Kinostart: 16. Dezember 2021 | Laufzeit: ca. 116 Minuten | Regie: Stefan Jäger | Mit: Maresi Riegner, Julia Jentsch, Hannah Herzsprung, Max Hubacher


Inhalt: Die Aussteiger suchten Anfang des 20. Jahrhunderts das Paradies und fanden es im Süden der Schweiz auf dem berühmten Berg Monte Verità. Hier lebten sie progressiv, zeitgeistig und vegan und legten nicht nur ihre Kleider, sondern auch das geistige Korsett ab, an dem die Gesellschaft zu ersticken drohte. Der Film stellt die immer noch aktuelle Frage, wieviel Selbstbestimmung eine Frau in ihrem Leben setzen darf, ohne dabei von der Gesellschaft kritisiert zu werden.

Wenn man sich bei Kinomeister als Autor etablieren will, sollte man jede sich bietende Gelegenheit für Filmrezensionen nutzen. Doch als mir „Monte Verità“ angeboten wurde, habe ich nicht sofort „Hurra!“ geschrien. Schließlich war bei dem Film über das gleichnamige Siedlungsprojekt in der Südschweiz klar: Es gibt Auftritte von Hermann Hesse, es wird bedeutungsschwanger, vermeintlich anspruchsvoll und historisch.

Ich will es mal vorsichtig formulieren: Trotz (oder grade wegen?) des absolvierten Germanistik-Studiums sind deutschsprachige Produktionen aus diesem Jahrtausend, die sich auf historische oder literarische beziehungsweise literaturnahe Themen konzentrieren, nicht unbedingt mein Steckenpferd.

Woher diese Abneigung kommt, lässt sich schwer beschreiben. Ein Grund ist die omnipräsente Botschaft, dass es damals „ganz harte Zeiten“ waren. So, als sei es den deutschen Kinogängern ein Bedürfnis, immer wieder versichert zu bekommen, dass es hier auch nicht immer so muckelig gewesen ist, wie heute. Egal ob Kaiserreich, Drittes Reich oder Nachkriegszeit: Kaum ein Film, in dem nicht irgendein Studienrat pflichtbewusst mit dem Rohrstock auf ein Kind eindrischt.

Dass dies vorkam, soll hier natürlich nicht bestritten werden. Aber braucht es dieses Narrativ wirklich immer wieder im Daueraufguss? Harte Zeiten erlebt jedenfalls auch Hanna Leitner (Maresi Riegner), die Protagonistin in „Monte Verità“. Um die Jahrhundertwende ist sie mit dem Wiener Industriellen Anton (Philipp Hauß) verheiratet und bekommt vom Gatten das Leben ordentlich zur Hölle gemacht.

„Monte Verita“ © DCM

Ein Ekelpaket wie es im Buche steht

Anton ist grob, bevormundend und herablassend – ein Ekelpaket wie es im Buche steht. Hannas Lungenkrankheit quittiert er mit einem kalten „reiß dich zusammen“. Auch schenkt er seiner Frau als Person keine besondere Beachtung, sondern sieht sie eher als Gebärmaschine, mit deren Hilfe er endlich einen Stammeshalter zeugen will. Bislang hatte es „nur“ zu zwei Töchtern gereicht.

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Da das nicht klappt, läuft Anton stets griesgrämig herum und straft Hanna mit Verachtung. Sein dicker Schnauzer prangt bedrohlich in seinem Gesicht und scheint die Mundwinkel wie ein tonnenschwerer Balken nach unten zu pressen. Hannas Genitalneurose lässt er mit dem Blut-Zirkulator behandeln, da es sie lediglich als Ausrede versteht, um sich vor der Kopulation zu drücken.

Diese wiederum wird in einem gruselig-mechanischen Akt dargestellt. Man weiß gar nicht, welche Szene verstörender ist. Die Anti-These zu Anton bildet Hannas Arzt Otto Gross, der die gequälte Protagonistin an den fast mystischen Monte Verità lockt.

„Monte Verita“ © DCM

Bildsprache mit der Holzhammer- Methode

Hier hat er mit einigen anderen einen utopischen Mikrokosmos aufgebaut, in dem sich jede und jeder nach den eigenen Möglichkeiten einbringt und dafür Wertschätzung erfährt. Hier kann Hanna sich erholen, ihr bisheriges Leben reflektieren und endlich zu sich selbst finden. Schon optisch ist Gross das komplette Gegenteil von Anton.

Sein blongelocktes Haar darf fallen, wie es nunmal fällt. Freizügig und halbnackt läuft er durch die Siedlung, der Fünf-Tage-Bart verleiht ihm etwas spitzbübisches. Wer die Bildsprache dann immer noch nicht verstanden hat, für den lässt Regisseur Stefan Jäger das Gemach des Arztes vom Sonnenlicht durchfluten, wie eine Kammer aus purem Gold. Durchaus eindrucksvoll, doch der permanente Holzhammer, der dem Zuschauer einhämmert, wer und was hier wie rezipiert werden muss, belastet über die vollen zwei Stunden dann doch.

Visuell kann der Film durchaus punkten, das lässt sich nicht bestreiten. Im Gegensatz zu den farbenfrohen und intensiven Naturaufnahmen steht das Industriellen-Haus in Wien, das streng und verstaubt wie ein Museum wirkt. Hauptdarstellerin Riegner zeigt sich ausdrucksstark und vielseitig.

„Monte Verita“ © DCM

Gib dem Berg etwas Zeit

Scheinen ihr zu Beginn des Films die eng anliegenden Kleider regelrecht die Luft abzuschnüren, wird sie mit zunehmender Spieldauer immer freizügiger und natürlich auch gesunder. Riegner ist die perfekte Projektionsfläche für die zentrale Botschaft des Films: Einer Suche nach Freiheit und der Wahrnehmung eigener Empfindungen und Bedürfnisse. Wenn sich die ums Lagerfeuer tanzenden Kommunenbewohner in Hannas großen, dunklen Augen spiegeln, während sie sehnsüchtig hinter einer Fensterscheibe zuschaut, dann schreit einen die Symbolsprache geradezu an.

Nun ist die erwähnte Botschaft des Films nicht allzu komplex und es stellt sich immer wieder die Frage: Wieso wird sie derart flach immer wieder neu aufbereitet? „Gib dem Berg etwas Zeit“, sagt Ida Hofmann (Julia Jentsch) zu Hanna. Tun wir ja – doch es wird nicht besser. Stattdessen wirken Riegner und Jentsch wie zwei Volkstheater-Mimen, wenn sie einander bedeutungsschwangere Worthülsen zuwerfen und dabei vermeiden, die Fragen der jeweils anderen zu beantworten. Soll das vielleicht irgendwie nach Fontane schmecken? Wenn ja, wurde das Gericht leider überwürzt.

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Den Schauspielern kann man allerdings kaum einen Vorwurf machen. Das Problem scheint eher im Drehbuch und in der Regie zu liegen. Selbst als Anton seine Ehefrau brutal beschlafen will und dabei „Es ist mein Recht!“ brüllt, kann man die Szene nicht so recht ernst nehmen. Und wieso bitte lässt man extra Hermann Hesse (Joel Basman) auftreten, nur um ihn spleenig ein Gedicht rezitieren zu lassen, wobei ihm der charismatischere Otto Gross noch helfen muss, damit es lustig wird?

© DCM

Fazit: „Monte Verità“ ist ein visuell ambitioniertes Stück, das an Bedeutungsarmut, holzschnittartigen Dialogen und einem allzu banalen Drehbuch leidet. Den allzu schwarz-weißen männlichen stehen stärkere weibliche Figuren gegenüber.

Doch die emanzipatorische Botschaft des Films geht unter in dem Ärger über die allgegenwärtige Banalität und das seltsam unauthentische Sprachkonstrukt. Der große Pluspunkt sind einige wunderschöne Kameraeinstellungen.

Um die Rezension wohlwollend zu beschließen sei auf die schönste Szene hingewiesen, in der Hanna und Lotte Hattemer (Hannah Herzsprung) sich in wallenden, bunten Gewändern im Bach treiben lassen. Eine Metapher für das Abstreifen des engen Korsetts der gesellschaftlichen Konventionen. Film Bewertung 3 / 10