Erscheinungsdatum: 06.08.2020 (Deutschland)
Laufzeit: 102 Minuten
Regie & Drehbuch: Jon Stewart
Kamera: Bobby Bukowski
Die Jagd nach der Wählergunst
Das Jahr 2020 ist politisch wohl eines der turbulentesten seit dem Mauerfall. Neben Covid19 und der aktuellen „Black Live Matters“ Bewegung steht natürlich noch an vorderster Front die Präsidentschaftswahlen der USA. Diese wird schon als „Jahrhundertwahl“ angepriesen.
Vermutlich hat man schon mal etwas von Donald Trump oder Joe Biden gehört, aber wer kennt die Hintermänner, sogenannte Spindoktoren, welche die Hauptfunktionäre hinter den amerikanischen Wahlkämpfen sind?
John Stewart scheint sein Interesse daran zu bekunden, nachdem er vor fünf Jahren der satirischen Daily Show abschwor.
Story:
„Irresistible“ handelt von solch einem Spinndoktor, nämlich spezieller dem Demokraten Garry Zimmer (Steve Carell), der nach der Wahl Trumps für seine Partei Wählerstimmen mobilisieren möchte. Durch Zufall entdeckt er ein viral gegangenes Video vom pensionierten Ex Marine Colonel Jack Hastings (Chris Cooper), der eine brennende Rede über die Verteidigung ungemeldeter Immigranten im Rathaus der Kleinstadt „Deerlaken“ in Wisconsin hält.
Gary steigt in den ersten Flieger dorthin, denn seine Idee ist es, Hastings als konservativen Demokraten zum Bürgermeister machen, quasi als repräsentative Figur im Swing State Wisconsin für die eigene Sache. Nach einiger Überzeugungsarbeit schließt sich Hastings dem Plan an und aus
den Locals wird ein provisorisches Wahlkampfkomitee aus dem Boden gestampft. Dabei ist Gary sich nicht zu schade, die Angelegenheit selbst anzuführen, Spendengelder zu sammeln und auch die ein oder andere Leiche des Gegenlagers aus dem Keller auszugraben.
Erschwert wird die Sache durch das Eintreffen der Republikanerin und persönlichen Nemesis Garys, Faith Brewster (Rose Byrne), die den amtierenden republikanischen Bürgermeister Braun (Brent Sexon) im Wahlkampf unterstützt. Zum Schluss wartet jedoch den beiden Gegenpolen eine überraschende Wendung auf.
Film Kritik:
von Georg Reinke
Symbolischer Auftakt
Aufblende, Montage von Fotos diverser Ex-Präsidenten der USA mit dem Kleinbürgertum, Nachrichten über Trumps Wahlsieg, Karikatur eines Wählers wie er von einer Kanonenkugel getroffen wird. Was wie das Bewerbungsvideo eines Editors für Fox News wirkt, sind die ersten zwei Minuten der Politsatire „Irresistible„. Die symbolische Kraft dieses Einstiegs lässt zunächst auf ein durchaus kritisches Werk schließen.
Zunächst. Dass „Irresistible“ seine Spitzen gegen das Wahlkampfsystem der USA vor Allem im ersten Akt mit einer angenehmen Prise Humor ausstattet, gelingt recht gut. Das ist vor Allem Steve Carells Figur Gary geschuldet, der in seiner Dekadenz und absolut weltfremdem Aufzug absurde Komikmomente generiert. Wunderbar zynisch liest er sich während seines Flugs den Wikipedia Eintrag von Wisconsin durch.
Am Anfang funktionieren diese Momente noch ziemlich gut, doch so schnell wie er da ist, verliert der Film seinen kritischen Subton und geht auch selten mit der nötigen Härte und Konsequenz an die Divergenz zwischen Politiker und Wähler ran, wie es beispielsweise „Wag the Dog“ macht.
Comedy vs. Politsatire
„Irresistible“ erreicht selten das perfekte Momentum der wahren Offenlegung einer offensichtlichen Ambivalenz im politischen Klima der USA. Die eine oder andere treffsichere Pointe bietet der Film zwar, aber sie schneidet nie tief genug. Dabei fiel die Aussage Garys über Hastings anfänglich noch positiv ins Gewicht; „He ́s a democrat. He just doesn ́t know it yet.“ Die komischen Elemente verwehren sich leider auch einer effektiven Progression.
Besonders die Auseinandersetzungen zwischen Gary und Faith wirken redundant. Ob Trumps verbaler Duktus womöglich persifliert werden soll bleibt unklar, doch ab einem gewissen Zeitpunkt reihen sich die „Fuck you“s und „Suck me“s mehr oder weniger auf. Dass Steve Carell in seiner Rolle aufgeht, war nicht überraschend. Als Donald Rumsfeld hat er in bester Manier Werbung für sich selbst in der Verkleidung eines ruchlosen Politikers gemacht.
Seine Mimik und Körpersprache schaffen es auch bei „Irresistible“ für Lacher zu sorgen, so etwa seine Reaktion auf mit dem Arm halb in einer Kuh steckenden Diana, der Tochter Hastings. Grundsätzlich kann man dem Film den Humor nicht absprechen. In der Hinsicht verfehlen auch die ganzen Dorfbewohner nicht ihre Auftritte, ganz im Gegenteil beeindruckt die Vielzahl an witzigen Figuren, diese hätten deutlich mehr Aufmerksamkeit verdient.
Wahlwerbespots die die Welt braucht
Interessant wäre auch ein adäquaterer Tiefgang der analytischen Experten gewesen, deren Arbeit maßgeblich an den Wahlkampagnen beteiligt ist. Ebenso werden Komponenten wie Social Media oder ethnische Bewertungen nicht berücksichtigt, obgleich im aktuellen Politikgeschehen höchst relevant. Was man dem Film anrechnen kann ist der gelungene Stellvertreterkrieg zwischen Republikanern und Demokraten, der mit den Waffen der Lügen und Intrigen geführt wird.
Der Wahlkampf entwickelt sich zu einer Scharade von massiver Überkompensation. Hastings mit einem Maschinengewehr „angeln“ sehend fängt die Lächerlichkeit politischer Selbstheroisierung so polemisch ein, dass man sich schnell an den Oberkörper freien Putin durch die südsibirische Republik Tuwa reitend erinnert.
Der unerwartete Twist zum Schluss funktioniert zudem auch gut, die Intensität der letzten 15 Minuten hätte aber deutlich effektiver durch den 2. Akt geführt werden können. Durch diesen bekommt die Figur der Diana zwar eine höhere retrospektive Durchschlagskraft, die ihr in den drei ersten Vierteln des Films aber fehlte.
Dem Zuschauer wird zu wenig zugetraut
Auf einer Gratwanderung umschreibt der Film auch Elemente der Übertreibung, welche jedoch in keinem direkten politischen Kontext stehen und Screentime verbrauchen, welche anderweitig besser aufgehoben gewesen wäre. Dies betrifft besonders die Darstellung der Dörfler, die der Einfachheit halber auf das Mindeste reduziert werden – WIFI lose Menschen, die sich den Unterschied zwischen einem Vergleich und einer Metapher erklären müssen.
Dies führt hin und wieder zu Lachern, treibt aber die Prämisse des Films nicht voran. Verloren geht auch das Potential, welches die Beziehung zwischen Gary und Hastings hervorbringen könnte und beschränkt sich auf den ein oder anderen flachen Witz und den Midpoint, als Hastings vor den Spendern spricht.
Die Metaphorik bleibt hier aber auch wieder zu oberflächlich, besonders da Hastings ursprünglich ja eigentlich nur das Gleitmittel für die Interessen des morbiden Zweiparteiensystems ist. Man wird das Gefühl nicht los, dass der Film sich denkt, er könnte den Zuschauer zu schnell überfordern.
Fazit: „Irresistible“ ist per se kein schlechter Film. Kinematografisch ist er wertgeladen und auch der Ideenreichtum Stewarts hat einen hohen Wert für das dennoch teilweise gelungene Unterhaltungspotential. Nach dem ersten Akt kappt der Film jedoch seine Korrespondenz mit seiner kritischen Stimmlage.
Er distanziert sich von seinem anfänglich anmutenden Tiefgang und erzählt leider kaum Neues; dass Wahlen mit Geld gewonnen werden, Politiker ihren Bezug zur Wählerschaft verloren haben und Wahlversprechen gebrochen werden sind alte Hüte. Dabei braucht es in Anbetracht des aktuellen politischen Klimas in den USA genau jetzt einen Film, der weh tut und sich nicht im Mantel einer seichten Komödie verbirgt.
So wie „The Big Short“ oder „House of Cards“ Salz in die tiefsten Wunden politischen Geschehens streuen und demaskierend sind, bleibt „Irresistible“ seinen Ansprüchen schuldig. Außerdem hätte man den beiden ambivalentesten Figuren, Hastings und seiner Tochter, mehr zutrauen dürfen.
Trotz allem weiß der Film auch zu unterhalten und für Zuschauer, die sich kaum bis gar nicht mit US- Wahlkampagnen und den schmutzigen Geschäften dahinter beschäftigt haben, kann „Irresistible“ den ein oder anderen klärenden Moment bieten. Außerdem ist Carell immer für einen Lacher zu haben. Der Film macht nicht alles falsch, aber eben leider auch in Anbetracht seiner Grundmotivation nicht genug richtig.
Wertung: 5,5/10