Warnung – Dieser Beitrag enthält Spoiler für alle Episoden von „Der Herr der Ringe: Die Ringe der Macht“ Staffel 2.
Wie auch die junge Gemeinschaft zu Beginn von Der Herr der Ringe, benötigte die erste Staffel von Die Ringe der Macht Zeit, um Fahrt aufzunehmen. Amazons großes, milliardenschweres High-Fantasy-Projekt, das die Randnotizen von J.R.R. Tolkiens Welt den Bildschirm bringt, zeigte in der ersten Staffel viel Liebe zum Detail, außergewöhnliches Design und nicht immer beeindruckende Darbietungen und einige Plot Entscheidungen, die für viele Fans nicht nachvollziehbar sind.
Das erschaffen erzählerischer Grundlagen
Als Beispiel sei die Geschichte um den Fremden und die Halblinge genannt, die in vielen ihrer Momente keinen Mehrwert für die Serie bietet. So blieb die Handlung oft in vorbereitenden Momenten stecken, um eine solide Grundlage für das Zweite Zeitalter von Mittelerde zu schaffen – eine Zeit, lange bevor es Hobbits überhaupt gab, geschweige denn irgendwelche Beutlins.
Die erste Staffel von „Ringe der Macht“ bewegte sich zwischen großartigen Momenten – dem Angriff der Númenóreaner auf die Orks, jedem gerollten „r“ von Morfydd Clarks ungestümer, leidenschaftlicher junger (naja, elfenjunger) Galadriel, der großen Halbrand-Sauron-Offenbarung – und etwas schwerfälligeren, weniger elegant inszenierten Weichenstellungen für zukünftige Ereignisse.
Doch mit dem Start der zweiten Staffel wirkt es, als hätten die Serienmacher J.D. Payne und Patrick McKay nun ihren „Rat des Elrond“-Moment gefunden, bei dem sich die großen Teile zu einem schaubaren Ganzen fügen, und die Serie endlich ihre eigene Richtung innerhalb Mittelerdes etabliert.
Während sie stilistisch nach wie vor stark an Peter Jacksons ikonische Herr der Ringe-Filme erinnert – vom Design der Elben und Zwerge über die majestätischen Klänge der Blasinstrumente und Streicher von Bear McCrearys Soundtrack bis hin zu einigen sehr vertraut klingenden Dialogzeilen – geht Die Ringe der Macht nun mutig eigene Wege.
Kreativer Balanceakt zwischen Tolkien – Fans, Fantasy – Liebhabern und akribischen Buchkennern
Hat das die Tolkien-Fundamentalisten auf die Palme gebracht? Selbstverständlich. Hat es möglicherweise eine eher zufällige Fantasy-Fangemeinde abgeschreckt? Höchstwahrscheinlich ja. Hat es uns jedoch auch einige der faszinierendsten Fernsehstunden beschert, die wir dieses Jahr sehen durften? Auf alle Fälle.
Aber genau das ist auch mein Ansatz als großer Liebhaber der filmischen Umsetzung und Kenner der literarischen Vorlagen: Angefangen mit Tolkiens Vorzeige-Werk DER HERR DER RINGE gefolgt von der Umsetzung als Animationsfilm (1978), den wir in der Schule kennenlernten. Wir haben die Geschichte bis ins kleinste Detail erörtert, vorwärts wie rückwärts diskutiert und seitwärts interpretiert. Die Erwartungshaltung war daher auf eine stringente Abfolge der bekannten Geschichten gerichtet – und genau hier fand ein Umdenken statt: so muss Kunst nicht funktionieren, so muss Film als künstlerisch-visuelle Erzählform nicht funktionieren.
Bei dieser Umsetzung geht es nicht darum, „Fans“ zu befriedigen oder Buchanalysten zu besänftigen. Nein, es geht in erster Linie darum, die Geschichte einer neuen Generation – und allen Interessierten – mit erzählerischen, und der Filmkunst entsprechenden kreativen Perspektive zu servieren, ohne dass diese ein einziges Wort aus „Der Herr der Ringe“ oder „Der Hobbit“ gelesen oder Ralph Bakshis Film gesehen hat.
Die Serie behandelt Geschichten aus der Sammlung unvollendeter Werke J. R. R. Tolkiens bekannt als DAS SILMARILLION und fügt die Abhandlungen der Vorkommnisse des zweiten und dritten Zeitalters, mit einer großen Portion erzählerischer Freiheit, zusammen. Wenn man sich diesen Ansatz zu Herzen nimmt und seine Fantasy-Scheuklappen und die Fan Brille ablegt, bekommt man mit Die Ringe der Macht die bestmögliche Unterhaltung.
Deshalb möchte ich hier nur eine Handvoll der Dinge aufzählen, die „Die Ringe der Macht“ in dieser Staffel zu einem echten Hingucker gemacht haben – und das gilt für alle Liebhaber guter Fantasy Erzählung.
Celebrimbor und Sauron: Eine Tragödie
Ein herausragender Handlungsstrang der zweiten Staffel ist die sich langsam aufbauende Verführung des Elfenschmieds Celebrimbor durch Sauron. Sauron erscheint hier in der Gestalt des charmanten Annatar, meisterhaft dargestellt von Charlie Vickers. Charles Edwards als Celebrimbor bringt eine außergewöhnliche Tiefe in die Rolle, die den tragischen Aufstieg des Elfenschmieds erlebbar macht.
Die 10 besten Horror-Filme – Halloween-Special
Während einer Q&A-Session zum Finale der zweiten Staffel erwähnte Co-Showrunner Patrick McKay, dass Celebrimbor in Tolkiens Werken nur mit vier Sätzen beschrieben wird. „Wir wissen, dass er ein Elb in Eregion ist, wir wissen, mit wem er verwandt ist, wir wissen, dass er an der Herstellung der Ringe der Macht beteiligt ist, und wir wissen, dass er stirbt“, sagte McKay mit einem Augenzwinkern – und er hat nicht unrecht.
Aber nachdem sie in Staffel 1 Celebrimbors Selbstwertgefühl und Ehrgeiz als großer Elben-Lord etabliert hatten und die Art und Weise, wie Sauron bzw. Halbrand – in der Lage ist, an das Handwerker-Ego zu appellieren und es zu manipulieren, um die Ringe der Macht herzustellen, war es für Payne und McKay erst möglich, aus dem Minimum noch eine große Tragödie zu schmieden.
Charles Edwards und Charlie Vickers: Die Topfiguren der Staffel
Unvergessen ist der immer bösartigere Gaslighting-Kreuzzug des charmanten Annatar. Oder den brutalen Moment, in dem Celebrimbor zum ersten Mal das Verhaltensmuster einer Maus in seiner als goldener Käfig getarnten Schmiede beobachtet? Wie wäre es mit der knisternden Energie zwischen Edwards und Vickers – mit Sicherheit die Topfiguren dieser Staffel – als Saurons wahres Ich enthüllt wird und der Machtkampf seinen Lauf nimmt?
Oder das dramatisch überzeugende Ergebnis von Celebrimbors Widerstand gegen seinen Entführer, als er ihn höhnisch „Herr der Ringe“ nennt? Es ist nicht die Geschichte von Celebrimbor und Sauron, wie sie Tolkien geschrieben hat, und auch nichts, was in Jacksons Filmen eine direkte Fortsetzung hat.
Doch als Erweiterung des ewigen Kampfes zwischen den Kräften der Dunkelheit und des Lichts, die Tolkiens Texte prägen – und als kluge Erinnerung an die Abgründe von Saurons dunkler Seele und den Edelmut Celebrimbors – passt sie perfekt und erfüllt die Bedürfnisse dieser Geschichte mehr als alle anderen.
Ein Zauberer kommt nie zu spät, noch ist er zu früh… Gandalfs Rückkehr
Während das Rätsel um Saurons Identität bereits in Staffel 1 gelöst wurde, blieb die Identität eines anderen bedeutenden Maia-Charakters lange im Dunkeln verborgen: des Fremden, gespielt von Daniel Weyman.
Und obwohl wir zu Beginn der neuen Staffel eine relativ genaue Vorstellung davon bekamen, wer Daniel Weymans Fremder sein könnte (die Vorliebe für Halblinge, das graue Outfit, der Spruch „Folge immer deiner Nase“ waren nicht gerade subtil), machte das die Offenlegung des „Großelfen“ – (Grandelf) Gandalf nicht weniger high-five-würdig.
Natürlich gibt es nun Tolkien-begeisterte Menschen, die darauf pochen, dass Gandalf vor dem Dritten Zeitalter nie in Mittelerde aufgetaucht ist, weil es nicht in Tolkiens Büchern steht. Außerdem sehen sie seine Aussage „In den Osten gehe ich nicht“ als Beweis dafür an, dass er nie einen Fuß nach Rhûn gesetzt hat (obwohl sich das eher auf Mordor) – wenn diese Interpretation des Charakters und der Zeitlinie für Sie nicht funktioniert, dann ist das nur fair.
Trailer zu DRAGONKEEPER: Das Mädchen und Drache – Kinostart im Oktober 2024
Die Anwesenheit Gandalfs in „Die Ringe der Macht“ und das sich langsam lüftende Mysterium seiner Identität haben der Serie etwas Warmherziges und Magisches verliehen, was notwendig erscheint, um das Gleichgewicht zwischen Dunkelheit und Hoffnung zu bewahren, während es anderorts düsterer zugeht. Zu sehen, wie der Zauberer eine Bindung zu den „Halblingen“ aufbaut, die später zweifellos das Auenland entdecken werden, schafft ein Bindeglied zu den anderen Geschichten von Mittelerde.
Gleichzeitig wird Tolkiens ausgeprägter Heimat-Sinn in den Vordergrund geschoben, ohne dass die aktuellen Geschehnisse mit den darauf folgenden in Verbindung gebracht werden müssen.
Tom Bombadil: Ein Mentor für Gandalf
Tom Bombadil, dargestellt von Rory Kinnear, feierte ebenfalls sein lang erwartetes Debüt in Staffel 2. Die Figur, die in den Büchern oft als skurril beschrieben wird, wurde hier als Mentor für Gandalf neu interpretiert. Anstelle eines bloßen Fan-Service tritt Bombadil als tiefgehende Figur auf, die den Fremden auf seinem Weg zum wahren Diener des geheimen Feuers begleitet.
Rufus Wainwrights „Old Tom Bombadil“-Song (siehe Video unten) war ein weiterer Höhepunkt der Staffel und schuf sofortige Gänsehaut. Früher hätten Fans die Augen verdreht bei der Vorstellung, Bombadil in einer Herr der Ringe-Adaption zu sehen, doch hier wurde er zu einer willkommenen und liebenswerten Ergänzung.
Darüber hinaus unterstreicht die Erkundung Gandalfs Beziehung zu Rory Kinnears Tom Bombadil, dem unbekannten Ältesten, der ihm hilft, den Weg zum Diener des geheimen Feuers einzuschlagen und Freundschaft über Macht zu stellen, das mythologische Gewicht der Ringe. Und die Auflösung des ganzen Spektakels?
Mit dem „Danke, Großelf“, dem Stab und dann dem Singalong am offenen Kamin mit dem Alten Tom selbst? Freunde des gepflegten Pfeifen-Konsums, was will man denn mehr: das ist doch feiner als die feinsten Auenland-Kräuter.
Epische Schlachten: Die Belagerung von Eregion
Ein häufiger Kritikpunkt an der ersten Staffel war das Fehlen der großen Schlachten, die Jacksons Filme auszeichneten. Die zweite Staffel nahm sich dieser Kritik an und brachte mit der Belagerung von Eregion eine epische, mehrteilige Schlacht, die den Höhepunkt der Staffel bildete. Der brutale Konflikt zwischen Gil-Galads und Elronds Armeen auf der einen Seite und den Ork-Legionen auf der anderen Seite gehört zu den eindrucksvollsten Kampfszenen der Serie.
In glorreicher, grimmiger Manier sahen wir Benjamin Walkers Gil-galad, wie er mit seinem treuen Speer Aeglos zum Kriegerkönig wurde; wir sahen Robert Aramayo, wie er sich seinen Weg durch die Ork-Massen bahnte; und wir sahen – und hörten – den kolossalen Troll Damrod, der das Schlachtfeld verwüstete und damit sein Mittelerde-Debüt gab.
Von der ersten Sichtung der Orks bis hin zur Ankunft der Zwerge war die gesamte Sequenz ein meisterhaft inszeniertes Set-Piece, das den epischen Geist Mittelerdes einfängt. Besonders beeindruckend war die Selbstaufopferung von König Durin III. im Kampf gegen den Balrog, eine Szene, die ein wahres visuelles Spektakel bot.
Sieht man einmal von dem störenden Kuss zwischen Elrond und seiner zukünftigen Schwiegermutter Galadriel ab (so gerechtfertigt er im Zusammenhang mit der ganzen Ablenkung durch den Nadelschmuggel auch sein mag), war es alles, was sich ein Fan von Tolkiens Werken – oder von High Fantasy im Allgemeinen – nur wünschen konnte.
Ein wahrhaft kinoreifes Spektakel, aber auch ein entscheidender Moment in der „Ringe der Macht“-Geschichte: Aus dieser blutigen Schlacht geht die Entdeckung von Bruchtal hervor.
Wahre Größe liegt in der Aufopferung für das Gute
Als ob das alles nicht schon genug wäre, um uns davon zu überzeugen, dass Payne und McKay uns in dieser Staffel das saftige Stück Fleisch sozusagen roh serviert haben. Die zweite Staffel brachte zusätzlich emotionale Abschlüsse für zwei bedeutende Handlungsstränge: den Kampf von König Durin III. mit der Abhängigkeit von seinem Ring der Macht und die Versuche des Dunkel-Elfen Adar, seine Uruk-Kinder zu beschützen.
Durins Kampf gegen den Balrog zeigte das wahre Herz der Serie und verdeutlichte, dass wahre Größe oft in der Aufopferung für das Gute liegt. Allein schon als visuelles Spektakel – leuchtend orangefarbene Flammen, die von Schatten verschlungen werden, der Zwergenkönig, der sich als Silhouette gegen das Mittelerde-Pendant zu Satan abhebt – ist es ein atemberaubend gefilmtes Szenario.
Aber der Abschluss des Handlungsbogens von Durin III, der sich manchmal wie eine kraftvolle Reflexion über den verdorbenen Effekt der Ringe anfühlte, ist sogar noch ergreifender und erinnert uns daran, dass es – wie ein weiser Hobbit einmal sagte (oder einmal sagen wird) – „etwas Gutes in dieser Welt gibt, für das es sich zu kämpfen lohnt“.
Die Serie präsentierte die Orks nicht nur als Monster
Als ob der Tod von König Durin III. und die damit verbundenen Auswirkungen auf künftige Ring-Machtkämpfe nicht schon genug wären, müssen wir nun auch noch den Verlust von Adar verschmerzen, einem der besten Originalcharaktere der Serie,
Auch wenn einige eingefleischte Tolkien-Gläubige an der Darstellung der Orks als willenlose Werkzeuge der Kriegsmaschinerie und als Kreaturen mit eigenen Hoffnungen und Ansprüchen Anstoß nahmen, hat die Bereitschaft der beiden Serien-Macher, unter der Oberfläche des Ausgangsmaterials zu kratzen – und sich von den düsteren Monstergestalten der Jackson-Filme zu entfernen -, eine neue, facettenreichere Perspektive eröffnet, durch die wir Tolkiens Schöpfungen jetzt betrachten können.
Der Augenblick, in dem Glûg (Robert Strange) und seine Uruk-Kollegen auf Anweisung Saurons ihre Klingen in Adar stießen, war fast so schmerzhaft wie für unseren Lieblings-Ork-Daddy. Fast!
Die Ringe der Macht Staffel 2 – Fantastische Unterhaltung auf höchstem Niveau
Selbst mit allem was oben erwähnt wurde, gibt es noch so viele weitere bemerkenswerte Momente aus Der Herr der Ringe: Die Ringe der Macht Staffel 2, die hier noch nicht einmal angerissen wurden. Die sich zunehmend abzeichnenden Konsequenzen für die Männer – und Frauen – von Númenor!
Die anhaltende Aufarbeitung von Isildurs Vermächtnis, während wir an den Helden erinnert werden, der er einst war! Elendil, der die legendäre Klinge Narsil hält! Ciarán Hinds‘ Dunkler Zauberer und sein seltsam glatter Bart! Wie wäre es, wenn die Weichen dafür gestellt wurden, dass Theo sein Volk aus der Unterdrückung durch die Númenorer befreit und nach Rohan führt (man denke nur an all die Theo-Namen in den Ringbüchern.) Das würde zwar der Serien Konzeption, aber nicht der Rohan Geschichte um ihren ersten König EORL entsprechen!)
Wurde der Anblick von Bruchtal schon erwähnt? Denn es sieht so fantastisch aus, wie Tolkien es selbst illustriert hat, mit Elfen und allem Drum und Dran! Wie dem auch sei, ihr merkt es bereits: Dies war eine Staffel mit erfreulichen Erkenntnissen, sich verdichtenden Handlungssträngen und unverschämt normalitätsfeindlicher High Fantasy auf höchstem Niveau.
Fazit: Die Ringe der Macht Staffel 2 hat viele der Kritikpunkte der ersten Staffel überwunden und bietet eine epische Fantasy-Erfahrung mit packenden Kämpfen, tiefgehenden Charakterentwicklungen und aufregenden Enthüllungen. Die Serie wagt es, neue Pfade innerhalb Tolkiens Überlieferungen zu betreten, bleibt dabei aber stets dem Geist des Originals treu. Mit der Ankündigung, dass man sich bereits an der Arbeit für Staffel 3 befindet, bleibt mir nur zu sagen: Namárië, liebe Tolkien-Fans. Bis zum nächsten Abenteuer in Mittelerde!