audiovisuell lässt „The Hunter“ fast nichts zu wünschen übrig, dramaturgisch funktioniert er größtenteils auch sehr gut. Die ein oder andere Nebenstory hätte etwas ausgebaut werden können, mindert letztendlich aber nicht die Qualität. Ein mitreißender, bildgewaltiger und unterschätzter Film, der umso schwerer zu verdauen ist, wenn man sich bewusst macht, dass das Artensterben heute mittlerweile deprimierender Alltag ist. Schade, dass er es nie in die deutschen Kinos geschafft hat, denn dort hätte er sich definitiv seinen Platz verdient
Wertung: 8/10