Inhalt: Nach einer Reihe von sexuellen Übergriffen durch die Männer einer abgelegenen Mennoniten Kolonie versammeln sich acht Frauen in einer Scheune, um über ihr weiteres Vorgehen zu beraten. Verzeihen sie den Männern den jahrelangen Missbrauch und die Vertuschung – oder verlassen sie ihre Gemeinschaft für immer?
Film Kritik:
Mehr als ein Jahrzehnt nach ihrem letzten Spielfilm meldet sich die Schauspielerin und Filmemacherin Sarah Polley mit einem Drama zurück, das zugleich klaustrophobisch, aufwühlend und tiefgründig ist.
Mit nur wenigen Filmen – darunter der zärtlich-schmerzhafte Take This Waltz (2011) und ihr halb-autobiografischer Sachbuch-Triumph Stories We Tell (2012) – hat sich Polley als scharfsinnige, beobachtende Regisseurin etabliert, die in der Lage ist, tiefe Emotionen in einfachen Prämissen zu vermitteln.
Die Fabelmans ist ein bittersüßes Meisterwerk an Lebensfreude
Die Aussprache ist eine konsequente Weiterentwicklung ihrer Sensibilität. Den Großteil der fast zweistündigen Laufzeit des Films verbringt Polley auf den Dachstuhl einer Scheune und führt ein beeindruckendes Ensemble von Darstellern durch ein spannendes, unerbittlich intensives Aufeinandertreffen von Glaube und Zorn.
Nach dem Bestseller-Roman von Miriam Toews – der wiederum von einem realen Fall Mitte bis Ende der 2000er Jahre inspiriert wurde, wonach mennonitische Frauen in ihrer Gemeinde systematisch unter Drogen gesetzt und vergewaltigt wurden – gibt es kein Wort des Dialogs, das nicht mit einer gewissen Portion Absicht versehen ist.
Polley zeigt ausschließlich die Folgen der Vergewaltigungen
Der Film ist vor allem eine faszinierende Auseinandersetzung mit der Sprache, in der sich die Frauen zum ersten Mal gegenseitig eigenständige Ansichten darlegen. In manchen Momenten kann man fast sehen, wie sich die Figuren vor dem Sprechen ihre Worte zurechtlegen. In anderen Momenten wiederum sprudeln die Worte unaufhaltsam aus ihnen heraus. Die Erlebnisse der einzelnen Frauen innerhalb der Gruppe fügen sich zu einem erschreckenden Spektrum von Traumata zusammen.
Die ledige Ona (Rooney Mara) ist von einem ihrer Angreifer bereits schwanger. Jessie Buckleys Mariche erfährt Gewalt durch ihren Ehemann, während Claire Foys Salome in einer der ersten Szenen einen Eisenhaken gegen die beschuldigten Männer auspackt, nachdem sie bemerkt hat, dass sich deren Übergriffe auch auf ihre vierjährige Tochter ausgewirkt haben. Polley zeigt ausschließlich die Folgen der Vergewaltigungen und beweist damit, dass die Schwere des Traumas auch ohne die Darstellung der Gewalt selbst sichtbar und spürbar ist.
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Untermalt von einer kräftigen und doch aufrüttelnden Geräuschkulisse werden Szenen gezeigt, in denen das Blut in starkem Kontrast zur ansonsten gedämpften Farbpalette des Films steht, Luftaufnahmen von Gliedmaßen, die sich in seltsamen Positionen auf den Betten winden, und das Entsetzen, dass sich bald auf den Gesichtern und in ihren Körpern breit macht.
Bevor einer der Männer bei der Flucht aus einem ihrer Häuser erwischt wird, hat man die Frauen glauben gemacht, dass ihre Angriffe das Werk teuflischer Erscheinungen oder ein Produkt ihrer Einbildung sind. Der Film setzt unmittelbar nach der Offenbarung des gemeinsamen Schicksals ein.
Das Gesamterlebnis, das dadurch entsteht, ist fast schon zu erdrückend
Während die Männer abseits des Geschehens festgehalten werden, stimmen die Frauen ab: Vergebung, Verlassen der Gemeinschaft oder Bleiben und Kämpfen; die Möglichkeiten, die sich daraus ergeben, werden schließlich vom Film in allen Einzelheiten ausgelotet.
Und das macht er auch. Jede Wortmeldung der Figuren ist eine Aussage, eine Frage oder ein Instrument, um das Gespräch in eine bestimmte Richtung zu lenken. Selbst humorvolle Momente wirken wie eine Waffe, die das Finstere und Schwermütige pointiert unterstreicht und zeigt, dass die Frauen sich nicht geschlagen geben.
She Said braucht keinen Schnickschnack, um diese beispiellose Geschichte zu erzählen
Das Gesamterlebnis, das dadurch entsteht, ist fast schon zu erdrückend. Dass es nie völlig erstickt, verdankt der Film Polleys unübersehbarer Absicht, nichts auszulassen. Aber vor allem ist es ein Verdienst der außergewöhnlichen Besetzung – einer Mischung aus Talenten, die alle zusammen nicht einen einzigen unpassenden Ton von sich geben.
Auch Buckley, die sich mit ihrer ungestümen Leinwandpräsenz einen Namen gemacht hat, bringt diese knisternde Energie auf die Leinwand, allerdings als gebrochene Frau, die sich durch die Prügel nicht mehr selbständig fühlt. Foy verleiht ihrer Figur eine unbändige Wut, die von Rooneys Ona mit ihrer gespenstischen Gelassenheit konterkariert wird.
Ein außergewöhnliches Ensemble von Darstellerinnen
Die Frauen streiten sich und geraten durch ihre neu gewonnenen Rollen aneinander – gelegentlich verstummen sie auch, wenn die älteren Frauen sie auffordern, sich zu „beruhigen“. Dies ist vielleicht symbolisch in Bezug auf die Grenzen, die diesen Frauen immer noch gesetzt sind, bremst jedoch die erheiternden Momente etwas aus.
Dennoch bleibt der Film ein Musterbeispiel für Polleys Talent, diesen fein abgestimmten Balanceakt einzufangen und größtenteils auch durchzuhalten, und leitet eine neue und vielversprechende Ära ihrer Filmkarriere ein.
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Der Film ist eine der seltenen Raritäten, die diesen grausamen, generationenübergreifenden Akten patriarchaler Gewalt Hoffnung abgewinnt. Zeitweise wird der Film einen durchschütteln, wie es alle wichtigen Filme auch sollten.
Fazit: Ein außergewöhnliches Ensemble von Darstellerinnen hat sich für dieses brisante, zeitgemäße Kammerstück versammelt, das die Rückkehr der ehrgeizigen und intuitiven Filmemacherin Sarah Polley feiert.
Film Bewertung 7 / 10
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