Red rocket Filmpakat

Genre: Drama | Regisseur/Autor: Sean Baker | Produktion: USA2021 | Laufzeit: 128 Minuten

Mit: Simon Rex, Bree Elrod, Suzanna Son | Erscheinungsdatum: 14. April .2022


Der inflationär behandelte Begriff des „Amerikanischen Traums“ im Tanz mit der „White Trash“ Community wird zum Stellungsmerkmal Sean Bakers, der die provinziale Unterschicht bereits in „The Florida Project“ observierte. Gleichwohl wird ein nischenträchtiges, reflexives Genre von ihm etabliert, das narrativ jeglicher Konvention entgleitet.

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Spaltung zwischen Arm und Reich, aber auch Frau und Mann, Traum und Realität und Hoffnung wie Verzweiflung; Baker hat die Disparität narrativ und konzeptuell zu seinem stärksten Werkzeug gemacht. Selbst heroin- und alkoholabhängig gewesen, kennt er das dargestellte Milieu bestens und vermag dem Zuschauer einen Longdrink bestehend aus guter Unterhaltung und Tragik zu
mischen.


Inhalt: Der gescheiterte ehemalige Hollywood Pornodarsteller Mikey (Simon Rex) muss sich notgedrungen bei seiner „Noch“ Ehefrau Lexi (Bree Elrod) und deren Mutter Lil (Suzanna Son) in einer Wellblech-esken Unterkunft zurück in seiner dörfischen Heimat im ländlichen Texas einquartieren. Bemüht dort seiner Existenz eine Berechtigung zuzusprechen, sucht er vergeblich nach Jobs.

Nach zahlreichen Absagen beginnt er letzten Endes durch einen ehemaligen Kontakt mit Gras zu dealen. Die angespannte Beziehung zu seiner ebenfalls ehemalig im Pornogeschäft tätigen Lexi scheint wieder in alte Muster zu fallen, da sich die beiden wieder aufeinander einlassen. Allerdings nur, bis Mikey im sogenannten Donut Stop auf die 17- jährige „Strawberry“ stößt.

In ihr sieht er das Ticket zurück ins Pornogeschäft und umwirbt sie, was moralisch nicht nur verwerflich ist, sondern die sowieso schon toxische Ehe mit Ehefrau Lexi tangiert. Strawberry soll seine rote (weil rothaarige) Rakete zurück zu besseren alten Zeiten sein, raus aus seinem Irrgarten von Misserfolgen und Versagen.

© Universal Pictures Germany

Ein Film über Gegensätzlichkeiten

„Red Rocket“ lebt von einer vibrierenden, fragilen Schönheit. Mikeys Fortbewegungsvehikel ist ein Fahrrad und führt durch eine disparate Welt, gefüllt mit dem Zirpen von Grillen und weiten Feldern auf der einen, Fabriken, Metall und Ölfeldern auf der Anderen Seite.

Der Film erzählt eine Geschichte von Wandel und Ablösung alter Werte. Nicht umsonst werden hintergründige Wahlwerbespots und Reden von Trump und Clinton unkommentiert gezeigt.

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Es geht nicht darum, eine Position zu eruieren, sondern einen Platz zu finden. Mikey verfolgt illusorische, narzisstische Träume, ohne zu begreifen, dass es für ihn kaum mehr einen Platz in einer modernen Welt gibt. Wie ein Kriegsveteran erzählt er von seinen Umtrieben, Bekanntschaften und pornografischen Arrangements. Abschließen kann er fürwahr nicht, ihm fehlt jegliche Empathie für die Zeitlosigkeit.

Man mag ihn hassen, immerhin versucht er eine beinahe Minderjährige ins Pornogeschäft zu drängen und ihre Naivität und Hoffnung für sich selbst einzulösen. Ein besonders prägender Moment ist Strawberrys After-Sex Klaviereinlage, die ein ungemeines Talent zum Muszieren offenlegt, von Mikey in seiner Verblendung aber keine würdigende Anerkennung erhält.

© Universal Pictures Germany

Nicht nur Grautöne

Dass Mikey sich ironischerweise von der Jugendlichen Strawberry in ihrem Auto oft kutschieren lässt, während er selbst vor einer (bezaubernden) Kulisse mit dem Fahrrad durch das Labyrinth seines Versagens fährt, spricht Bände über sein Unvermögen, die soziale Realität zu akzeptieren.

Doch statt ihn zu verurteilen, entwickelt man immer mehr kindliches Mitgefühl mit ihm. Obgleich Sex eine elementare Rolle spielt, stößt man bei ihm und in seinem Umfeld auf fast ausschließlich infantile Verhaltensstörungen. Der Nachbar Lonnie lebt in den Tag hinein und lässt sich von Mikey blenden, ferner steht er ihm dumm-treu zur Verfügung, selbst wenn es um eine langjährige Haftstrafe geht, die nicht er zu verbüßen hätte.

Lexi verharrt in ihrem Lebensduktus, das Zusammenleben mit ihrer Mutter scheint die beiden zu einer Person zu transferieren. Allerdings holt Lexi immer wieder ihre Mutter ran, wenn sie Probleme hat. Doch unter all der Tristes verbergen sich Menschen, die greifbar, ambivalent und vom Schicksal gebeutelt sind.

© Universal Pictures Germany

Festhalten an Altem

Baker hat mit der Darstellung der Figur Mikeys einen kalkuliert immersiven Charakter hergestellt. Er stößt ab, zieht uns magnetisch aber trotzdem immer wieder an. Das Mitgefühl überwiegt gegenüber der Abscheu, obgleich er manipuliert und wie ein schwarzes Loch alle seine Mitmenschen ins Verderben führt.

Die Tilgung aller bösen Gefühle ihm gegenüber eröffnet die wieder ironische Schlussszene. Die Wahl, einen NSYNC Song rückwärts abzuspielen bestärkt all die genannten Punkte- das Festhalten an Altem, was aber die Spirale des persönlichen Unglücks nur weiter nährt.

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Unkonventionell gibt es aber auch keinen kathartischen Moment für Mickey, kein moralischer Abrieb. Das kann störend wirken, fehlt dem Film aber nicht besonders, da die kleinen Momente, die Authentizität und die Suche nach abstrakten gegenüberstehenden Gedankenmustern mehr Freude bereitet als die Suche nach Plot Points.

Fazit: Die Milieustudie „Red Rocket“ hebt durch seine Paradoxen ab. Man läuft durch ein moralisches, inszenatorisches und narratives Spiegelkabinett, dass sich bemüht, immer zwei Perspektiven aufzuweisen. Ein Unsympath schafft es deswegen, uns an der Leinwand zu halten. Micky ist kein Antiheld, vielmehr ein Anti-Antiheld der mit seiner nostalgischen und selbst referentiellen Wehmut unser Bedürfnis nach schönen Erinnerungen aufkommen lässt. Houston, die Rakete hatte einen erfolgreichen Start.

Film Bewertung 7,5/10