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Männer und Frauen in roten Overalls von oben gefilmt. Mittendrin ein Mann im Anzug. Der Professor aus der Serie Haus des Geldes.

„Haus des Geldes“: Bei strahlendem und unbarmherzigen Sonnenschein in Madrid betreten acht Personen die Königliche Banknotendruckerei von Spanien. Sie sind bewaffnet und in rote Overalls gekleidet. Ihre Gesichter sind von Karikatur-haft grotesken Salvador-Dali-Masken bedeckt. Schnell und methodisch nehmen die maskierten Bewaffneten fünfzig Geiseln, verschließen die Türen und verbarrikadieren sich im Inneren.

Ihr Ziel: Elf Tage, in denen sie die immer stärker werdende Polizeipräsenz draußen in Schach halten und gleichzeitig ihre Geiseln in Sicherheit wiegen müssen. Elf Tage, um die nationalen und internationalen Medien erfolgreich zu einer günstigen Berichterstattung zu manipulieren. Und was entscheidend ist – elf Tage, um Überstunden an den Druckmaschinen der Königlichen Banknotendruckerei zu machen, um ca. 2,4 Milliarde Euro an sauberen, nicht zurückverfolgbaren Scheinen zu drucken, bevor sie fliehen können.

Haus des Geldes
„El Profesor“ – Haus des Geldes ©Netflix

Netflix hat die Original Struktur der Serie verändert

Das ist Netflix‘ spanischsprachige Serie „Haus des Geldes“. Ursprünglich 2017 im spanischen Fernsehen unter dem coolen Titel „La Casa de Papel“ ausgestrahlt. Das süchtig machend-ste Stück TV Entertainment, welches ich seit langer Zeit hatte. Es ist ein fast perfekter, stilisierter und hochkarätiger Stoff, der reine Genre-Effekthascherei mit tiefen Streifzügen durch menschliche Emotionen und Interaktionen vermischt.

Netflix hat ein wenig mit der ursprünglichen Episoden Adaption gespielt, indem die einzelnen Teile in etwas kürzere Segmente aufgeteilt und gleichzeitig ihre Anzahl erhöht wurde. Aber dies ist eine Show, deren Erzähl-weise so süchtig macht, dass die Umstrukturierung weitgehend unerheblich bleibt. Am Ende des ersten Kapitels hat die Serie ihre Haken dann endgültig ausgeworfen. Diese sitzen dann so tief, dass die Episoden in obszön-schöner Geschwindigkeit vorbeifliegen und die Grenzen der Staffeln völlig verschwimmen. Es wird unmöglich, „nur noch eine weitere“ Folge zu sehen.

Betrachtet das als eine Vor-Warnung: Wenn ihr „Haus des Geldes“ eine Chance gebt, wird die Zeit dahin schmelzen, wie auf Dalis Bild. Euer Hintern wird taub werden und ihr könntet vergessen, die Katze zu füttern. Sie wird euch wahrscheinlich dafür hassen. Und das ist es zu 100% wert. Lasst die Katze trotzdem nicht verhungern !

Ein „Heist-Film“ – oder Serie, ist nur so gut wie seine Charaktere

Der zentrale Pfeiler von „Haus des Geldes“ ist natürlich das im Titel enthaltene Gebäude. Es bleibt immer faszinierend, dass eine Gruppe von Leuten, die gerade eine Bank oder ähnliches ausrauben, so oft eine so fesselnde Geschichte liefern konnten. Ob „Rififi“, „Inside Man“ oder mein absoluter Favorit: „Heat“. Ich liebe es, die Mechaniken des Coups zu beobachten, die komplizierten Details des Raubes. Aber ich liebe es umso mehr, wenn das menschliche Element ebenso gut ausgearbeitet ist. Denn die fesselndsten Gangster Storys stellen sicher, dass die beteiligten Personen genauso interessant sind wie der Raub selbst – wenn nicht sogar noch interessanter.

Es sind die vorhandenen und unumgänglich notwendigen Realitäten eines Raubes: der hohe Druck, die geschlossenen Räume, das Katz- und Maus Spiel, das zwischen zwei unweigerlich brillanten gegnerischen Seiten stattfinden muss – die so förderlich für ein interessantes, menschliches Mit – und Gegeneinander sind. Dabei ist es nicht nur fahrlässig, sondern auch vorsätzlich bösartig, eine „Heist Story“ zu erzählen, die sich nicht um das menschliche Drama kümmert. Als ob sich alles in einer solchen Situation ganz natürlich abspielen würde. Diese Dynamiken sind essentieller Bestandteil des gebotenen Spannungsbogens.

Glücklicherweise liefert „Haus des Geldes“ das menschliche Drama in höchstem Maße. Es gibt eine ganze Menge an „Schummel“ in der Königlichen Geld Fertigungsstätte von Spanien, der während der Operation der Bande geschieht. Aber vor allem sind es die Macher der Serie, die etwas an uns vorbei schleusen. Indem sie uns nämlich, die trojanische Pferde Fassade eines Krimis präsentieren, um darin gekonnt eine Telenovela zu verstecken, die eine gewisse Dramatik hat.

Es gibt Geschichten von familiärer Vernachlässigung und Erlösung, die sich direkt neben dem dreisten Überfall abspielen. Geschichten von Schuld und Reue. Sowie mehrere Liebesgeschichten, die sich während des Raubs abspielen.

Telenovela – und Seifenoper sind nicht immer negativ behaftet

Es kommt zu dem Punkt, an dem man sich nicht mehr sicher sein kann, in was hier mehr investiert wird. Den Raub oder die Leute, die ihn ausführen und ihre sich kreuzenden Seifenoper-artigen Geschichten. Ich verwende Begriffe wie „Telenovela“ und „Seifenoper“ in diesem Kontext übrigens in einem positiven Sinn. Damit es keine Missverständnisse gibt.

Es gibt Zeiten, ja – in denen das Drama an Orte gerät, die sich ein wenig zu ausgeklügelt oder zu unglaublich anfühlen. Aber das sind nur wenige Momente und dabei zu weit voneinander entfernt. Wie ein winzig kleines, in einem Gericht verstecktes Habanero-Chili, dienen sie nur dazu, die Dinge gelegentlich auf eine andere Ebene zu heben. Um einen wach-zurütteln und auf Trab zu halten. Der Teufel steckt auch hier im Detail

Haus des Geldes
©Netflix

Auch Räuber haben Ängste und Neurosen

Der Schlüssel liegt darin, dass die beiden Seiten der Geschichte so gut miteinander verwoben sind, dass das stündliche Geschehen des Raubs die daran beteiligten Personen beeinflusst. Weil die Personen im Gegenzug den Verlauf des Raubs beeinflussen. Es handelt sich um verletzliche, vielschichtige Charaktere, die ein Leben außerhalb des großen kriminellen Schemas führen, in dem sie derzeit gefangen sind. Eine gefährliche Symbiose und ein Teufelskreis, der die Spannungsschraube gekonnt mit dem nötigen Tempo dreht, ohne dabei zu überdrehen.

Sie haben Ängste, Neurosen und Hoffnungen. Träume und Schwächen, die dazu führen, dass sie nicht immer so effizient arbeiten, wie sie sollten. Einige Male habe ich als Zuschauer, so wie es vielen gehen wird, auf den Erfolg des Raubs gehofft. Und ich war frustriert und verärgert über die schwachsinnigen Ausführungen einer Figur. Warum konnten sie nicht einfach X-machen anstatt ihr Y?! Einfach dem Plan folgen. Das ist aber zu oberflächlich betrachtet. Dies würde eben der Serie nicht gerecht werden.

Je länger man mit diesen Menschen zusammen ist, desto mehr versteht man sie und ihre Hintergrundgeschichten, desto glaubwürdiger und konsequenter fühlen sich ihre Handlungen an. Einer der cleveren Einfälle der Show ist es, zwischen den Ereignissen des eigentlichen Raubs und den fünf Monaten, die sie alle zuvor in einem Landhaus verbracht haben, hin und her zu springen. Dort lernten sie, geschult durch den Drahtzieher des Raubs, „El Profesor“, die Details des Plans, sowie eine Reihe von Fertigkeiten, die sie für den erfolgreichen Abschluss benötigen werden.

Man hat sich trotz großer Unterschiede zusammengetan, dabei gelacht und sich auch mal schlecht benommen. Ihre Professionalität, Erfahrung und ihr Alter variieren stark.

Vielschichtige und wendungsreiche Spannung

Indem uns dieser erweiterte Einblick in die Herkunft dieser „Gangster“ und ihre erste Verbindung als Menschen gegeben wird, trägt „Haus des Geldes“ wirklich sein Interesse an einer tiefgreifenden Charakterisierung zur Schau. Die Kriminellen nehmen alle Codenamen an, die auf Städten basieren. Tokio, Berlin, Nairobi, Rio, Denver, Helsinki, Stockholm, Moskau. Aber sie sind so vielschichtig gezeichnet, dass wir nie die Distanzierung spüren, die ein solcher Schritt oft mit sich bringt.

Ich habe gerade meinen anfänglichen Standpunkt bewiesen: Ich sagte, dass der zentrale Teil der Serie der eigentliche Raub sei. Und dann habe ich stattdessen mehrere Absätze über die Menschen darin gesprochen. Der Raubüberfall selbst, ist ein visuelles Prachtexemplar. Sein Drahtzieher, „El Profesor“, hat fast zwei Jahrzehnte damit verbracht, ihn zu planen, indem er jedes Detail, jede Reaktion der Polizei und jede Eventualität auf einer präzisen Matrix von (zumindest für die Polizei) offensichtlicher Allwissenheit abgebildet hat.

Es sind viele starke Bilder, emotionale Gespräche und Szenen – die „Haus des Geldes“ zu dem machen, was ich euch hier beschreibe. Wir verbringen fast so viel Zeit mit der Polizei draußen wie mit den Dieben drinnen. Und zu sehen, wie sie ständig überlistet und ausgetrickst werden, ist ein Vergnügen, das zu keiner Zeit langweilig wird.

Es gibt gefakte Schießereien, Kostümwechsel, geheime Telefonleitungen, Sprengstoff erster militärischer Güte, versteckte Mikrofone und das Plot -Schema eines Maulwurfs. Aber „El Profesor“ hat mehr Windungen und Wendungen erdacht, als eine hochalpine Straße hat.

Die heimliche Heldin der Serie im speziellen Kampf der Geschlechter

Aber unabhängig von dem gottähnlichen Grad der Vorbereitung arbeiten sich natürlich auch Fehler in den Plan ein. Einige davon sind auf die große Zahl – und das unterschiedliche Temperament – der Geiseln zurückzuführen. Andere auf das Team und seine vorhandenen charakterlichen Schwächen. Und noch mehr werden von der recht brillanten und zähen Inspektorin, die den Polizeieinsatz leitet und versucht, den Raubüberfall unblutig zu beenden, erzwungen.

Alle Charaktere sind großartig, und ihre jeweiligen Darsteller erwecken sie in hervorragender Weise zum Leben. Aber insbesondere Inspektorin Raquel Murillo sticht als eine wirklich wunderbare Kreation hervor. Eine Frau mittleren Alters, die ein Ass in ihrem Beruf ist, die aber dennoch ein ebenso turbulentes Privatleben hat. Inklusive einer Scheidung, einer jungen Tochter und einer fürsorglichen Mitbewohnerin – ihrer Mutter. Und dazu gesellt sich dann im Verlauf der Serie – ein unruhiges Liebesleben.

Wir sehen all diese Seiten der Inspektorin. Und die Schauspielerin Itziar Ituno nagelt jede einzelnen Part der komplexen Rolle fest. Sei es ihre Entschlossenheit, Intelligenz, ihr Humor, ihre Liebe, ihr Zorn oder ihre Trauer. Murillo und ihre charakterliche Reise ist ziemlich repräsentativ für „Haus des Geldes“ als Ganzes, das ein besonderes Interesse an seinen weiblichen Charakteren zeigt. Versteht mich nicht falsch. Die Mehrzahl der Figuren hier sind männlich, aber die Art und Weise, wie die Geschichte erzählt wird, bedeutet, dass die Überlegungen und Perspektiven von Frauen oft in einem Maße betont werden, wie man sie in diesem Genre nicht oft sieht – Maske ab dafür!

Qualitäts-Fernsehen aus Spanien

Inspectora Murillos endloser Kampf gegen den Macho-ismus und der herablassenden Art, die in ihrem Beruf weit verbreitet sind, erweist sich als ein besonderer Höhepunkt. „Haus des Geldes“ ist eine sehr geschmeidige und stilistische Produktion. Die Haupteinflüsse sind zweifellos amerikanisch, aber es gibt hier und da auch Verweise auf das koreanische Crime-Kino.

Die Mischung verführt zum Binge-watching. Kräftige Farben, Slo-Mo-Gewaltausbrüche zu populärer Musik – saubere, klare Serien Strukturen. Das alles kombiniert mit der unverkennbar melodramatischen DNA des spanischen Kinos und einem hier, nicht mehr ganz verborgenen Juwel, das sich Fans von Raubüberfällen, Krimis – oder einfach nur von Qualitäts-fernsehen im Allgemeinen, nicht entgehen lassen sollten.

Fazit: Die Serie selbst ist der Coup. Seid bitte vorsichtig. Der Binge Faktor ist hoch: ihr könntet vergessen, die Katze, das Kind oder euch selbst zu füttern. Der Sucht-Faktor kommt allerdings mit einiger Anlaufzeit. Abzüge gibt es nur – da einige Details zu konstruiert erscheinen. Der gespielte Song „Bella Ciao“ – deutet an, wohin die Reise für einige Charaktere gehen wird. In das Reich der gefallen Helden, die gegen das System aufbegehren.


Ein Song für Helden ©Netflix

Wertung: 9,5 /10

10 – Meisterwerk – 8-9  sehr gut – 6-7 gut – 5  Ziel erreicht – 3-4 grad noch wach geblieben – 1-2 Geldverschwendung – 0 Geld zurück verlangen  

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