After The Hunt

Inhalt: AFTER THE HUNT ist ein fesselnder Thriller über eine College-Professorin, die an einem persönlichen und beruflichen Scheideweg steht. Als ihre Muster-Studentin einen ihrer Kollegen beschuldigt, droht ein dunkles Geheimnis aus ihrer eigenen Vergangenheit ans Licht zu kommen. Aus der Feder von Nora Garrett.

© Sony Pictures Germany

Zwischen Wahrheit, Wahrnehmung und Manipulation

Die Debatte um die sogenannte „Cancel Culture“ ist äußerst kontrovers. Befürworter sprechen von einer Kultur des Abschaffens, Gegner von notwendiger Konsequenz. Die einen sehen darin überzogene Reaktionen, die anderen die logischen Folgen von Fehlverhalten. So oder so hat sich der Begriff etabliert und prägt inzwischen die öffentliche Debatte. Genau in diesen gesellschaftlichen Spannungsfeldern bewegt sich Regisseur Luca Guadagnino mit seinem neuen Film „After the Hunt“.

Gemeinsam mit Drehbuchdebütantin Nora Garrett liefert er ein packendes Campusdrama über Wahrheit, Macht und gesellschaftliche Wahrnehmung. Und mit Julia Roberts in einer ihrer stärksten Rollen seit Jahren bekommt der Film ein Gesicht, das diese Ambivalenz perfekt verkörpert. Wer an John Patrick Shanleys Doubt denkt, erkennt sofort die Parallelen. Auch dort ging es um die Frage, ob Wahrheit überhaupt zweifelsfrei feststellbar ist. Meryl Streep und Philip Seymour Hoffman standen 2008 stellvertretend für Glauben und Zweifel. After the Hunt greift dieses Erbe auf, verlagert es aber in die Gegenwart und setzt es in den Kontext der #MeToo-Ära.

Im Zentrum steht Alma Imhoff (Julia Roberts), Philosophieprofessorin in Yale, die kurz vor ihrer Professur steht. Ihre akademische Welt wirkt makellos, voller Intellekt und Prestige. Doch als ihre Doktorandin Maggie (Ayo Edebiri) unter Tränen den Vorwurf erhebt, von Almas engem Freund Hank (Andrew Garfield) bedrängt worden zu sein, wird das Fundament dieser Ordnung erschüttert.

Machtspiele und der Generationenkonflikt

Guadagnino interessiert weniger die Frage nach Schuld oder Unschuld, sondern die Dynamiken von Macht und Wahrnehmung. Maggie ist nicht so unantastbar, wie sie zunächst scheint. Hank beteuert verzweifelt seine Unschuld. Alma selbst ringt mit eigenen Dämonen, Abhängigkeiten und Vorurteilen. After the Hunt wird so zum Psychodrama über die Grauzonen der Wahrheit. Die Stärke des Films liegt im Schlagabtausch zwischen Alma und Maggie – zwei Frauen, die für unterschiedliche Generationen stehen.

Alma hat sich ihren Platz in einer männerdominierten Welt hart erkämpft, Maggie hingegen repräsentiert eine Generation, die Ansprüche stellt und Rechte als selbstverständlich einfordert. „Nicht alles im Leben ist ein warmes Bad“, erklärt Alma und offenbart damit das zentrale Spannungsfeld: zwischen erkämpfter Härte und jungem Anspruchsdenken. Guadagninos Inszenierung verstärkt diese Konflikte: Der Soundtrack von Trent Reznor und Atticus Ross dröhnt wie eine tickende Zeitbombe. Die Kamera fängt akademische Räume ein, die trügerisch sicher wirken, aber kurz davorstehen, in sich zusammenzubrechen.

Julia Roberts’ Glanzrolle

Julia Roberts brilliert in der Rolle der Alma Imhoff. Ihre Darstellung balanciert Eleganz und Unsicherheit, Charme und Härte aus. Sie verleiht der Figur Schärfe, ohne deren Verletzlichkeit zu verbergen. Andrew Garfield überzeugt als Hank, der zwischen Aggression und Verzweiflung oszilliert. Ayo Edebiri verleiht Maggie eine Ambivalenz, die die moralischen Fronten weiter verschwimmen lässt. Guadagnino vermeidet einfache Antworten. Jede Figur ist ambivalent, jede Wahrheit brüchig. Damit zwingt er das Publikum, die eigene Haltung zu reflektieren. „After the Hunt” reiht sich somit in die Tradition komplexer MeToo-Filme ein, die mehr Fragen aufwerfen, als sie beantworten.

Eine weitere Belohnung ist die klare Abrechnung des Films mit einer Zeit, in der die meisten Menschen die Fähigkeit verloren haben, mehrere Wahrheiten gleichzeitig zu berücksichtigen. In diesem Sinne geht es in „After the Hunt” mit einem brillanten Epilog weder darum, Hanks‘ Schuld zu klären, noch die Errungenschaften der #MeToo-Bewegung infrage zu stellen oder zu diskreditieren. Stattdessen regt der Film dazu an, besser und tiefer zu denken und zu urteilen. Schließlich sollte eine sich entwickelnde Bewegung, die so bedeutsam und folgenreich ist wie #MeToo, nichts anderes verlangen.

Fazit: Mit „After the Hunt“ ist Luca Guadagnino ein intensives Campus-Psychodrama gelungen, das die aktuelle Gesellschaftsdebatte widerspiegelt, ohne zu polarisieren. Anstatt Schuld oder Unschuld zu klären, legt der Film offen, wie kompliziert die Wahrheit in Machtstrukturen und persönlichen Abhängigkeiten tatsächlich ist. Getragen von einer herausragenden Julia Roberts und einer präzisen Inszenierung ist „After the Hunt” ein Werk, das fordert, provoziert und fesselt. Es ist kein Film, der einfache Gewissheiten liefert, sondern einer, der das Publikum zwingt, mit Mehrdeutigkeit zu leben.

Film Bewertung 8 / 10