DAS FLÜSTERN DER WÄLDER

Geduld ist die wichtigste Eigenschaft, die Michel Munier auf seinen Streifzügen tief in die alten, moosbedeckten Wälder der Vogesen mitbringen muss. Mit Rucksack, Stock und warmer Jacke ausgerüstet zieht es ihn Nacht für Nacht hinein in die Stille des Waldes, an einen Ort, der für Außenstehende unscheinbar wirkt und für ihn zum Zentrum eines ganzen Lebens geworden ist: eine Tanne, die ihm als Versteck dient. Unter ihren ausladenden Ästen scheint der alte Mann mit der Natur zu verschmelzen. Mehr als achthundert Nächte hat er dort verbracht, lauschend, wartend, beobachtend – stets in der Hoffnung, einen flüchtigen Blick auf Füchse, Rehe, Hirsche, Luchse oder den geheimnisvollen König der Wälder zu erhaschen: den Auerhahn.

Zwischen Beobachtung und innerer Einkehr

Diese radikale Form der Entschleunigung prägt DAS FLÜSTERN DER WÄLDER von der ersten Einstellung an. Der Film verweigert sich der Hast, dem Spektakel und dem schnellen Bild. Stattdessen folgt er dem Rhythmus der Natur und dem Atem eines Mannes, der gelernt hat, sich dem Wald unterzuordnen, statt ihn zu beherrschen. Michel Munier ist kein Eroberer der Wildnis, sondern ihr geduldiger Gast, einer, der akzeptiert, dass Begegnungen nicht erzwungen werden können.

Sein Sohn Vincent teilt diese Faszination seit seinem zwölften Lebensjahr. Von seinem Vater hat er gelernt, Spuren zu lesen, Bewegungen zu deuten und jene Orte zu erkennen, an denen Tiere fressen, jagen, ruhen oder ihre Nester bauen. Dieses Wissen ist kein Lehrbuchwissen, sondern ein über Jahre gewachsenes, beinahe intuitives Verständnis für Zusammenhänge, das sich nur durch Zeit und Hingabe erschließt. Gemeinsam mit Vincents Sohn Simon wird daraus eine stille Reise durch drei Generationen, verbunden durch denselben Blick auf die Welt und denselben Respekt vor dem Leben, das sie umgibt.

© Pandora Film Verleih

Ein filmischer Brückenschlag zwischen Mensch und Natur

Nach der mit dem César ausgezeichneten Naturdokumentation DER SCHNEELEOPARD gelingt es Vincent Munier mit DAS FLÜSTERN DER WÄLDER erneut, weit über reine Tierbeobachtung hinauszugehen. Der Film ist keine klassische Naturdoku, sondern ein poetischer Erfahrungsraum. Munier fängt nicht nur die visuelle Pracht der Vogesen ein, sondern auch ihre Geräusche, ihr Atmen, ihr kaum hörbares Leben zwischen Tag und Nacht. Knackende Äste, Wind in den Baumkronen, das entfernte Rufen eines Vogels werden zu erzählerischen Elementen, die den Wald selbst zur Stimme des Films machen.

Dabei entsteht ein vielschichtiger Brückenschlag: zwischen Vater, Sohn und Enkel, zwischen Menschen und Tieren, zwischen Fotografie und Film, zwischen Beobachtung und innerer Reflexion. DAS FLÜSTERN DER WÄLDER erzählt vom Verschwinden der Grenzen – von einem Zustand, in dem der Mensch Teil eines größeren Ganzen wird und lernt, wieder zuzuhören.

Vincent Muniers Film ist eine stille, zutiefst berührende Ode an Flora und Fauna, aber auch an das Weitergeben von Wissen, an das Verweilen und an die Fähigkeit, im Unspektakulären das Wesentliche zu erkennen. Ein Werk, das nicht laut sein muss, um lange nachzuhallen.