Erstausstrahlung: 17. September 2021 auf Netflix Idee: Hwang Dong-hyuk | Sprache: Koreanisch | Genres: Drama, Thriller, Horror | Mit: Lee Jung-jae,Park Hae-soo,Wi Ha-jun | Regie: Hwang Dong-hyuk
Inhalt: 456 finanziell hochverschuldete Menschen nehmen eine mysteriöse Einladung an, um bei einem Wettbewerb in Kinderspielen gegeneinander anzutreten. Es lockt ein hoher Preis – bei noch höherem Einsatz.
Aus dem Nichts tauchte die koreanische TV-Serie „Squid Game“ auf, die in kürzester Zeit weltweite Aufmerksamkeit erregte und einen breiten Mediendiskurs auslöste. Die auf Netflix ausgestrahlte Serie erzählt die Geschichte eines grausamen Wettbewerbs um unermesslichen Reichtum – gewonnen durch Kinderspiele mit tödlichem Ausgang. Die Serie wird aus der Perspektive des Spielers 456, Seong Gi-hun (Lee Jung-jae), erzählt.
Der südkoreanische Regisseur Hwang Dong-hyuk hat mit „Squid Game“ die gesellschaftliche und soziale Problematik und die Rolle des Zuschauers in dieser Frage auf eindrucksvolle Weise erforscht. Nicht zuletzt durch die hervorragende schauspielerische Leistung und die Entwicklung der Charaktere, mit der starke emotionale Reaktionen hervorgerufen werden. In einer Auseinandersetzung mit den Auswirkungen der massiven Einkommensungleichheit erforscht „Squid Game“ die Verzweiflung der Unterprivilegierten, indem es die von Geldmangel geplagten Teilnehmer des Spiels in tödlichen Spielsituationen gegeneinander antreten lässt.
Dass die Serie mit Brutalität nicht geizt, ist weder ungewohnt noch neu. Die Erforschung sozialer Ungerechtigkeit durch Wettbewerb wurde bereits in Filmen wie „The Hunger Games“, „Der Schacht“ oder „Parasite“ untersucht. Dennoch hinterlässt die bewusste Beteiligung der Spieler in „Squid Game“ den Zuschauer besonders verstört zurück, da sich geliebte Charaktere dazu entschließen, mitzuspielen und sich in ihrer Gier gegen einander wenden.
Ungeschönt und Intensiv
„Squid Game“ enthüllte seine Vorliebe für Gewalt schon in der ersten Folge „Red Light, Green Light“, in der die Charaktere, die das Spiel spielen, niedergeschossen werden, sobald ein Roboter-Schulmädchen bemerkt, dass sie sich bewegen. Damit wird das Thema des „Hund-frisst-Hund“-Wettbewerbs eingeführt, das sich durch die gesamte Serie zieht: Um zu entkommen, schubsen sich die Teilnehmer gegenseitig aus dem Weg oder benutzen sich sogar gegenseitig als menschliche Schutzschilde – und das, obwohl sie zuvor noch freundschaftlich miteinander umgegangen sind.
Mit diesem Spiel wandelt sich die Serie in den letzten 15 Minuten der ersten Folge von etwas langweiligen und verwirrenden zu erstaunlich fesselnden und gewalttätigen Szenen. Obwohl die Gewalt ungeschönt und intensiv ist, sind es die rohen und emotionalen Reaktionen der Charaktere und ihr Wunsch zu überleben, die die Serie so eindringlich machen. Der eher unpersönliche Charakter der Gewalt verstärkt die emotionale Erfahrung des Zuschauens, denn die Figuren sterben wie jeder andere auch: schmerzhaft schnell und ohne Umschweife.
Es gibt keine Trennung zwischen den Hauptfiguren und den Hintergrundfiguren. Und obwohl die Spieler, die etwas länger durchhalten, mehr Charakterentwicklung erfahren, teilen sie das gleiche Schicksal wie alle anderen in den Spielen. Mit nur einem Gewinner im Wettbewerb wissen die Zuschauer, dass fast alle sterben werden. Dennoch ist es schwierig, mit anzusehen, wie die eigene Lieblingsfigur verraten und dann gnadenlos abgeschlachtet wird.
Verrat und Verzweiflung
Des Weiteren ist das Gesicht des Todes unbekannt. Alle Spielverwalter bedecken ihr Gesicht mit einer schwarzen Maske und agieren als Funktionäre einer mysteriösen höheren Macht. Dieser kalte und distanzierte Umgang mit dem Tod impliziert, dass die Spieler aufgrund ihres Mangels an Wohlstand austauschbar und unbedeutend sind, was den Gedanken der Ungleichbehandlung aufgrund der sozialen Herkunft noch verstärkt. Die Bedeutung eines Charakters im Spiel wird einfach durch die Kleidung verdeutlicht, die er trägt.
Die Spieler tragen einfache grüne Trainingsanzüge, die Wachen halten große Waffen, während sie pinke Overalls tragen, und die Wohltäter verstecken sich hinter goldenen, glitzernden Tiermasken. Mit einer klaren Bildsprache, die die Besitzenden von den Habenichtsen trennt, thematisiert „Squid Game“ soziale Ungerechtigkeit durch die Kreation ausgefallener und gewalttätiger Spiele mit einer kitschigen Neon-Ästhetik. Darüber hinaus stellt „Squid Game“ dem internationalen Publikum eine koreanische Darstellerriege vor, deren Verletzlichkeit die vielen Botschaften noch verstärkt. Lee Jung-jae stellt Seong Gi-hun mit einer gekonnt gewollten Normalität dar.
Man kann sich leicht mit ihm identifizieren und sich daher auf ihn einlassen – indem er seine einfühlsame Persönlichkeit während der gesamten Serie beibehält und bis zum letzten Spiel nie dem selben Schicksal erliegt wie andere Spieler. In der Gruppe von Taschendieben, Schlägern, Räubern und anderen gescheiterten Existenzen, die alle eine phänomenale Charakterentwicklung durchmachen, kann Seong Gi-hun jedoch nicht mit der Komplexität dieser Figuren und ihrer turbulenten Hintergründe mithalten.
Die Emotionen kochen hoch, wenn die Charaktere entweder ihren Partner verraten oder den Tod eines Freundes in Kauf nehmen müssen. Squid Game zeigt die Fallstricke der Menschheit auf und macht deutlich, dass niemand sicher ist und dass Menschen in Zeiten der Verzweiflung zu unmoralischen Handlungen fähig sind.
Der (wahre) Gegner von „Squid Game“ sind wir, ist der Zuschauer. In der Serie sind es die Wohltäter, die zusehen und bejubeln, wie 456 Menschen einander verraten, sich bekämpfen und gegenseitig töten, um zu Reichtum und sozialer Unabhängigkeit zu gelangen. Aber sind wir, die Zuschauer der Fernsehserie, besser, wenn wir Episode um Episode über das selbe Thema mit Chips, kühlen Getränken, entspannt auf unserer Couch liegend, konsumieren?
Während wir eine Serie über den Tod sehen, die sich deutlich von dem unterscheidet, was wir tagtäglich miterleben, diskutieren wir das Drama online, bewerten den Tod der Figuren und das Aussehen der Schauspieler, und dabei den Sinn der Serie völlig vernachlässigen. Es ist leicht, so zu tun, als sei ein Haufen Leichen nur eine Ansammlung von geschickten Schauspielern, wenn es sich um eine TV Fiktion handelt. Doch diese fiktive Gewalt ist repräsentativ für die Ungleichheiten, die in der realen Welt herrschen.
Fazit: „Squid Game“ soll dem Zuschauer Unbehagen bereiten – es soll auf unsere Mitschuld an der Aufrechterhaltung der sozialen Kluft hinweisen. Denn dieses Unbehagen bedeutet, dass sich die Verzweiflung der Figuren erfolgreich auf das Publikum übertragen hat. Serien Bewertung: 8 / 10
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