Inhalt: Die selbstbewusste Anora, eine junge Stripperin aus Brooklyn, erhält die Chance auf einen Ausstieg, als sie Ivan, den Sohn eines Oligarchen, kennenlernt und ihn kurze Zeit später spontan in Las Vegas heiratet. Als die Nachricht Russland erreicht, ist ihr Traum von einer besseren Zukunft jedoch in Gefahr: Ivans Eltern reisen nach New York, um die Ehe zu annullieren.
Zwischen Glamour und Realität
Anora, der neueste Film von Sean Baker, beweist einmal mehr das Talent des Regisseurs, außergewöhnliche Geschichten aus Perspektiven zu erzählen, die oft im Schatten der Gesellschaft stehen. Nach Meisterwerken wie The Florida Project, Red Rocket und Tangerine, in denen er die Welt farbenfroh und gleichzeitig erschütternd ehrlich darstellt, taucht Baker diesmal in die vielschichtige Lebenswelt der jungen Stripperin Ani (brillant gespielt von Mikey Madison) ein.
Die mit der Goldenen Palme ausgezeichnete Geschichte entfaltet sich mit einer starken Eröffnungssequenz, in der Ani zu Take That’s Song „Greatest Day“ (zu einem Club-Beat neu abgemischt) tanzt – ein ungewöhnliches, aber mächtiges Symbol für Hoffnung und Stärke: „Watch the world come alive tonight… Stay close to me.“
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Am Ende der Refrain Zeile wirbelt Mikey Madisons Ani (kurz für Anora) herum, lächelt gelassen, lässt ihr langes, dunkles Haar fallen und konzentriert sich auf die bevorstehende Aufgabe. Die Handlung setzt im New Yorker Nachtleben ein, wo Ani den exzentrischen Ivan (Mark Eydelshteyn) kennenlernt – einen jungen Mann aus reichem Hause, der sich von den Erwartungen seines russischen Vaters befreien will.
Die beiden entwickeln eine stürmische, drogengeschwängerte Beziehung, die sogar in einer chaotischen Hochzeit in Las Vegas gipfelt. Doch kaum ist Ani verheiratet, beginnt die wahre Herausforderung, denn Ivans Familie will diese Verbindung schnellstmöglich annullieren. Was als Romanze begann, wird zu einem Überlebenskampf, bei dem Ani versucht, sowohl ihre Würde als auch ihre Unabhängigkeit zu bewahren.
Einblicke in das Leben am Rand des Ruhms
In gewohnt meisterhafter Weise führt Baker den Zuschauer in eine Welt voller schillernder Oberflächen und düsterer Untertöne. Die Stärke von Anora liegt nicht nur in der Darstellung der komplexen Charaktere, sondern auch in der authentischen Atmosphäre, die durch Bakers besondere Handschrift entsteht.
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Die Clubszenen sind ebenso eindrucksvoll wie die Landschaften von Coney Island, die hier mehr als nur Kulisse sind – sie spiegeln die emotionale Reise der Hauptfigur wider und werden zu einem entscheidenden Element der Handlung. Baker lässt den Film nicht zum reinen Thriller verkommen, sondern verwebt eine sensible Charakterstudie mit einem nüchternen Blick auf Themen wie soziale Ausgrenzung und die Ambivalenz des amerikanischen Traums.
Madison gelingt es dabei, eine ergreifende Darstellung der Heldin Ani zu schaffen, deren Konflikte und Kompromisse den Zuschauer tief berühren. Besonders hervorzuheben ist die Szene, in der Ani, die sich mutig den Handlangern ihrer Schwiegereltern stellt, die gesellschaftlichen Normen und Erwartungen unterwandert – eine Szene, die sowohl erschütternd als auch befreiend wirkt.
Anora verliert kurzzeitig den Boden unter den Füßen
Nach einer furiosen Szene, in der Ani wie ein tasmanischer Teufel durch Ivans Haus fegt, folgt eine lange, die Stimmung trübende Suche nach dem feigen Ivan, der seine neue Frau im Stich gelassen hat. Anora ist nur ein bisschen länger als Bakers letzter Film Red Rocket, aber gerade in diesem Abschnitt wünscht man sich, dass die Laufzeit des Films von 139 Minuten deutlich kürzer sein könnte.
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Dennoch ist Anora ein besonderes Filmerlebnis, das die Balance zwischen sozialem Drama und rasanter Erzählung perfekt beherrscht. Es handelt sich um eine Mischung aus einer modernen „Pretty Woman“ Geschichte (es wird sogar in einer Szene auf den Film Bezug genommen) und dem fiebrigen Adam Sandler Film „Uncut Gems„, die Anora tief menschlich erscheinen lässt.
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Bakers humanistische Herangehensweise zeigt einmal mehr, wie es ihm gelingt, den Zuschauer emotional zu packen und gleichzeitig eine stille Hommage an die Randfiguren der Gesellschaft zu schaffen. Mit Anora bestätigt Baker seinen Status als außergewöhnlicher Geschichtenerzähler und beweist, dass nicht jeder Held einen Umhang braucht – manchmal reichen auch High Heels und eine unvergleichliche innere Stärke.
Fazit: Anora ist ein inspirierendes, emotional starkes Filmerlebnis, das Fans von Sean Baker und Liebhaber tiefgründiger Charakterstudien gleichermaßen begeistern wird.
Film Bewertung 8 / 10